um dieses Christenthum nachzupflanzen! Ich sah unwillkürlich nach Westen aus, als müßt' ich der Staubwolke des letzten abziehenden Indianerstammes mich anschließen können.
Aber hier war kein Ort zu Betrachtungen.
Auf einmal schoß ein Schrei neben mir auf -- ich prallte zurück wie vor einer Explosion. Jesus komm herab! Jesus komm herab! lärmte ein Knabe in meiner Nähe mit einer Lunge aus Granit. Und es genügte ihm nicht etwa der ein- und zweimalige Anruf, sondern er wiederholte diese Formel fort und fort, ungefähr wie unsere Kinder ihr: Maikäfer flieg! oder: Schmetterling, buntes Ding! auf warmen Frühlingswiesen rufen. Erstaunt fragte ich meinen Nachbar, wie es komme, daß der Muthwillige diesen Unfug sich erlauben dürfe und kein Erwachsener ihm wehre. Der Angeredete maß mich mit einem großen Blicke, dann hub er an: Es scheint, Sie sind fremd, mein Herr. Dieser tugendhafte Knabe lag schon gestern im brünstigen Ge¬ bete und will es mit des Allbarmherzigen göttlicher Hilfe zu einer Wiederbelebung bringen. Gebe der Himmel seinen Segen dazu! Aber die Kräfte des Leibes müssen mit aller Thätigkeit mitwirken, wenn die gebundene Seele ihre Fessel sprengen soll. Brav arbeitet er, der Kleine! Sehen Sie, wie ihm die Halsadern schwellen! Wie das Gesicht ihm anläuft! Er wird den wunderwirkenden Blutdruck aufs Gehirn früher zu Stande bringen als wir träge Gewohnheitssünder. Er bringt es zu einem der glänzendsten reviews, geben Sie acht. Methodistenprediger will er werden, der Sohn der Gnade. Wir wünschen uns Glück dazu. Nie hatte ein Kind des neuen Landes bessere Gaben für diesen Beruf. Welch eine Lunge, mein Herr!
Während dieser Worte hatte ich den Knaben nachsinnend betrachtet. Es kam mir vor, als ob diese Lunge schon öfter geglänzt hätte. Wie war ich überrascht, ihn endlich zu erkennen -- es war Hoby der Straßenjunge! -- Es war derselbe Lump, der auf der Battery Schand¬ schriften verkauft, der im tragischen Theater als Chef du succes specta¬ kulirt hatte -- zwei Begegnisse, von denen ich Dir erwähnt, wenn ich nicht irre. Und zum drittenmale fand ich jetzt diese amerikanische Jugend¬ blüthe in den Wäldern Ohio's als Candidaten des geistlichen Lehramts!
Bei dieser Entdeckung ertrug ich die Scham meiner Anwesenheit nicht länger. Ich drängte mich sachte nach dem Ausgange zurück, und
um dieſes Chriſtenthum nachzupflanzen! Ich ſah unwillkürlich nach Weſten aus, als müßt' ich der Staubwolke des letzten abziehenden Indianerſtammes mich anſchließen können.
Aber hier war kein Ort zu Betrachtungen.
Auf einmal ſchoß ein Schrei neben mir auf — ich prallte zurück wie vor einer Exploſion. Jeſus komm herab! Jeſus komm herab! lärmte ein Knabe in meiner Nähe mit einer Lunge aus Granit. Und es genügte ihm nicht etwa der ein- und zweimalige Anruf, ſondern er wiederholte dieſe Formel fort und fort, ungefähr wie unſere Kinder ihr: Maikäfer flieg! oder: Schmetterling, buntes Ding! auf warmen Frühlingswieſen rufen. Erſtaunt fragte ich meinen Nachbar, wie es komme, daß der Muthwillige dieſen Unfug ſich erlauben dürfe und kein Erwachſener ihm wehre. Der Angeredete maß mich mit einem großen Blicke, dann hub er an: Es ſcheint, Sie ſind fremd, mein Herr. Dieſer tugendhafte Knabe lag ſchon geſtern im brünſtigen Ge¬ bete und will es mit des Allbarmherzigen göttlicher Hilfe zu einer Wiederbelebung bringen. Gebe der Himmel ſeinen Segen dazu! Aber die Kräfte des Leibes müſſen mit aller Thätigkeit mitwirken, wenn die gebundene Seele ihre Feſſel ſprengen ſoll. Brav arbeitet er, der Kleine! Sehen Sie, wie ihm die Halsadern ſchwellen! Wie das Geſicht ihm anläuft! Er wird den wunderwirkenden Blutdruck aufs Gehirn früher zu Stande bringen als wir träge Gewohnheitsſünder. Er bringt es zu einem der glänzendſten reviews, geben Sie acht. Methodiſtenprediger will er werden, der Sohn der Gnade. Wir wünſchen uns Glück dazu. Nie hatte ein Kind des neuen Landes beſſere Gaben für dieſen Beruf. Welch eine Lunge, mein Herr!
