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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Die Sonne schien es aber schon jetzt anzuzünden. Die Glühhitze leckte
so lüstern über das blanke Stoppelfeld, als wäre ihr die Speise
wohlbekannt. Ich erwartete wirklich, es in jedem Augenblick aufflackern
zu sehen.

In diesem Mittagsbrande dachte ich an die Miasmen, die er aus¬
brütet. Wie aus der Vogelschau überblicke ich die amerikanische Erd¬
fläche: aus allen Flußthälern, aus allen Niederungen, Sümpfen und
Neubrüchen ringt sich das Fieber los. Wer hat diesem Präsidenten
der Sommermonate seine Stimme gegeben? Arme, arme Freiheit der
freien Erde, er nimmt die Stimmen! Oh wie sie matt hinsinken mit
ausseufzenden Brusthöhlen; ihre Stimme ist auf ewig dahin! Wer
zählt die Tausende? Ich treibe die schöne Spiegelfläche des Ohio
hinab -- was wimmert aus den Blockhäusern des Landes hunderte
von Meilen entlang, wie aus einer langen Katakombe? "Matt, matt,
lieber Herr, o einen Trunk Wasser!" Ich folge der langen Wellen¬
bahn des Missouri hinauf -- was flüstert über die dürren Grasrespen
der Prairien? "Die Ernte ist eingethan, Herr, Väterchen auch!" Ich
taumle mit den Wirbeln des Mississippi der Vergessenheit des ewigen
Meeres zu, -- auf welche Länder seh ich herab! Nennt man sie
Alabama, Arkansas, Louisiana, Florida, oder -- Perelachaise? Ein
Volk von Aethiopiern seh ich geschäftig, die häufen moderne Pyramiden
aus Reis, Zucker und Baumwolle zusammen -- aber wie geschieht
mir? Sind das die langlebenden Aethiopier des Herodot? Seht, wie
sie Reihen auf Reihen sich am Boden gruppiren! Wenig Anmuth ist
in diesen ruhenden Gruppen. Jetzt kommt der Massa und berührt sie
mit dem Lebensstab seiner Peitsche, aber das Leben bleibt aus. Er
macht kleine Striche durch sein Namensverzeichniß und geht weiter. --
Auf einmal flogen von sämmtlichen Kirchen des Landes die Dächer
ab und ich sah die schwarzen Pastoren auf ihren Kanzeln. Sie
dankten Gott für die gesegnete Ernte. Ein Schauer überlief mich.
Denn die schwarzen Pastoren waren Niemand anders als das verklei¬
dete Fieber und das Fieber dankte hohnlachend für seine Ernte.
Gott mußte sich's gefallen lassen. -- Von den Fieber-Pastoren kam
ich auf das morgige camp-meeting. Ich wußte jetzt ganz bestimmt,
daß die Methodisten pseudonyme Teufel seien. Was sie seit Wochen
rüsteten und schürten war ein Menschenopfer. Diese Sonnenglut und

Die Sonne ſchien es aber ſchon jetzt anzuzünden. Die Glühhitze leckte
ſo lüſtern über das blanke Stoppelfeld, als wäre ihr die Speiſe
wohlbekannt. Ich erwartete wirklich, es in jedem Augenblick aufflackern
zu ſehen.

