Der nächste Nachbar war ihm Anhorst selbst. Mit diesem Manne ging es ihm sonderbar. Wir haben bei Gelegenheit der Landauction bemerkt, daß sein erster Anblick ihm einen fast chevaleresken Eindruck gemacht. Moorfeld verwunderte sich, daß dieser Eindruck nicht wieder kommen wollte. Er vergaß, daß das ausgefieberte dollarhungrige Volk der Yankee-Bauern damals sein vortheilhafter und daß er selbst jetzt sein verdunkelnder Contrast sei. Was von Anhorst auf der Oberfläche seines Lebens zu erblicken, das war und blieb der Nützlichkeitsmensch. In den ersten Tagen und Stunden zwar hatte Moorfeld alle Ursache, sich dazu Glück zu wünschen. Anhorst assistirte ihm bei dem Abschlusse seines Kaufes und dem ganzen Notariatsgeschäfte auf dem Landamte zu Lisbon, er ritt mit ihm auf die Hofstellen der Nachbarn und machte ihn mit den Communalangelegenheiten des County bekannt, er half ihm die vortheilhafteste Lage zum Neubau eines Farms wählen und stellte ihm den ganzen Schatz seiner praktischen Erfahrungen zur Ver¬ fügung, worauf es in Moorfeld's gänzlich neuer und fremdartiger Lage so wesentlich ankam. Er legte selbst wieder Hand an Axt und Säge und hatte im Nu sein log shanty um eine Kammer erweitert, da Moorfeld bis zur Anlegung einer größeren Hofstelle vorläufig bei An¬ horst wohnen blieb. Kurz, er sorgte für ihn, wie ein älterer Bruder für den jüngern, ja, um ein weichlicheres Bild nicht zu scheuen, wie eine Mutter für ihr Kind. Aber das Alles that er, nicht weil es freundlich, sondern weil es -- zweckmäßig war. Er that es, wie die Alpenrose blüht oder die Erdbeere reift, auch an Orten, wo kein Mensch ihrer genießt. Moorfeld fühlte sich kaum Gegenstand davon. Denn ein andermal konnte Moorfeld mit ihm einen Ritt machen, ver¬ tieft in die warme begeisterte Ausführung irgend eines Lieblings¬ gedankens -- ihn treulich anzuhören wäre nur der allergewöhnlichste Gemüthsinstinct gewesen. Aber Anhorst war im Stande, mitten in solchen Ergießungen den nächstbesten Begegnenden anzureden: was das Bushel Weizen in Cleveland mache, und ob es wahr sei, daß Mr. Youatt's Durham-Kuh zu Petersburg eben so gut milche, als Mr. Berry's Ayrshire-Kuh zu Neu-Alexander. Daß man aus freund¬ schaftlicher Aufmerksamkeit die ökonomische auch einmal opfern könne, schien nicht in der Begriffssphäre dieses streng geschulten Mannes zu liegen. Moorfeld achtete ihn deswegen nicht geringer. Er fühlte,
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Der nächſte Nachbar war ihm Anhorſt ſelbſt. Mit dieſem Manne ging es ihm ſonderbar. Wir haben bei Gelegenheit der Landauction bemerkt, daß ſein erſter Anblick ihm einen faſt chevaleresken Eindruck gemacht. Moorfeld verwunderte ſich, daß dieſer Eindruck nicht wieder kommen wollte. Er vergaß, daß das ausgefieberte dollarhungrige Volk der Yankee-Bauern damals ſein vortheilhafter und daß er ſelbſt jetzt ſein verdunkelnder Contraſt ſei. Was von Anhorſt auf der Oberfläche ſeines Lebens zu erblicken, das war und blieb der Nützlichkeitsmenſch. In den erſten Tagen und Stunden zwar hatte Moorfeld alle Urſache, ſich dazu Glück zu wünſchen. Anhorſt aſſiſtirte ihm bei dem Abſchluſſe ſeines Kaufes und dem ganzen Notariatsgeſchäfte auf dem Landamte zu Lisbon, er ritt mit ihm auf die Hofſtellen der Nachbarn und machte ihn mit den Communalangelegenheiten des County bekannt, er half ihm die vortheilhafteſte Lage zum Neubau eines Farms wählen und ſtellte ihm den ganzen Schatz ſeiner praktiſchen Erfahrungen zur Ver¬ fügung, worauf es in Moorfeld's gänzlich neuer und fremdartiger Lage ſo weſentlich ankam. Er legte ſelbſt wieder Hand an Axt und Säge und hatte im Nu ſein log shanty um eine Kammer erweitert, da Moorfeld bis zur Anlegung einer größeren Hofſtelle vorläufig