eigenem Gutdünken durch den Wald -- Kunststraßen hat unsere Gegend noch nicht. Auf der letzten Strecke bekamen wir ein längeres Geleite. Ein Farmer schleifte seinen Reisekasten neben uns her -- ein echtes Dollargesicht. Ich hatte das Glück, daß er mich in seine besondere Affection nahm. Er ertheilte mir über amerikanischen Landbau und Productengewinn eine Fülle der nützlichsten Rathschläge, die mir nur leider verloren gingen, denn sie blieben ihm zwischen der Zunge und einer ungeheuren Tabaksprime in der Gaumenhöhle stecken. Dazu sali¬ virte er überreichlich: mit der Uhr in der Hand zählte ich, daß er in fünf Minuten vierzigmal meinem Pferd in die Mähne spuckte. De߬ ungeachtet erkannte ich gegen Nachbar Ermar seine seltene Dienst¬ willigkeit bewundernd an, aber der Meier antwortete: Denken Sie, das spricht er fürs schöne Wetter? Auf den ersten Blick sah er, daß Sie ein Lateinfarmer und trüber Laune seien, und indem er letztere mißrathenen Wirthschaftsverhältnissen zuschreibt, fürchtet er, Sie möchten Ihre Hofstelle eingehen lassen und fortwandern, da uns doch Zuzug nicht Abzug willkommen sein muß. Darum bemüht er sich so kräftig um Ihre Rente. Bei dieser Enttäuschung schlug ich vor, dem Manne aus der Nähe zu fahren, aber der Meier machte mich darauf aufmerksam, wie er mit einem eigenen Kennerauge das beste Niveau der ganzen Waldregion befahre. Eine blumige Stelle, mit den prächtigsten Astern übersäet, erregte das laute Entzücken An¬ nette's. Und mitten in diesen Juwelenhain trieb der Farmer sein plumpes Fuhrwerk. Ich machte ihm Vorwürfe darüber, da antwortete mir der Verwüster Folgendes: Hören Sie, mein Herr, die Locomotive, die hinter uns nachbraust? In zehn Jahren ist meine Wagenspur eine Eisenbahn und ich war der erste Ingenieur, der sie absteckte! Was macht man mit diesen Leuten? Sie formuliren ihre Prosa mitunter doch großartig! Dann begreift man wenigstens den Charakter darin und für die nächste Minute sind sie wieder amnestirt!
Arme Annette! daß ich so ruhig all das Geschwätz niederzuschreiben vermag! Aber freilich -- ich bin ruhig, sehr ruhig! Geßner schrieb so ruhig nicht seine schweizerischen, als ich diese -- amerikanische Waldidylle!
Es war wirklich idyllisch. Wir fuhren in eine tiefe geräumige Wiesenbucht wie in einen Hafen: der Wald umdämmte uns rings
eigenem Gutdünken durch den Wald — Kunſtſtraßen hat unſere Gegend noch nicht. Auf der letzten Strecke bekamen wir ein längeres Geleite. Ein Farmer ſchleifte ſeinen Reiſekaſten neben uns her — ein echtes Dollargeſicht. Ich hatte das Glück, daß er mich in ſeine beſondere Affection nahm. Er ertheilte mir über amerikaniſchen Landbau und Productengewinn eine Fülle der nützlichſten Rathſchläge, die mir nur leider verloren gingen, denn ſie blieben ihm zwiſchen der Zunge und einer ungeheuren Tabaksprime in der Gaumenhöhle ſtecken. Dazu ſali¬ virte er überreichlich: mit der Uhr in der Hand zählte ich, daß er in fünf Minuten vierzigmal meinem Pferd in die Mähne ſpuckte. De߬ ungeachtet erkannte ich gegen Nachbar Ermar ſeine ſeltene Dienſt¬ willigkeit bewundernd an, aber der Meier antwortete: Denken Sie, das ſpricht er fürs ſchöne Wetter? Auf den erſten Blick ſah er, daß Sie ein Lateinfarmer und trüber Laune ſeien, und indem er letztere mißrathenen Wirthſchaftsverhältniſſen zuſchreibt, fürchtet er, Sie möchten Ihre Hofſtelle eingehen laſſen und fortwandern, da uns doch Zuzug nicht Abzug willkommen ſein muß. Darum bemüht er ſich ſo kräftig um Ihre Rente. Bei dieſer Enttäuſchung ſchlug ich vor, dem Manne aus der Nähe zu fahren, aber der Meier machte mich darauf aufmerkſam, wie er mit einem eigenen Kennerauge das beſte Niveau der ganzen Waldregion befahre. Eine blumige Stelle, mit den prächtigſten Aſtern überſäet, erregte das laute Entzücken An¬ nette's. Und mitten in dieſen Juwelenhain trieb der Farmer ſein plumpes Fuhrwerk. Ich machte ihm Vorwürfe darüber, da antwortete mir der Verwüſter Folgendes: Hören Sie, mein Herr, die Locomotive, die hinter uns nachbraust? In zehn Jahren iſt meine Wagenſpur eine Eiſenbahn und ich war der erſte Ingenieur, der ſie abſteckte! Was macht man mit dieſen Leuten? Sie formuliren ihre Proſa mitunter doch großartig! Dann begreift man wenigſtens den Charakter darin und für die nächſte Minute ſind ſie wieder amneſtirt!
