einer Leistung hergibt, die ein Anderer auf 200 schätzt, das war dem Amerikaner zu tief verächtlich. Der Amerikaner war wieder einmal recht groß dem schoflen Deutschen gegenüber. Und so fällte denn der Richter, wie er auf Grund der beiden eidlichen Aussagen wohl nicht anders konnte, zuletzt den Urtheilsspruch: daß der Deutsche seinen Con¬ tract nicht erfüllt habe; doch dürfte er allerdings der Großmuth des Mr. Baine zu empfehlen sein, welcher ihm wenigstens einen Theil der accordirten Summe möge zukommen lassen. Keinen Cent soll er ha¬ ben, der verfluchte Dutchman! rief Mr. Baine, und damit war die Sache zu Ende. Der Richter machte nur noch seine und des Con¬ stablers Rechnung, die er dem Deutschen schnell, denn es war Essens¬ zeit, überreichte, und woran dieser zehn Monate lang zu bezahlen hatte. Von Allem entblößt, griff er vor sechs Wochen zu, auf jenem Farm sich als Knecht zu vermiethen, -- um's augenblickliche Brod.
Anhorst hatte inzwischen Moorfeld's Pferd in's Auge gefaßt, und machte jetzt einige Bemerkungen über die incorrecte Schule desselben. Freimüthig antwortete Moorfeld: Nicht doch, nicht doch! Wir müssen solche Geschichten künftig nur zu Fuß erzählen.
Schweigend erreichte das Paar die Farm. Man fand den Tisch¬ ler Rapp beim Ausbessern des Fenzenzauns, den ein paar muthige Bullen über Nacht eingerissen. Schon aus der Ferne hatte man ihn die schweren Pflöcke einrammen gehört. Es war ein Mann von mitt¬ lerer Statur, die Haare schon hoch in dem Scheitel ausgefallen, der Körper ein wenig gebeugt, und wie es schien nicht mehr allzu kräftig. Sein Gesichtsausdruck war unbeholfene Arglosigkeit und ein tüchtiges, aber beschränktes Selbstvertrauen. Moorfeld fand ganz das Charakter¬ bild aus jenem Processe in ihm.
Er fing ein Gespräch mit ihm an, das sich, wie es in deutscher Zunge geführt ward, zunächst auch auf deutsches Heimathsandenken bezog. Die Augen des Tischlers leuchteten wie trunken, und aus tiefster Seele brach er in den Ausruf aus: Ach, hätten wir in Deutsch¬ land Gewerbfreiheit, es wäre das erste Land in der Welt! Und die politische Freiheit Amerika's ist Euch gleichgiltig? sagte Moorfeld, -- indeß mehr um die Begriffe des sogenannten gemeinen Mannes darüber kennen zu lernen, als in irgend einer directen Absicht.
einer Leiſtung hergibt, die ein Anderer auf 200 ſchätzt, das war dem Amerikaner zu tief verächtlich. Der Amerikaner war wieder einmal recht groß dem ſchoflen Deutſchen gegenüber. Und ſo fällte denn der Richter, wie er auf Grund der beiden eidlichen Ausſagen wohl nicht anders konnte, zuletzt den Urtheilsſpruch: daß der Deutſche ſeinen Con¬ tract nicht erfüllt habe; doch dürfte er allerdings der Großmuth des Mr. Baine zu empfehlen ſein, welcher ihm wenigſtens einen Theil der accordirten Summe möge zukommen laſſen. Keinen Cent ſoll er ha¬ ben, der verfluchte Dutchman! rief Mr. Baine, und damit war die Sache zu Ende. Der Richter machte nur noch ſeine und des Con¬ ſtablers Rechnung, die er dem Deutſchen ſchnell, denn es war Eſſens¬ zeit, überreichte, und woran dieſer zehn Monate lang zu bezahlen hatte. Von Allem entblößt, griff er vor ſechs Wochen zu, auf jenem Farm ſich als Knecht zu vermiethen, — um's augenblickliche Brod.