bei An¬ horſt wohnen blieb. Kurz, er ſorgte für ihn, wie ein älterer Bruder für den jüngern, ja, um ein weichlicheres Bild nicht zu ſcheuen, wie eine Mutter für ihr Kind. Aber das Alles that er, nicht weil es freundlich, ſondern weil es — zweckmäßig war. Er that es, wie die Alpenroſe blüht oder die Erdbeere reift, auch an Orten, wo kein Menſch ihrer genießt. Moorfeld fühlte ſich kaum Gegenſtand davon. Denn ein andermal konnte Moorfeld mit ihm einen Ritt machen, ver¬ tieft in die warme begeiſterte Ausführung irgend eines Lieblings¬ gedankens — ihn treulich anzuhören wäre nur der allergewöhnlichſte Gemüthsinſtinct geweſen. Aber Anhorſt war im Stande, mitten in ſolchen Ergießungen den nächſtbeſten Begegnenden anzureden: was das Buſhel Weizen in Cleveland mache, und ob es wahr ſei, daß Mr. Youatt's Durham-Kuh zu Petersburg eben ſo gut milche, als Mr. Berry's Ayrſhire-Kuh zu Neu-Alexander. Daß man aus freund¬ ſchaftlicher Aufmerkſamkeit die ökonomiſche auch einmal opfern könne, ſchien nicht in der Begriffsſphäre dieſes ſtreng geſchulten Mannes zu liegen. Moorfeld achtete ihn deswegen nicht geringer. Er fühlte,
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Der nächſte Nachbar war ihm Anhorſt ſelbſt. Mit dieſem Manne
ging es ihm ſonderbar. Wir haben bei Gelegenheit der Landauction
bemerkt, daß ſein erſter Anblick ihm einen faſt chevaleresken Eindruck
gemacht. Moorfeld verwunderte ſich, daß dieſer Eindruck nicht wieder
kommen wollte. Er vergaß, daß das ausgefieberte dollarhungrige
Volk der Yankee-Bauern damals ſein vortheilhafter und daß er ſelbſt
jetzt ſein verdunkelnder Contraſt ſei. Was von Anhorſt auf der Oberfläche
ſeines Lebens zu erblicken, das war und blieb der Nützlichkeitsmenſch.
In den erſten Tagen und Stunden zwar hatte Moorfeld alle Urſache,
ſich dazu Glück zu wünſchen. Anhorſt aſſiſtirte ihm bei dem Abſchluſſe
ſeines Kaufes und dem ganzen Notariatsgeſchäfte auf dem Landamte
zu Lisbon, er ritt mit ihm auf die Hofſtellen der Nachbarn und machte
ihn mit den Communalangelegenheiten des County bekannt, er half
ihm die vortheilhafteſte Lage zum Neubau eines Farms wählen und
ſtellte ihm den ganzen Schatz ſeiner praktiſchen Erfahrungen zur Ver¬
fügung, worauf es in Moorfeld's gänzlich neuer und fremdartiger Lage
ſo weſentlich ankam. Er legte ſelbſt wieder Hand an Axt und Säge
und hatte im Nu ſein log shanty um eine Kammer erweitert, da
Moorfeld bis zur Anlegung einer größeren Hofſtelle vorläufig bei An¬
horſt wohnen blieb. Kurz, er ſorgte für ihn, wie ein älterer Bruder
für den jüngern, ja, um ein weichlicheres Bild nicht zu ſcheuen, wie
eine Mutter für ihr Kind. Aber das Alles that er, nicht weil es
freundlich, ſondern weil es — zweckmäßig war. Er that es, wie
die Alpenroſe blüht oder die Erdbeere reift, auch an Orten, wo kein
Menſch ihrer genießt. Moorfeld fühlte ſich kaum Gegenſtand davon.
Denn ein andermal konnte Moorfeld mit ihm einen Ritt machen, ver¬
tieft in die warme begeiſterte Ausführung irgend eines Lieblings¬
gedankens — ihn treulich anzuhören wäre nur der allergewöhnlichſte
Gemüthsinſtinct geweſen. Aber Anhorſt war im Stande, mitten in
ſolchen Ergießungen den nächſtbeſten Begegnenden anzureden: was das
Buſhel Weizen in Cleveland mache, und ob es wahr ſei, daß Mr.
Youatt's Durham-Kuh zu Petersburg eben ſo gut milche, als Mr.
Berry's Ayrſhire-Kuh zu Neu-Alexander. Daß man aus freund¬
ſchaftlicher Aufmerkſamkeit die ökonomiſche auch einmal opfern könne,
ſchien nicht in der Begriffsſphäre dieſes ſtreng geſchulten Mannes zu
liegen. Moorfeld achtete ihn deswegen nicht geringer. Er fühlte,
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/345>, abgerufen am 25.11.2024.
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