Arme Annette! daß ich ſo ruhig all das Geſchwätz niederzuſchreiben vermag! Aber freilich — ich bin ruhig, ſehr ruhig! Geßner ſchrieb ſo ruhig nicht ſeine ſchweizeriſchen, als ich dieſe — amerikaniſche Waldidylle!
Es war wirklich idylliſch. Wir fuhren in eine tiefe geräumige Wieſenbucht wie in einen Hafen: der Wald umdämmte uns rings
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0399"n="381"/>
eigenem Gutdünken durch den Wald — Kunſtſtraßen hat unſere Gegend<lb/>
noch nicht. Auf der letzten Strecke bekamen wir ein längeres Geleite.<lb/>
Ein Farmer ſchleifte ſeinen Reiſekaſten neben uns her — ein echtes<lb/>
Dollargeſicht. Ich hatte das Glück, daß er mich in ſeine beſondere<lb/>
Affection nahm. Er ertheilte mir über amerikaniſchen Landbau und<lb/>
Productengewinn eine Fülle der nützlichſten Rathſchläge, die mir nur<lb/>
leider verloren gingen, denn ſie blieben ihm zwiſchen der Zunge und<lb/>
einer ungeheuren Tabaksprime in der Gaumenhöhle ſtecken. Dazu ſali¬<lb/>
virte er überreichlich: mit der Uhr in der Hand zählte ich, daß er in<lb/>
fünf Minuten vierzigmal meinem Pferd in die Mähne ſpuckte. De߬<lb/>
ungeachtet erkannte ich gegen Nachbar Ermar ſeine ſeltene Dienſt¬<lb/>
willigkeit bewundernd an, aber der Meier antwortete: Denken Sie,<lb/>
das ſpricht er fürs ſchöne Wetter? Auf den erſten Blick ſah er,<lb/>
daß Sie ein Lateinfarmer und trüber Laune ſeien, und indem er<lb/>
letztere mißrathenen Wirthſchaftsverhältniſſen zuſchreibt, fürchtet er,<lb/>
Sie möchten Ihre Hofſtelle eingehen laſſen und fortwandern, da uns<lb/>
doch Zuzug nicht Abzug willkommen ſein muß. Darum bemüht er<lb/>ſich ſo kräftig um Ihre Rente. Bei dieſer Enttäuſchung ſchlug ich<lb/>
vor, dem Manne aus der Nähe zu fahren, aber der Meier machte<lb/>
mich darauf aufmerkſam, wie er mit einem eigenen Kennerauge das<lb/>
beſte Niveau der ganzen Waldregion befahre. Eine blumige Stelle,<lb/>
mit den prächtigſten Aſtern überſäet, erregte das laute Entzücken An¬<lb/>
nette's. Und mitten in dieſen Juwelenhain trieb der Farmer ſein<lb/>
plumpes Fuhrwerk. Ich machte ihm Vorwürfe darüber, da antwortete<lb/>
mir der Verwüſter Folgendes: Hören Sie, mein Herr, die Locomotive,<lb/>
die hinter uns nachbraust? In zehn Jahren iſt meine Wagenſpur eine<lb/>
Eiſenbahn und ich war der erſte Ingenieur, der ſie abſteckte! Was<lb/>
macht man mit dieſen Leuten? Sie formuliren ihre Proſa mitunter<lb/>
doch großartig! Dann begreift man wenigſtens den <hirendition="#g">Charakter</hi> darin<lb/>
und für die nächſte Minute ſind ſie wieder amneſtirt!</p><lb/><p>Arme Annette! daß ich ſo ruhig all das Geſchwätz niederzuſchreiben<lb/>
vermag! Aber freilich — ich bin ruhig, <hirendition="#g">ſehr</hi> ruhig! Geßner ſchrieb<lb/>ſo ruhig nicht ſeine ſchweizeriſchen, als ich dieſe — amerikaniſche<lb/>
