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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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So nenne ich nämlich -- schreibt er -- die kleine westphälische
Familie des Vaters Ermar. In der That, Annette ist wie ein weib¬
liches Jesus-Kindlein, ihre Eltern entfernen sich nicht allzusehr von
einem Joseph- und Maria-Modell und auf der Flucht sind sie auch,
denn es liegt ein so elegischer, heimatsloser Hauch über diesem Hause
-- Du solltest diese Luft hier athmen! Man sieht den Deutschen
überhaupt nur in zwei Formen diesseits des Oceans: entweder Rene¬
gaten-Fratze, hyper-yankeesirt, oder --

"Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hieher!"
Zeitlose Herbstwiesen-Blumen, auch unter dem fließendsten Sonnen¬
strahl von der Ahnung durchschauert: wir sind der Vergänglichkeit
geweiht, wir gehören nicht in die Welt! Aus dieser Flora sind meine
Westphälier.

Der Mann hält an sich, stockt und trotzt. So viel ich errathe,
hat er schwere Verluste erlitten, ist viel betrogen worden; aber keinen
Augenblick öffnet er den Mund zu klagen darüber. Nicht den Yan¬
kee's schreibt er's zu, sich selbst. Er fordert ohne Weiteres von sich,
er hätte als Mann den "Bubenlisten" gewachsen sein sollen. Daß
die Büberei ein großes ausgebildetes System, daß sie "Industrie" ist,
darüber fehlt ihm jede Anschauung. Er sieht nur den einzelnen
Clerk, den einzelnen Mäkler. Mann gegen Mann, meint er, sei
Alles gekommen. So liegt er offenbar noch gegenwärtig in den
Netzen der Blutsauger, ohne es zu wissen, ja, ohne es wissen zu
wollen. Sein Farm ist hundert Acres groß, die er scheinbar zu einem
billigen Preis überkommen. Aber nur zehn davon sind geklärtes
Land, die übrigen neunzig Waldboden. Denn das ist einer jener un¬
zähligen Kunstgriffe der Land-Jobberei, eine kleine Parcelle urbaren
Bodens nie appart zu verkaufen, sondern stets mit einem großen Zu¬
schlag von Waldboden. Nach geklärten Parcellen aber geizt Jeder¬
mann, da das Klären ein furchtbares, Gesundheit-erschütterndes und
bei verfehltem Erfolg oft die Existenz einer ganzen Familie gefährdendes
Unternehmen ist. So hat nun Ermar von seinen zehn urbaren Acres
nicht nur seinen Lebensunterhalt zu ziehen, sondern auch die Zinsen
für die neunzig übrigen Acres aufzubringen, und der übliche Zinsfuß
ist hier 12 bis 20 Procent! Sein Kaufcontract aber lautet so, daß

So nenne ich nämlich — ſchreibt er — die kleine weſtphäliſche
Familie des Vaters Ermar. In der That, Annette iſt wie ein weib¬
liches Jeſus-Kindlein, ihre Eltern entfernen ſich nicht allzuſehr von
einem Joſeph- und Maria-Modell und auf der Flucht ſind ſie auch,
denn es liegt ein ſo elegiſcher, heimatsloſer Hauch über dieſem Hauſe
— Du ſollteſt dieſe Luft hier athmen! Man ſieht den Deutſchen
überhaupt nur in zwei Formen diesſeits des Oceans: entweder Rene¬
gaten-Fratze, hyper-yankeeſirt, oder —

„Und es gewöhnt ſich nicht mein Geiſt hieher!“
Zeitloſe Herbſtwieſen-Blumen, auch unter dem fließendſten Sonnen¬
ſtrahl von der Ahnung durchſchauert: wir ſind der Vergänglichkeit
geweiht, wir gehören nicht in die Welt! Aus dieſer Flora ſind meine
Weſtphälier.

