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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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daß jede Empfindlichkeit hier eine krankhafte wäre, und unterschied sehr
gewissenhaft, wo seine Bildungsaristokratie berechtigt sei und wo nicht.
Aber freilich konnte er nicht umhin, -- wenn nicht zwischen sich und
Anhorst, -- doch zwischen Europa und Amerika bei solchen Gelegen¬
heiten Vergleiche zu machen und sich zu fragen: warum hat dieses
Land den Ruf, daß es sich leichter und freier darin leben läßt, als
in der alten Welt, wo der Bauer nicht den hundertsten Theil jener
Anstelligkeit bedarf, wie der amerikanische Farmer." Und er bedachte
bei diesem Vergleiche, wie charakteristisch er sich selbst in den beider¬
seitigen Redensarten ausdrücke, denn der Amerikaner sagt "sein Leben
machen;" der Europäer aber "sein Glück machen."

Ueber seine Blockhütte hinaus wies die ökonomische Magnetnadel
vor allem Andern nach Neu-Lisbon. Dort war der Pol für den Land¬
verkehr seines "Townships". Das sociale Terrain dieser Stadt nahm
somit den nächsten Rang unter den Gegenständen seines Interesses in
Anspruch.

Leider lag dieses Element in bodenlosester Trübheit. Die Zustände
von Neu-Lisbon gehörten zu jenen sittlichen Erscheinungen, welche man
nach Jahren nicht durchschauen lernt, aber auf den ersten Augenblick
erräth. Zweideutig ist der rechte Ausdruck für das Costüm solcher
Mysterien.

So liefen z. B. alle Fäden, denen Moorfeld nach einer greiflichen
Autorität zu Neu-Lisbon nachging, in dem Kramladen des dasigen
Storekeepers, Mr. Clahane, zusammen, und gruppirten sich um Fässer
voll Schmierseife, Butter, Schweineschmalz, Whisky, Syrup, Zucker,
Kaffee, Mehl, um Haufen von Stiefeln und Schuhen, Röcken und
Beinkleidern, Mützen, Umschlagtüchern, Sätteln, Zäumen, Eisen- und
Blechwaaren, und -- um eine schmutzig abgegriffene Brieftasche. Diese
Brieftasche war der eigentliche Dämon des Orts. Sie war der Sitz
jener geheimnißvollen Kraft, welche in Afrika Fetisch, in Amerika
Humbug heißt. Was sie enthielt wußte Niemand. Sie enthielt eine
lebendige Spinne. Das Netz dieser Spinne war nichts weniger als Neu-
Lisbon selbst, die Grundfäden dieses Netzes waren vielleicht angeknüpft
in Neuyork, in Baltimore, in Philadelphia, -- wer weiß es? wer hat
der Organisation der amerikanischen Landjobberei je auf den Grund ge¬
blickt? Wer kann sagen, daß Mr. Clahane von der geheimen Polizei der

daß jede Empfindlichkeit hier eine krankhafte wäre, und unterſchied ſehr
gewiſſenhaft, wo ſeine Bildungsariſtokratie berechtigt ſei und wo nicht.
Aber freilich konnte er nicht umhin, — wenn nicht zwiſchen ſich und
Anhorſt, — doch zwiſchen Europa und Amerika bei ſolchen Gelegen¬
heiten Vergleiche zu machen und ſich zu fragen: warum hat dieſes
Land den Ruf, daß es ſich leichter und freier darin leben läßt, als
in der alten Welt, wo der Bauer nicht den hundertſten Theil jener
Anſtelligkeit bedarf, wie der amerikaniſche Farmer.“ Und er bedachte
bei dieſem Vergleiche, wie charakteriſtiſch er ſich ſelbſt in den beider¬
ſeitigen Redensarten ausdrücke, denn der Amerikaner ſagt „ſein Leben
machen;“ der Europäer aber „ſein Glück machen.“

Ueber ſeine Blockhütte hinaus wies die ökonomiſche Magnetnadel
vor allem Andern nach Neu-Lisbon. Dort war der Pol für den Land¬
verkehr ſeines „Townſhips“. Das ſociale Terrain dieſer Stadt nahm
ſomit den nächſten Rang unter den Gegenſtänden ſeines Intereſſes in
Anſpruch.

Leider lag dieſes Element in bodenloſeſter Trübheit. Die Zuſtände
von Neu-Lisbon gehörten zu jenen ſittlichen Erſcheinungen, welche man
nach Jahren nicht durchſchauen lernt, aber auf den erſten Augenblick
erräth. Zweideutig iſt der rechte Ausdruck für das Coſtüm ſolcher
Myſterien.