Waldidylle!</p><lb/><p>Es war wirklich idylliſch. Wir fuhren in eine tiefe geräumige<lb/>
Wieſenbucht wie in einen Hafen: der Wald umdämmte uns rings<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[381/0399]
eigenem Gutdünken durch den Wald — Kunſtſtraßen hat unſere Gegend
noch nicht. Auf der letzten Strecke bekamen wir ein längeres Geleite.
Ein Farmer ſchleifte ſeinen Reiſekaſten neben uns her — ein echtes
Dollargeſicht. Ich hatte das Glück, daß er mich in ſeine beſondere
Affection nahm. Er ertheilte mir über amerikaniſchen Landbau und
Productengewinn eine Fülle der nützlichſten Rathſchläge, die mir nur
leider verloren gingen, denn ſie blieben ihm zwiſchen der Zunge und
einer ungeheuren Tabaksprime in der Gaumenhöhle ſtecken. Dazu ſali¬
virte er überreichlich: mit der Uhr in der Hand zählte ich, daß er in
fünf Minuten vierzigmal meinem Pferd in die Mähne ſpuckte. De߬
ungeachtet erkannte ich gegen Nachbar Ermar ſeine ſeltene Dienſt¬
willigkeit bewundernd an, aber der Meier antwortete: Denken Sie,
das ſpricht er fürs ſchöne Wetter? Auf den erſten Blick ſah er,
daß Sie ein Lateinfarmer und trüber Laune ſeien, und indem er
letztere mißrathenen Wirthſchaftsverhältniſſen zuſchreibt, fürchtet er,
Sie möchten Ihre Hofſtelle eingehen laſſen und fortwandern, da uns
doch Zuzug nicht Abzug willkommen ſein muß. Darum bemüht er
ſich ſo kräftig um Ihre Rente. Bei dieſer Enttäuſchung ſchlug ich
vor, dem Manne aus der Nähe zu fahren, aber der Meier machte
mich darauf aufmerkſam, wie er mit einem eigenen Kennerauge das
beſte Niveau der ganzen Waldregion befahre. Eine blumige Stelle,
mit den prächtigſten Aſtern überſäet, erregte das laute Entzücken An¬
nette's. Und mitten in dieſen Juwelenhain trieb der Farmer ſein
plumpes Fuhrwerk. Ich machte ihm Vorwürfe darüber, da antwortete
mir der Verwüſter Folgendes: Hören Sie, mein Herr, die Locomotive,
die hinter uns nachbraust? In zehn Jahren iſt meine Wagenſpur eine
Eiſenbahn und ich war der erſte Ingenieur, der ſie abſteckte! Was
macht man mit dieſen Leuten? Sie formuliren ihre Proſa mitunter
doch großartig! Dann begreift man wenigſtens den Charakter darin
und für die nächſte Minute ſind ſie wieder amneſtirt!
Arme Annette! daß ich ſo ruhig all das Geſchwätz niederzuſchreiben
vermag! Aber freilich — ich bin ruhig, ſehr ruhig! Geßner ſchrieb
ſo ruhig nicht ſeine ſchweizeriſchen, als ich dieſe — amerikaniſche
Waldidylle!
Es war wirklich idylliſch. Wir fuhren in eine tiefe geräumige
Wieſenbucht wie in einen Hafen: der Wald umdämmte uns rings
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/399>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.