Der Mann hält an ſich, ſtockt und trotzt. So viel ich errathe,
hat er ſchwere Verluſte erlitten, iſt viel betrogen worden; aber keinen
Augenblick öffnet er den Mund zu klagen darüber. Nicht den Yan¬
kee's ſchreibt er's zu, ſich ſelbſt. Er fordert ohne Weiteres von ſich,
er hätte als Mann den „Bubenliſten“ gewachſen ſein ſollen. Daß
die Büberei ein großes ausgebildetes Syſtem, daß ſie „Induſtrie“ iſt,
darüber fehlt ihm jede Anſchauung. Er ſieht nur den einzelnen
Clerk, den einzelnen Mäkler. Mann gegen Mann, meint er, ſei
Alles gekommen. So liegt er offenbar noch gegenwärtig in den
Netzen der Blutſauger, ohne es zu wiſſen, ja, ohne es wiſſen zu
wollen. Sein Farm iſt hundert Acres groß, die er ſcheinbar zu einem
billigen Preis überkommen. Aber nur zehn davon ſind geklärtes
Land, die übrigen neunzig Waldboden. Denn das iſt einer jener un¬
zähligen Kunſtgriffe der Land-Jobberei, eine kleine Parcelle urbaren
Bodens nie appart zu verkaufen, ſondern ſtets mit einem großen Zu¬
ſchlag von Waldboden. Nach geklärten Parcellen aber geizt Jeder¬
mann, da das Klären ein furchtbares, Geſundheit-erſchütterndes und
bei verfehltem Erfolg oft die Exiſtenz einer ganzen Familie gefährdendes
Unternehmen iſt. So hat nun Ermar von ſeinen zehn urbaren Acres
nicht nur ſeinen Lebensunterhalt zu ziehen, ſondern auch die Zinſen
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[354/0372] So nenne ich nämlich — ſchreibt er — die kleine weſtphäliſche Familie des Vaters Ermar. In der That, Annette iſt wie ein weib¬ liches Jeſus-Kindlein, ihre Eltern entfernen ſich nicht allzuſehr von einem Joſeph- und Maria-Modell und auf der Flucht ſind ſie auch, denn es liegt ein ſo elegiſcher, heimatsloſer Hauch über dieſem Hauſe — Du ſollteſt dieſe Luft hier athmen! Man ſieht den Deutſchen überhaupt nur in zwei Formen diesſeits des Oceans: entweder Rene¬ gaten-Fratze, hyper-yankeeſirt, oder — „Und es gewöhnt ſich nicht mein Geiſt hieher!“ Zeitloſe Herbſtwieſen-Blumen, auch unter dem fließendſten Sonnen¬ ſtrahl von der Ahnung durchſchauert: wir ſind der Vergänglichkeit geweiht, wir gehören nicht in die Welt! Aus dieſer Flora ſind meine Weſtphälier. Der Mann hält an ſich, ſtockt und trotzt. So viel ich errathe, hat er ſchwere Verluſte erlitten, iſt viel betrogen worden; aber keinen Augenblick öffnet er den Mund zu klagen darüber. Nicht den Yan¬ kee's ſchreibt er's zu, ſich ſelbſt. Er fordert ohne Weiteres von ſich, er hätte als Mann den „Bubenliſten“ gewachſen ſein ſollen. Daß die Büberei ein großes ausgebildetes Syſtem, daß ſie „Induſtrie“ iſt, darüber fehlt ihm jede Anſchauung. Er ſieht nur den einzelnen Clerk, den einzelnen Mäkler. Mann gegen Mann, meint er, ſei Alles gekommen. So liegt er offenbar noch gegenwärtig in den Netzen der Blutſauger, ohne es zu wiſſen, ja, ohne es wiſſen zu wollen. Sein Farm iſt hundert Acres groß, die er ſcheinbar zu einem billigen Preis überkommen. Aber nur zehn davon ſind geklärtes Land, die übrigen neunzig Waldboden. Denn das iſt einer jener un¬ zähligen Kunſtgriffe der Land-Jobberei, eine kleine Parcelle urbaren Bodens nie appart zu verkaufen, ſondern ſtets mit einem großen Zu¬ ſchlag von Waldboden. Nach geklärten Parcellen aber geizt Jeder¬ mann, da das Klären ein furchtbares, Geſundheit-erſchütterndes und bei verfehltem Erfolg oft die Exiſtenz einer ganzen Familie gefährdendes Unternehmen iſt. So hat nun Ermar von ſeinen zehn urbaren Acres nicht nur ſeinen Lebensunterhalt zu ziehen, ſondern auch die Zinſen für die neunzig übrigen Acres aufzubringen, und der übliche Zinsfuß iſt hier 12 bis 20 Procent! Sein Kaufcontract aber lautet ſo, daß

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/372>, abgerufen am 24.11.2024.