So liefen z. B. alle Fäden, denen Moorfeld nach einer greiflichen
Autorität zu Neu-Lisbon nachging, in dem Kramladen des daſigen
Storekeepers, Mr. Clahane, zuſammen, und gruppirten ſich um Fäſſer
voll Schmierſeife, Butter, Schweineſchmalz, Whisky, Syrup, Zucker,
Kaffee, Mehl, um Haufen von Stiefeln und Schuhen, Röcken und
Beinkleidern, Mützen, Umſchlagtüchern, Sätteln, Zäumen, Eiſen- und
Blechwaaren, und — um eine ſchmutzig abgegriffene Brieftaſche. Dieſe
Brieftaſche war der eigentliche Dämon des Orts. Sie war der Sitz
jener geheimnißvollen Kraft, welche in Afrika Fetiſch, in Amerika
Humbug heißt. Was ſie enthielt wußte Niemand. Sie enthielt eine
lebendige Spinne. Das Netz dieſer Spinne war nichts weniger als Neu-
Lisbon ſelbſt, die Grundfäden dieſes Netzes waren vielleicht angeknüpft
in Neuyork, in Baltimore, in Philadelphia, — wer weiß es? wer hat
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blickt? Wer kann ſagen, daß Mr. Clahane von der geheimen Polizei der

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[328/0346] daß jede Empfindlichkeit hier eine krankhafte wäre, und unterſchied ſehr gewiſſenhaft, wo ſeine Bildungsariſtokratie berechtigt ſei und wo nicht. Aber freilich konnte er nicht umhin, — wenn nicht zwiſchen ſich und Anhorſt, — doch zwiſchen Europa und Amerika bei ſolchen Gelegen¬ heiten Vergleiche zu machen und ſich zu fragen: warum hat dieſes Land den Ruf, daß es ſich leichter und freier darin leben läßt, als in der alten Welt, wo der Bauer nicht den hundertſten Theil jener Anſtelligkeit bedarf, wie der amerikaniſche Farmer.“ Und er bedachte bei dieſem Vergleiche, wie charakteriſtiſch er ſich ſelbſt in den beider¬ ſeitigen Redensarten ausdrücke, denn der Amerikaner ſagt „ſein Leben machen;“ der Europäer aber „ſein Glück machen.“ Ueber ſeine Blockhütte hinaus wies die ökonomiſche Magnetnadel vor allem Andern nach Neu-Lisbon. Dort war der Pol für den Land¬ verkehr ſeines „Townſhips“. Das ſociale Terrain dieſer Stadt nahm ſomit den nächſten Rang unter den Gegenſtänden ſeines Intereſſes in Anſpruch. Leider lag dieſes Element in bodenloſeſter Trübheit. Die Zuſtände von Neu-Lisbon gehörten zu jenen ſittlichen Erſcheinungen, welche man nach Jahren nicht durchſchauen lernt, aber auf den erſten Augenblick erräth. Zweideutig iſt der rechte Ausdruck für das Coſtüm ſolcher Myſterien. So liefen z. B. alle Fäden, denen Moorfeld nach einer greiflichen Autorität zu Neu-Lisbon nachging, in dem Kramladen des daſigen Storekeepers, Mr. Clahane, zuſammen, und gruppirten ſich um Fäſſer voll Schmierſeife, Butter, Schweineſchmalz, Whisky, Syrup, Zucker, Kaffee, Mehl, um Haufen von Stiefeln und Schuhen, Röcken und Beinkleidern, Mützen, Umſchlagtüchern, Sätteln, Zäumen, Eiſen- und Blechwaaren, und — um eine ſchmutzig abgegriffene Brieftaſche. Dieſe Brieftaſche war der eigentliche Dämon des Orts. Sie war der Sitz jener geheimnißvollen Kraft, welche in Afrika Fetiſch, in Amerika Humbug heißt. Was ſie enthielt wußte Niemand. Sie enthielt eine lebendige Spinne. Das Netz dieſer Spinne war nichts weniger als Neu- Lisbon ſelbſt, die Grundfäden dieſes Netzes waren vielleicht angeknüpft in Neuyork, in Baltimore, in Philadelphia, — wer weiß es? wer hat der Organiſation der amerikaniſchen Landjobberei je auf den Grund ge¬ blickt? Wer kann ſagen, daß Mr. Clahane von der geheimen Polizei der

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/346>, abgerufen am 25.11.2024.