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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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kein Gemüth zu mir. Wenn dir morgen ein Unglück widerfährt, so
sage nicht, daß du unschuldig zu Grunde gehst. Du solltest ein Liebes¬
opfer bringen können und bringst es nicht, -- das ist deine Schuld.
Mir war die Seele so voll, ich mußte dieses oder Aehnliches aus¬
sprechen, unbekümmert ob es verstanden wurde oder nicht. Aber das
Mädchen hatte immer einen Begriff des Gesagten, sie brach in Thränen
aus, legte weinend ihren Kopf auf meinen Schooß und sprach: Ich
will ja Alles, was du willst, aber warum willst du denn? Darauf
hatt' ich freilich nichts zu antworten. So angeboren ist den Deutschen
die Logik! Die Italienerin Mignon hätte sich fraglos hingegeben;
die Deutsche gibt sich zwar auch hin: "sie will Alles was ich will";
aber, fragt sie deutsch-protestantisch, "warum willst du denn?"
Warum wollte ich denn? Ich schalt mich selbst, das arme Kind so zu
quälen und sagte zuletzt, gewaltsam-heiter: ich prüfte dich nur, Schwester¬
chen, und bin ja zufrieden mit dir; sei wieder ruhig.

Abends ritt ich nach Hause und schlief nach der Ermüdung des
heißen Tages gut und traumlos. Dies war der Vorabend des camp¬
meeting
. Tags darauf nahm mich beim Erwachen das ganze trost¬
lose Gefühl von gestern wieder in Besitz. Auch an meine Vision glaubt'
ich wieder, und so lebhaft, als stünde sie noch einmal vor mir. Daß
eine Stimmung, ohne äußere thatsächliche Ursachen, so mit uns näch¬
tigen kann, war mir sehr ernsthaft zu erfahren. Ich wurde nun erst
über meine Trauer traurig, griff aber zu meiner Violine und strich
mir die lustigsten Sachen, die mir einfielen. Dazu tanzte ich in der
Stube herum. Kurz, ich machte Opposition. Hierauf ging's aufs Pferd.
Meinem Schottländer übergab ich die Aufsicht des Hauses und ritt
hinüber auf Meier's Farm, wo ich schon Alles zur Abreise bereit fand.
Ein großer Zeltwagen stand bespannt, mit Vorräthen und häuslichen
Nothwendigkeiten versorgt. Die kleine Familie war in ihrem Sonn¬
tagsstaat. Amerikanischer Sonntagsstaat! Ihre guten westphälischen
Stücke verbrauchten die Deutschen zu Hause, um öffentlich der lang¬
weiligen Landestracht die Ehre zu geben. Um der Frauen willen
that mir diese Probe der deutschen Selbstständigkeit besonders leid.
Ihr halb-städtischer Kleiderschnitt drückte so gar nichts aus! Ein
Manschetten-Bauer ist ein übler Anblick, aber eine Manschetten-Bäuerin
-- doch freilich, Bäuerinnen sind sie nicht, die Myladies der Hinter¬

kein Gemüth zu mir. Wenn dir morgen ein Unglück widerfährt, ſo
ſage nicht, daß du unſchuldig zu Grunde gehſt. Du ſollteſt ein Liebes¬
opfer bringen können und bringſt es nicht, — das iſt deine Schuld.
Mir war die Seele ſo voll, ich mußte dieſes oder Aehnliches aus¬
ſprechen, unbekümmert ob es verſtanden wurde oder nicht. Aber das
Mädchen hatte immer einen Begriff des Geſagten, ſie brach in Thränen
aus, legte weinend ihren Kopf auf meinen Schooß und ſprach: Ich
will ja Alles, was du willſt, aber warum willſt du denn? Darauf
hatt' ich freilich nichts zu antworten. So angeboren iſt den Deutſchen
die Logik! Die Italienerin Mignon hätte ſich fraglos hingegeben;
die Deutſche gibt ſich zwar auch hin: „ſie will Alles was ich will“;
aber, fragt ſie deutſch-proteſtantiſch, „warum willſt du denn?“
Warum wollte ich denn? Ich ſchalt mich ſelbſt, das arme Kind ſo zu
quälen und ſagte zuletzt, gewaltſam-heiter: ich prüfte dich nur, Schweſter¬
chen, und bin ja zufrieden mit dir; ſei wieder ruhig.