Anhorſt hatte inzwiſchen Moorfeld's Pferd in's Auge gefaßt, und machte jetzt einige Bemerkungen über die incorrecte Schule deſſelben. Freimüthig antwortete Moorfeld: Nicht doch, nicht doch! Wir müſſen ſolche Geſchichten künftig nur zu Fuß erzählen.
Schweigend erreichte das Paar die Farm. Man fand den Tiſch¬ ler Rapp beim Ausbeſſern des Fenzenzauns, den ein paar muthige Bullen über Nacht eingeriſſen. Schon aus der Ferne hatte man ihn die ſchweren Pflöcke einrammen gehört. Es war ein Mann von mitt¬ lerer Statur, die Haare ſchon hoch in dem Scheitel ausgefallen, der Körper ein wenig gebeugt, und wie es ſchien nicht mehr allzu kräftig. Sein Geſichtsausdruck war unbeholfene Argloſigkeit und ein tüchtiges, aber beſchränktes Selbſtvertrauen. Moorfeld fand ganz das Charakter¬ bild aus jenem Proceſſe in ihm.
Er fing ein Geſpräch mit ihm an, das ſich, wie es in deutſcher Zunge geführt ward, zunächſt auch auf deutſches Heimathsandenken bezog. Die Augen des Tiſchlers leuchteten wie trunken, und aus tiefſter Seele brach er in den Ausruf aus: Ach, hätten wir in Deutſch¬ land Gewerbfreiheit, es wäre das erſte Land in der Welt! Und die politiſche Freiheit Amerika's iſt Euch gleichgiltig? ſagte Moorfeld, — indeß mehr um die Begriffe des ſogenannten gemeinen Mannes darüber kennen zu lernen, als in irgend einer directen Abſicht.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0356"n="338"/>
einer Leiſtung hergibt, die ein Anderer auf 200 ſchätzt, das war dem<lb/>
Amerikaner zu tief verächtlich. Der Amerikaner war wieder einmal<lb/>
recht groß dem ſchoflen Deutſchen gegenüber. Und ſo fällte denn der<lb/>
Richter, wie er auf Grund der beiden eidlichen Ausſagen wohl nicht<lb/>
anders konnte, zuletzt den Urtheilsſpruch: daß der Deutſche ſeinen Con¬<lb/>
tract <hirendition="#g">nicht</hi> erfüllt habe; doch dürfte er allerdings der Großmuth des<lb/>
Mr. Baine zu empfehlen ſein, welcher ihm wenigſtens einen Theil der<lb/>
accordirten Summe möge zukommen laſſen. Keinen Cent ſoll er ha¬<lb/>
ben, der verfluchte Dutchman! rief Mr. Baine, und damit war die<lb/>
Sache zu Ende. Der Richter machte nur noch ſeine und des Con¬<lb/>ſtablers Rechnung, die er dem Deutſchen ſchnell, denn es war Eſſens¬<lb/>
zeit, überreichte, und woran dieſer zehn Monate lang zu bezahlen hatte.<lb/>
Von Allem entblößt, griff er vor ſechs Wochen zu, auf jenem Farm<lb/>ſich als Knecht zu vermiethen, — um's augenblickliche Brod.</p><lb/><p>Anhorſt hatte inzwiſchen Moorfeld's Pferd in's Auge gefaßt, und<lb/>
machte jetzt einige Bemerkungen über die incorrecte Schule deſſelben.<lb/>
Freimüthig antwortete Moorfeld: Nicht doch, nicht doch! Wir müſſen<lb/>ſolche Geſchichten künftig nur zu Fuß erzählen.</p><lb/><p>Schweigend erreichte das Paar die Farm. Man fand den Tiſch¬<lb/>
ler Rapp beim Ausbeſſern des Fenzenzauns, den ein paar muthige<lb/>
Bullen über Nacht eingeriſſen. Schon aus der Ferne hatte man ihn<lb/>
die ſchweren Pflöcke einrammen gehört. Es war ein Mann von mitt¬<lb/>
lerer Statur, die Haare ſchon hoch in dem Scheitel ausgefallen, der<lb/>
Körper ein wenig gebeugt, und wie es ſchien nicht mehr allzu kräftig.<lb/>
