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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Das Depot dieser Genüsse war der Storeladen, der unmittelbar
mit dem Tanzlocal in Verbindung stand. Er hatte sich heute zu einer
Art Büffet travestirt, ohne daß es indeß möglich gewesen wäre, die
verschiedenen Talg- und Butterfässer, Tabakkisten, Wollballen, Kohlen¬
säcke etc. etc. in eine rücksichtsvolle Entfernung zurückzudrängen. Sie
wurden indeß sehr sinnig als Tische und Bänke benutzt, an welchen
Alles schmausend und zechend "umhergegossen" lag, was das Tanz¬
vergnügen nicht theilte. Es waren ungemein plastische Gruppen. In
der Menge fielen mir auch zwei "Gebildete" in's Auge, und siehe da!
eine derselben war eine mir bekannte Gestalt. Es war der junge
Apotheker Poll aus Kleindeutschland. Er trug nicht mehr sein faden¬
scheiniges Sammtröckchen, klagte auch nicht mehr über die unverdau¬
liche amerikanische Küche, und schien überhaupt seinen Geschmack mit
den Reizen des Hinterwaldes in Einklang gesetzt zu haben. Der An¬
dere war sein Prinzipal, Doctor Althof, an den Du ihn damals em¬
pfohlen. Diese zwei Stadtröcke unter den rauhen Waldjobben leuch¬
teten mir wie freundliche Heimathssterne. Wie armselig belügt sich doch
der Stubenpoet, der Waldbrünnlein und Köhlerhütte über die Cultur
setzt! In diesem Storeladen hier schlug der Contrast ganz anders aus.

Denn als ich, da es inzwischen Abend geworden, mit dem Store¬
keeper über mein Nachtlager verhandelte, erklärte mir der Mensch, daß ein
Bett für mich allein eine Forderung wäre, auf die er nicht wohl vor¬
bereitet sei. Er könne mir ein Bett nur mit Gesellschaft "einiger
Anderer" zusichern, aber, sagte er naiv, "im Parterre rückten ja auch
Fremde an einander, warum nicht im Bette?" Gestehe doch der Stu¬
benpoet, daß unter diesen Umständen die Aussicht auf zwei gekämmte
Schlafkameraden mindestens kein verächtliches Culturgelüste war.

Uebrigens beschlossen wir drei die Nacht zu durchwachen; der Doctor
war ohnedies als Reserve da und hatte seine Bandagen, Charpien und
Vomitive nicht umsonst mitgebracht. Er erwartete die Nacht über
Prügel und morgen Indigestionen.

Wir machten etwas vom Hause weg eine Promenade am Wald¬
saum hin, und tauschten aus, was Europäer bei solchem Begebniß sich
zu sagen haben. Ich erzählte mein Rencontre mit dem Fieberdoctor
nunquam opinavi und wiederholte meine Ansicht über den Untergang
der amerikanischen Nation durch ihre Aerzte -- und Apotherker, setzen

Das Depot dieſer Genüſſe war der Storeladen, der unmittelbar
mit dem Tanzlocal in Verbindung ſtand. Er hatte ſich heute zu einer
Art Büffet traveſtirt, ohne daß es indeß möglich geweſen wäre, die
verſchiedenen Talg- und Butterfäſſer, Tabakkiſten, Wollballen, Kohlen¬
ſäcke ꝛc. ꝛc. in eine rückſichtsvolle Entfernung zurückzudrängen. Sie
wurden indeß ſehr ſinnig als Tiſche und Bänke benutzt, an welchen
Alles ſchmauſend und zechend „umhergegoſſen“ lag, was das Tanz¬
vergnügen nicht theilte. Es waren ungemein plaſtiſche Gruppen. In
der Menge fielen mir auch zwei „Gebildete“ in's Auge, und ſiehe da!
eine derſelben war eine mir bekannte Geſtalt. Es war der junge
Apotheker Poll aus Kleindeutſchland. Er trug nicht mehr ſein faden¬
ſcheiniges Sammtröckchen, klagte auch nicht mehr über die unverdau¬
liche amerikaniſche Küche, und ſchien überhaupt ſeinen Geſchmack mit
den Reizen des Hinterwaldes in Einklang geſetzt zu haben. Der An¬
dere war ſein Prinzipal, Doctor Althof, an den Du ihn damals em¬
pfohlen. Dieſe zwei Stadtröcke unter den rauhen Waldjobben leuch¬
teten mir wie freundliche Heimathsſterne. Wie armſelig belügt ſich doch
der Stubenpoet, der Waldbrünnlein und Köhlerhütte über die Cultur
ſetzt! In dieſem Storeladen hier ſchlug der Contraſt ganz anders aus.