Während dieſer Worte hatte ich den Knaben nachſinnend betrachtet. Es kam mir vor, als ob dieſe Lunge ſchon öfter geglänzt hätte. Wie war ich überraſcht, ihn endlich zu erkennen — es war Hoby der Straßenjunge! — Es war derſelbe Lump, der auf der Battery Schand¬ ſchriften verkauft, der im tragiſchen Theater als Chef du succès ſpecta¬ kulirt hatte — zwei Begegniſſe, von denen ich Dir erwähnt, wenn ich nicht irre. Und zum drittenmale fand ich jetzt dieſe amerikaniſche Jugend¬ blüthe in den Wäldern Ohio's als Candidaten des geiſtlichen Lehramts!
Bei dieſer Entdeckung ertrug ich die Scham meiner Anweſenheit nicht länger. Ich drängte mich ſachte nach dem Ausgange zurück, und
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Weſten aus, als müßt' ich der Staubwolke des letzten abziehenden
Indianerſtammes mich anſchließen können.
Aber hier war kein Ort zu Betrachtungen.
Auf einmal ſchoß ein Schrei neben mir auf — ich prallte zurück
wie vor einer Exploſion. Jeſus komm herab! Jeſus komm herab!
lärmte ein Knabe in meiner Nähe mit einer Lunge aus Granit. Und
es genügte ihm nicht etwa der ein- und zweimalige Anruf, ſondern er
wiederholte dieſe Formel fort und fort, ungefähr wie unſere Kinder
ihr: Maikäfer flieg! oder: Schmetterling, buntes Ding! auf warmen
Frühlingswieſen rufen. Erſtaunt fragte ich meinen Nachbar, wie es
komme, daß der Muthwillige dieſen Unfug ſich erlauben dürfe und
kein Erwachſener ihm wehre. Der Angeredete maß mich mit einem
großen Blicke, dann hub er an: Es ſcheint, Sie ſind fremd, mein
Herr. Dieſer tugendhafte Knabe lag ſchon geſtern im brünſtigen Ge¬
bete und will es mit des Allbarmherzigen göttlicher Hilfe zu einer
Wiederbelebung bringen. Gebe der Himmel ſeinen Segen dazu!
Aber die Kräfte des Leibes müſſen mit aller Thätigkeit mitwirken,
wenn die gebundene Seele ihre Feſſel ſprengen ſoll. Brav arbeitet
er, der Kleine! Sehen Sie, wie ihm die Halsadern ſchwellen! Wie
das Geſicht ihm anläuft! Er wird den wunderwirkenden Blutdruck aufs
Gehirn früher zu Stande bringen als wir träge Gewohnheitsſünder.
Er bringt es zu einem der glänzendſten reviews, geben Sie acht.
Methodiſtenprediger will er werden, der Sohn der Gnade. Wir
wünſchen uns Glück dazu. Nie hatte ein Kind des neuen Landes beſſere
Gaben für dieſen Beruf. Welch eine Lunge, mein Herr!
Während dieſer Worte hatte ich den Knaben nachſinnend betrachtet.
Es kam mir vor, als ob dieſe Lunge ſchon öfter geglänzt hätte. Wie
war ich überraſcht, ihn endlich zu erkennen — es war Hoby der
Straßenjunge! — Es war derſelbe Lump, der auf der Battery Schand¬
ſchriften verkauft, der im tragiſchen Theater als Chef du succès ſpecta¬
kulirt hatte — zwei Begegniſſe, von denen ich Dir erwähnt, wenn ich
nicht irre. Und zum drittenmale fand ich jetzt dieſe amerikaniſche Jugend¬
blüthe in den Wäldern Ohio's als Candidaten des geiſtlichen Lehramts!
Bei dieſer Entdeckung ertrug ich die Scham meiner Anweſenheit
nicht länger. Ich drängte mich ſachte nach dem Ausgange zurück, und
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/406>, abgerufen am 24.11.2024.
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