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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Die Erbauung eröffnete wieder ein Gassenhauer-Psalm; ich kannte
zwar diesmal die Weise nicht, aber denke Dir etwa: "O mein lieber
Augustin" oder dergleichen, es verschlägt nicht viel. Dem seelenvollen
Liede folgte die Predigt. Also die erste Methodistenpredigt! "Rede, daß
ich dich sehe!" sagte Sokrates. Amerika's Idealismus hat sich auf die
Religion zurückgezogen: hier sollt' ich ihn jetzt sehen. Er fing zu reden an.

Aber schon nach den ersten Perioden verging mir Hören und
Sehen im barsten Sinne des Worts. Wie soll ich Dir diese Predigt be¬
schreiben? Nichts Amerikanisches ist zu übertragen, Du weißt es. An¬
nähernd ein Urbild ist in Heinrich IV. die Stelle, wo Fallstraff eine
Scene am Hof zwischen Vater und Sohn repräsentirt. Er spricht im
vermeintlichen Charakter eines Königs: "Es gibt ein Ding, Heinrich,
wovon du oftmals gehört hast, und das Vielen in unserm Lande
unter dem Namen Pech bekannt ist; dieses Pech, wie alte Schrift¬
steller versichern, pflegt zu besudeln. -- So idealisirt ein Falstaff
den Satz: wer Pech anrührt, beschmutzt sich! So machte es die Pre¬
digt. Und doch ist mit diesem Beispiel nur der geringste Theil des
Aergernisses angedeutet. Falstaff's Grundgedanke ist gemein; zu ver¬
derben war blos die einfache Form daran. Hier aber war das Ein¬
fache zugleich das Erhabene; die gänzliche Ohnmacht des Methodisten,
aus seiner Gemeinheit sich zu erheben, schändete Form und Inhalt zugleich.
Der elendeste aller Gottesknechte ersetzte diesen geistigen Abgang durch
physische Mittel. Nichts konnte alberner sein als die Art, wie er
einzelne Grundsylben betonte und durch eine übermäßige Länge ihre
Feierlichkeit nach dem Klaftermaße dehnte. Ein halbhundert Pendel¬
schläge z. B. dauerte das Längenmaß der ersten Sylben in holy oder
glory. Solche Götterworte legte er förmlich unter Streckwalzen und
quetschte sie zu Ewigkeitsdraht. Wenn er auf den devil zu sprechen
kam (und er sprach von nichts anderm) so versank die Streckmaschine
in einen Keller. Zu der Dehnung kam dann eine fürchterliche Hohl¬
heit und Tiefe des Tons -- in der Wirklichkeit ist kein Gleichniß
dafür. Man muß es aus der Möglichkeit holen und sich vorstellen,
eine ähnliche Klangfarbe gäbe es vielleicht, wenn ein Bär in das
Spundloch des Heidelberger Fasses brummte. Aus diesem Bauchredner¬
baße in die kreischendste Fistel umzuschlagen, war eins seiner belieb¬
testen Kunstmittel. Man glaubte einen verzweifelnden Hahn zu hören,

Die Erbauung eröffnete wieder ein Gaſſenhauer-Pſalm; ich kannte
zwar diesmal die Weiſe nicht, aber denke Dir etwa: „O mein lieber
Auguſtin“ oder dergleichen, es verſchlägt nicht viel. Dem ſeelenvollen
Liede folgte die Predigt. Alſo die erſte Methodiſtenpredigt! „Rede, daß
ich dich ſehe!“ ſagte Sokrates. Amerika's Idealismus hat ſich auf die
Religion zurückgezogen: hier ſollt' ich ihn jetzt ſehen. Er fing zu reden an.