Denn als ich, da es inzwiſchen Abend geworden, mit dem Store¬
keeper über mein Nachtlager verhandelte, erklärte mir der Menſch, daß ein
Bett für mich allein eine Forderung wäre, auf die er nicht wohl vor¬
bereitet ſei. Er könne mir ein Bett nur mit Geſellſchaft „einiger
Anderer“ zuſichern, aber, ſagte er naiv, „im Parterre rückten ja auch
Fremde an einander, warum nicht im Bette?“ Geſtehe doch der Stu¬
benpoet, daß unter dieſen Umſtänden die Auſſicht auf zwei gekämmte
Schlafkameraden mindeſtens kein verächtliches Culturgelüſte war.

Uebrigens beſchloſſen wir drei die Nacht zu durchwachen; der Doctor
war ohnedies als Reſerve da und hatte ſeine Bandagen, Charpien und
Vomitive nicht umſonſt mitgebracht. Er erwartete die Nacht über
Prügel und morgen Indigeſtionen.

Wir machten etwas vom Hauſe weg eine Promenade am Wald¬
ſaum hin, und tauſchten aus, was Europäer bei ſolchem Begebniß ſich
zu ſagen haben. Ich erzählte mein Rencontre mit dem Fieberdoctor
nunquam opinavi und wiederholte meine Anſicht über den Untergang
der amerikaniſchen Nation durch ihre Aerzte — und Apotherker, ſetzen

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[363/0381] Das Depot dieſer Genüſſe war der Storeladen, der unmittelbar mit dem Tanzlocal in Verbindung ſtand. Er hatte ſich heute zu einer Art Büffet traveſtirt, ohne daß es indeß möglich geweſen wäre, die verſchiedenen Talg- und Butterfäſſer, Tabakkiſten, Wollballen, Kohlen¬ ſäcke ꝛc. ꝛc. in eine rückſichtsvolle Entfernung zurückzudrängen. Sie wurden indeß ſehr ſinnig als Tiſche und Bänke benutzt, an welchen Alles ſchmauſend und zechend „umhergegoſſen“ lag, was das Tanz¬ vergnügen nicht theilte. Es waren ungemein plaſtiſche Gruppen. In der Menge fielen mir auch zwei „Gebildete“ in's Auge, und ſiehe da! eine derſelben war eine mir bekannte Geſtalt. Es war der junge Apotheker Poll aus Kleindeutſchland. Er trug nicht mehr ſein faden¬ ſcheiniges Sammtröckchen, klagte auch nicht mehr über die unverdau¬ liche amerikaniſche Küche, und ſchien überhaupt ſeinen Geſchmack mit den Reizen des Hinterwaldes in Einklang geſetzt zu haben. Der An¬ dere war ſein Prinzipal, Doctor Althof, an den Du ihn damals em¬ pfohlen. Dieſe zwei Stadtröcke unter den rauhen Waldjobben leuch¬ teten mir wie freundliche Heimathsſterne. Wie armſelig belügt ſich doch der Stubenpoet, der Waldbrünnlein und Köhlerhütte über die Cultur ſetzt! In dieſem Storeladen hier ſchlug der Contraſt ganz anders aus. Denn als ich, da es inzwiſchen Abend geworden, mit dem Store¬ keeper über mein Nachtlager verhandelte, erklärte mir der Menſch, daß ein Bett für mich allein eine Forderung wäre, auf die er nicht wohl vor¬ bereitet ſei. Er könne mir ein Bett nur mit Geſellſchaft „einiger Anderer“ zuſichern, aber, ſagte er naiv, „im Parterre rückten ja auch Fremde an einander, warum nicht im Bette?“ Geſtehe doch der Stu¬ benpoet, daß unter dieſen Umſtänden die Auſſicht auf zwei gekämmte Schlafkameraden mindeſtens kein verächtliches Culturgelüſte war. Uebrigens beſchloſſen wir drei die Nacht zu durchwachen; der Doctor war ohnedies als Reſerve da und hatte ſeine Bandagen, Charpien und Vomitive nicht umſonſt mitgebracht. Er erwartete die Nacht über Prügel und morgen Indigeſtionen. Wir machten etwas vom Hauſe weg eine Promenade am Wald¬ ſaum hin, und tauſchten aus, was Europäer bei ſolchem Begebniß ſich zu ſagen haben. Ich erzählte mein Rencontre mit dem Fieberdoctor nunquam opinavi und wiederholte meine Anſicht über den Untergang der amerikaniſchen Nation durch ihre Aerzte — und Apotherker, ſetzen

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/381>, abgerufen am 24.11.2024.