Sein Geſichtsausdruck war unbeholfene Argloſigkeit und ein tüchtiges,<lb/>
aber beſchränktes Selbſtvertrauen. Moorfeld fand ganz das Charakter¬<lb/>
bild aus jenem Proceſſe in ihm.</p><lb/><p>Er fing ein Geſpräch mit ihm an, das ſich, wie es in deutſcher<lb/>
Zunge geführt ward, zunächſt auch auf deutſches Heimathsandenken<lb/>
bezog. Die Augen des Tiſchlers leuchteten wie trunken, und aus<lb/>
tiefſter Seele brach er in den Ausruf aus: Ach, hätten wir in Deutſch¬<lb/>
land Gewerbfreiheit, es wäre das erſte Land in der Welt! Und die<lb/>
politiſche Freiheit Amerika's iſt Euch gleichgiltig? ſagte Moorfeld,<lb/>— indeß mehr um die Begriffe des ſogenannten gemeinen Mannes<lb/>
darüber kennen zu lernen, als in irgend einer directen Abſicht.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[338/0356]
einer Leiſtung hergibt, die ein Anderer auf 200 ſchätzt, das war dem
Amerikaner zu tief verächtlich. Der Amerikaner war wieder einmal
recht groß dem ſchoflen Deutſchen gegenüber. Und ſo fällte denn der
Richter, wie er auf Grund der beiden eidlichen Ausſagen wohl nicht
anders konnte, zuletzt den Urtheilsſpruch: daß der Deutſche ſeinen Con¬
tract nicht erfüllt habe; doch dürfte er allerdings der Großmuth des
Mr. Baine zu empfehlen ſein, welcher ihm wenigſtens einen Theil der
accordirten Summe möge zukommen laſſen. Keinen Cent ſoll er ha¬
ben, der verfluchte Dutchman! rief Mr. Baine, und damit war die
Sache zu Ende. Der Richter machte nur noch ſeine und des Con¬
ſtablers Rechnung, die er dem Deutſchen ſchnell, denn es war Eſſens¬
zeit, überreichte, und woran dieſer zehn Monate lang zu bezahlen hatte.
Von Allem entblößt, griff er vor ſechs Wochen zu, auf jenem Farm
ſich als Knecht zu vermiethen, — um's augenblickliche Brod.
Anhorſt hatte inzwiſchen Moorfeld's Pferd in's Auge gefaßt, und
machte jetzt einige Bemerkungen über die incorrecte Schule deſſelben.
Freimüthig antwortete Moorfeld: Nicht doch, nicht doch! Wir müſſen
ſolche Geſchichten künftig nur zu Fuß erzählen.
Schweigend erreichte das Paar die Farm. Man fand den Tiſch¬
ler Rapp beim Ausbeſſern des Fenzenzauns, den ein paar muthige
Bullen über Nacht eingeriſſen. Schon aus der Ferne hatte man ihn
die ſchweren Pflöcke einrammen gehört. Es war ein Mann von mitt¬
lerer Statur, die Haare ſchon hoch in dem Scheitel ausgefallen, der
Körper ein wenig gebeugt, und wie es ſchien nicht mehr allzu kräftig.
Sein Geſichtsausdruck war unbeholfene Argloſigkeit und ein tüchtiges,
aber beſchränktes Selbſtvertrauen. Moorfeld fand ganz das Charakter¬
bild aus jenem Proceſſe in ihm.
Er fing ein Geſpräch mit ihm an, das ſich, wie es in deutſcher
Zunge geführt ward, zunächſt auch auf deutſches Heimathsandenken
bezog. Die Augen des Tiſchlers leuchteten wie trunken, und aus
tiefſter Seele brach er in den Ausruf aus: Ach, hätten wir in Deutſch¬
land Gewerbfreiheit, es wäre das erſte Land in der Welt! Und die
politiſche Freiheit Amerika's iſt Euch gleichgiltig? ſagte Moorfeld,
— indeß mehr um die Begriffe des ſogenannten gemeinen Mannes
darüber kennen zu lernen, als in irgend einer directen Abſicht.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/356>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.