Abends ritt ich nach Hauſe und ſchlief nach der Ermüdung des
heißen Tages gut und traumlos. Dies war der Vorabend des camp¬
meeting
. Tags darauf nahm mich beim Erwachen das ganze troſt¬
loſe Gefühl von geſtern wieder in Beſitz. Auch an meine Viſion glaubt'
ich wieder, und ſo lebhaft, als ſtünde ſie noch einmal vor mir. Daß
eine Stimmung, ohne äußere thatſächliche Urſachen, ſo mit uns näch¬
tigen kann, war mir ſehr ernſthaft zu erfahren. Ich wurde nun erſt
über meine Trauer traurig, griff aber zu meiner Violine und ſtrich
mir die luſtigſten Sachen, die mir einfielen. Dazu tanzte ich in der
Stube herum. Kurz, ich machte Oppoſition. Hierauf ging's aufs Pferd.
Meinem Schottländer übergab ich die Aufſicht des Hauſes und ritt
hinüber auf Meier's Farm, wo ich ſchon Alles zur Abreiſe bereit fand.
Ein großer Zeltwagen ſtand beſpannt, mit Vorräthen und häuslichen
Nothwendigkeiten verſorgt. Die kleine Familie war in ihrem Sonn¬
tagsſtaat. Amerikaniſcher Sonntagsſtaat! Ihre guten weſtphäliſchen
Stücke verbrauchten die Deutſchen zu Hauſe, um öffentlich der lang¬
weiligen Landestracht die Ehre zu geben. Um der Frauen willen
that mir dieſe Probe der deutſchen Selbſtſtändigkeit beſonders leid.
Ihr halb-ſtädtiſcher Kleiderſchnitt drückte ſo gar nichts aus! Ein
Manſchetten-Bauer iſt ein übler Anblick, aber eine Manſchetten-Bäuerin
— doch freilich, Bäuerinnen ſind ſie nicht, die Myladies der Hinter¬

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[378/0396] kein Gemüth zu mir. Wenn dir morgen ein Unglück widerfährt, ſo ſage nicht, daß du unſchuldig zu Grunde gehſt. Du ſollteſt ein Liebes¬ opfer bringen können und bringſt es nicht, — das iſt deine Schuld. Mir war die Seele ſo voll, ich mußte dieſes oder Aehnliches aus¬ ſprechen, unbekümmert ob es verſtanden wurde oder nicht. Aber das Mädchen hatte immer einen Begriff des Geſagten, ſie brach in Thränen aus, legte weinend ihren Kopf auf meinen Schooß und ſprach: Ich will ja Alles, was du willſt, aber warum willſt du denn? Darauf hatt' ich freilich nichts zu antworten. So angeboren iſt den Deutſchen die Logik! Die Italienerin Mignon hätte ſich fraglos hingegeben; die Deutſche gibt ſich zwar auch hin: „ſie will Alles was ich will“; aber, fragt ſie deutſch-proteſtantiſch, „warum willſt du denn?“ Warum wollte ich denn? Ich ſchalt mich ſelbſt, das arme Kind ſo zu quälen und ſagte zuletzt, gewaltſam-heiter: ich prüfte dich nur, Schweſter¬ chen, und bin ja zufrieden mit dir; ſei wieder ruhig. Abends ritt ich nach Hauſe und ſchlief nach der Ermüdung des heißen Tages gut und traumlos. Dies war der Vorabend des camp¬ meeting. Tags darauf nahm mich beim Erwachen das ganze troſt¬ loſe Gefühl von geſtern wieder in Beſitz. Auch an meine Viſion glaubt' ich wieder, und ſo lebhaft, als ſtünde ſie noch einmal vor mir. Daß eine Stimmung, ohne äußere thatſächliche Urſachen, ſo mit uns näch¬ tigen kann, war mir ſehr ernſthaft zu erfahren. Ich wurde nun erſt über meine Trauer traurig, griff aber zu meiner Violine und ſtrich mir die luſtigſten Sachen, die mir einfielen. Dazu tanzte ich in der Stube herum. Kurz, ich machte Oppoſition. Hierauf ging's aufs Pferd. Meinem Schottländer übergab ich die Aufſicht des Hauſes und ritt hinüber auf Meier's Farm, wo ich ſchon Alles zur Abreiſe bereit fand. Ein großer Zeltwagen ſtand beſpannt, mit Vorräthen und häuslichen Nothwendigkeiten verſorgt. Die kleine Familie war in ihrem Sonn¬ tagsſtaat. Amerikaniſcher Sonntagsſtaat! Ihre guten weſtphäliſchen Stücke verbrauchten die Deutſchen zu Hauſe, um öffentlich der lang¬ weiligen Landestracht die Ehre zu geben. Um der Frauen willen that mir dieſe Probe der deutſchen Selbſtſtändigkeit beſonders leid. Ihr halb-ſtädtiſcher Kleiderſchnitt drückte ſo gar nichts aus! Ein Manſchetten-Bauer iſt ein übler Anblick, aber eine Manſchetten-Bäuerin — doch freilich, Bäuerinnen ſind ſie nicht, die Myladies der Hinter¬

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/396>, abgerufen am 24.11.2024.