Aber ſchon nach den erſten Perioden verging mir Hören und
Sehen im barſten Sinne des Worts. Wie ſoll ich Dir dieſe Predigt be¬
ſchreiben? Nichts Amerikaniſches iſt zu übertragen, Du weißt es. An¬
nähernd ein Urbild iſt in Heinrich IV. die Stelle, wo Fallſtraff eine
Scene am Hof zwiſchen Vater und Sohn repräſentirt. Er ſpricht im
vermeintlichen Charakter eines Königs: „Es gibt ein Ding, Heinrich,
wovon du oftmals gehört haſt, und das Vielen in unſerm Lande
unter dem Namen Pech bekannt iſt; dieſes Pech, wie alte Schrift¬
ſteller verſichern, pflegt zu beſudeln. — So idealiſirt ein Falſtaff
den Satz: wer Pech anrührt, beſchmutzt ſich! So machte es die Pre¬
digt. Und doch iſt mit dieſem Beiſpiel nur der geringſte Theil des
Aergerniſſes angedeutet. Falſtaff's Grundgedanke iſt gemein; zu ver¬
derben war blos die einfache Form daran. Hier aber war das Ein¬
fache zugleich das Erhabene; die gänzliche Ohnmacht des Methodiſten,
aus ſeiner Gemeinheit ſich zu erheben, ſchändete Form und Inhalt zugleich.
Der elendeſte aller Gottesknechte erſetzte dieſen geiſtigen Abgang durch
phyſiſche Mittel. Nichts konnte alberner ſein als die Art, wie er
einzelne Grundſylben betonte und durch eine übermäßige Länge ihre
Feierlichkeit nach dem Klaftermaße dehnte. Ein halbhundert Pendel¬
ſchläge z. B. dauerte das Längenmaß der erſten Sylben in holy oder
glory. Solche Götterworte legte er förmlich unter Streckwalzen und
quetſchte ſie zu Ewigkeitsdraht. Wenn er auf den devil zu ſprechen
kam (und er ſprach von nichts anderm) ſo verſank die Streckmaſchine
in einen Keller. Zu der Dehnung kam dann eine fürchterliche Hohl¬
heit und Tiefe des Tons — in der Wirklichkeit iſt kein Gleichniß
dafür. Man muß es aus der Möglichkeit holen und ſich vorſtellen,
eine ähnliche Klangfarbe gäbe es vielleicht, wenn ein Bär in das
Spundloch des Heidelberger Faſſes brummte. Aus dieſem Bauchredner¬
baße in die kreiſchendſte Fiſtel umzuſchlagen, war eins ſeiner belieb¬
teſten Kunſtmittel. Man glaubte einen verzweifelnden Hahn zu hören,

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[386/0404] Die Erbauung eröffnete wieder ein Gaſſenhauer-Pſalm; ich kannte zwar diesmal die Weiſe nicht, aber denke Dir etwa: „O mein lieber Auguſtin“ oder dergleichen, es verſchlägt nicht viel. Dem ſeelenvollen Liede folgte die Predigt. Alſo die erſte Methodiſtenpredigt! „Rede, daß ich dich ſehe!“ ſagte Sokrates. Amerika's Idealismus hat ſich auf die Religion zurückgezogen: hier ſollt' ich ihn jetzt ſehen. Er fing zu reden an. Aber ſchon nach den erſten Perioden verging mir Hören und Sehen im barſten Sinne des Worts. Wie ſoll ich Dir dieſe Predigt be¬ ſchreiben? Nichts Amerikaniſches iſt zu übertragen, Du weißt es. An¬ nähernd ein Urbild iſt in Heinrich IV. die Stelle, wo Fallſtraff eine Scene am Hof zwiſchen Vater und Sohn repräſentirt. Er ſpricht im vermeintlichen Charakter eines Königs: „Es gibt ein Ding, Heinrich, wovon du oftmals gehört haſt, und das Vielen in unſerm Lande unter dem Namen Pech bekannt iſt; dieſes Pech, wie alte Schrift¬ ſteller verſichern, pflegt zu beſudeln. — So idealiſirt ein Falſtaff den Satz: wer Pech anrührt, beſchmutzt ſich! So machte es die Pre¬ digt. Und doch iſt mit dieſem Beiſpiel nur der geringſte Theil des Aergerniſſes angedeutet. Falſtaff's Grundgedanke iſt gemein; zu ver¬ derben war blos die einfache Form daran. Hier aber war das Ein¬ fache zugleich das Erhabene; die gänzliche Ohnmacht des Methodiſten, aus ſeiner Gemeinheit ſich zu erheben, ſchändete Form und Inhalt zugleich. Der elendeſte aller Gottesknechte erſetzte dieſen geiſtigen Abgang durch phyſiſche Mittel. Nichts konnte alberner ſein als die Art, wie er einzelne Grundſylben betonte und durch eine übermäßige Länge ihre Feierlichkeit nach dem Klaftermaße dehnte. Ein halbhundert Pendel¬ ſchläge z. B. dauerte das Längenmaß der erſten Sylben in holy oder glory. Solche Götterworte legte er förmlich unter Streckwalzen und quetſchte ſie zu Ewigkeitsdraht. Wenn er auf den devil zu ſprechen kam (und er ſprach von nichts anderm) ſo verſank die Streckmaſchine in einen Keller. Zu der Dehnung kam dann eine fürchterliche Hohl¬ heit und Tiefe des Tons — in der Wirklichkeit iſt kein Gleichniß dafür. Man muß es aus der Möglichkeit holen und ſich vorſtellen, eine ähnliche Klangfarbe gäbe es vielleicht, wenn ein Bär in das Spundloch des Heidelberger Faſſes brummte. Aus dieſem Bauchredner¬ baße in die kreiſchendſte Fiſtel umzuſchlagen, war eins ſeiner belieb¬ teſten Kunſtmittel. Man glaubte einen verzweifelnden Hahn zu hören,

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/404>, abgerufen am 24.11.2024.