In dieſem Mittagsbrande dachte ich an die Miasmen, die er aus¬
brütet. Wie aus der Vogelſchau überblicke ich die amerikaniſche Erd¬
fläche: aus allen Flußthälern, aus allen Niederungen, Sümpfen und
Neubrüchen ringt ſich das Fieber los. Wer hat dieſem Präſidenten
der Sommermonate ſeine Stimme gegeben? Arme, arme Freiheit der
freien Erde, er nimmt die Stimmen! Oh wie ſie matt hinſinken mit
ausſeufzenden Bruſthöhlen; ihre Stimme iſt auf ewig dahin! Wer
zählt die Tauſende? Ich treibe die ſchöne Spiegelfläche des Ohio
hinab — was wimmert aus den Blockhäuſern des Landes hunderte
von Meilen entlang, wie aus einer langen Katakombe? „Matt, matt,
lieber Herr, o einen Trunk Waſſer!“ Ich folge der langen Wellen¬
bahn des Miſſouri hinauf — was flüſtert über die dürren Grasreſpen
der Prairien? „Die Ernte iſt eingethan, Herr, Väterchen auch!“ Ich
taumle mit den Wirbeln des Miſſiſſippi der Vergeſſenheit des ewigen
Meeres zu, — auf welche Länder ſeh ich herab! Nennt man ſie
Alabama, Arkanſas, Louiſiana, Florida, oder — Pèrelachaiſe? Ein
Volk von Aethiopiern ſeh ich geſchäftig, die häufen moderne Pyramiden
aus Reis, Zucker und Baumwolle zuſammen — aber wie geſchieht
mir? Sind das die langlebenden Aethiopier des Herodot? Seht, wie
ſie Reihen auf Reihen ſich am Boden gruppiren! Wenig Anmuth iſt
in dieſen ruhenden Gruppen. Jetzt kommt der Maſſa und berührt ſie
mit dem Lebensſtab ſeiner Peitſche, aber das Leben bleibt aus. Er
macht kleine Striche durch ſein Namensverzeichniß und geht weiter. —
Auf einmal flogen von ſämmtlichen Kirchen des Landes die Dächer
ab und ich ſah die ſchwarzen Paſtoren auf ihren Kanzeln. Sie
dankten Gott für die geſegnete Ernte. Ein Schauer überlief mich.
Denn die ſchwarzen Paſtoren waren Niemand anders als das verklei¬
dete Fieber und das Fieber dankte hohnlachend für ſeine Ernte.
Gott mußte ſich's gefallen laſſen. — Von den Fieber-Paſtoren kam
ich auf das morgige camp-meeting. Ich wußte jetzt ganz beſtimmt,
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[376/0394] Die Sonne ſchien es aber ſchon jetzt anzuzünden. Die Glühhitze leckte ſo lüſtern über das blanke Stoppelfeld, als wäre ihr die Speiſe wohlbekannt. Ich erwartete wirklich, es in jedem Augenblick aufflackern zu ſehen. In dieſem Mittagsbrande dachte ich an die Miasmen, die er aus¬ brütet. Wie aus der Vogelſchau überblicke ich die amerikaniſche Erd¬ fläche: aus allen Flußthälern, aus allen Niederungen, Sümpfen und Neubrüchen ringt ſich das Fieber los. Wer hat dieſem Präſidenten der Sommermonate ſeine Stimme gegeben? Arme, arme Freiheit der freien Erde, er nimmt die Stimmen! Oh wie ſie matt hinſinken mit ausſeufzenden Bruſthöhlen; ihre Stimme iſt auf ewig dahin! Wer zählt die Tauſende? Ich treibe die ſchöne Spiegelfläche des Ohio hinab — was wimmert aus den Blockhäuſern des Landes hunderte von Meilen entlang, wie aus einer langen Katakombe? „Matt, matt, lieber Herr, o einen Trunk Waſſer!“ Ich folge der langen Wellen¬ bahn des Miſſouri hinauf — was flüſtert über die dürren Grasreſpen der Prairien? „Die Ernte iſt eingethan, Herr, Väterchen auch!“ Ich taumle mit den Wirbeln des Miſſiſſippi der Vergeſſenheit des ewigen Meeres zu, — auf welche Länder ſeh ich herab! Nennt man ſie Alabama, Arkanſas, Louiſiana, Florida, oder — Pèrelachaiſe? Ein Volk von Aethiopiern ſeh ich geſchäftig, die häufen moderne Pyramiden aus Reis, Zucker und Baumwolle zuſammen — aber wie geſchieht mir? Sind das die langlebenden Aethiopier des Herodot? Seht, wie ſie Reihen auf Reihen ſich am Boden gruppiren! Wenig Anmuth iſt in dieſen ruhenden Gruppen. Jetzt kommt der Maſſa und berührt ſie mit dem Lebensſtab ſeiner Peitſche, aber das Leben bleibt aus. Er macht kleine Striche durch ſein Namensverzeichniß und geht weiter. — Auf einmal flogen von ſämmtlichen Kirchen des Landes die Dächer ab und ich ſah die ſchwarzen Paſtoren auf ihren Kanzeln. Sie dankten Gott für die geſegnete Ernte. Ein Schauer überlief mich. Denn die ſchwarzen Paſtoren waren Niemand anders als das verklei¬ dete Fieber und das Fieber dankte hohnlachend für ſeine Ernte. Gott mußte ſich's gefallen laſſen. — Von den Fieber-Paſtoren kam ich auf das morgige camp-meeting. Ich wußte jetzt ganz beſtimmt, daß die Methodiſten pſeudonyme Teufel ſeien. Was ſie ſeit Wochen rüſteten und ſchürten war ein Menſchenopfer. Dieſe Sonnenglut und

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/394>, abgerufen am 24.11.2024.