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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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menschen an diesem rauhen Boden zu befestigen. Er erschrak, wie
wenig seine Reise ihn vorbereitet. Sonst war er frei und heute ge¬
bunden -- das allein entschied.

Moorfeld hatte wenig geschlafen und sein Auge war physisch wie
moralisch überwacht, indem er die Scenerie seiner neuen Umgebung
jetzt überblickte.

Anhorst's Blockhaus war ein sogenanntes Log shanty und be¬
stand, wie alle Obdachungen dieses primitiven Schlags, aus einer
einzigen Kammer. Sie war aus Baumstämmen aufgeführt, welche
roh behauen übereinanderlagen, die Zwischenlucken mit Moos und Lehm
verstopft oder mit dünnen Holzspänen ausgefugt. Eine der Seiten¬
wände zeigte den Ausschnitt für den Kamin und diese war aus Back¬
steinen erbaut. In der Nähe des Kamins stand die Bettstelle; ein
Tisch und eine Bank von barbarischer Arbeit vollendeten das Ameuble¬
ment. An den Wänden hingen die Werkzeuge von einem Dutzend
Handwerken herum, in denen der Hinterwäldler sämmtlich sein Schüler
und Meister zugleich sein muß. Die Diele bestand aus geschlagenem Lehm,
die Fenster waren zwei in die Längenseiten der Hütte geschnittene Löcher,
statt des Glases mit Holzläden versehen. Die Hütte lehnte sich an
den Wald, doch waren die Bäume auf einige Entfernung von ihr
weggebrannt. Vor der Hütte lag das Feld. Es war ein wüster
Fleck Erde, übersäet mit verkohlten Baumpflöcken, zwischen welchen
ein paar spärliche Raufen Getreidegelb fast sich verloren. Das Ganze
umgab jener häßliche Zickzackzaun -- halb ironisch, wie es schien, denn
erst er machte aufmerksam, daß hier überhaupt etwas einzuschließen.

Dieses traurige Gehöft lag in einem Meere von Einsamkeit. Kein
Vogel pfiff, kein Hausthier brüllte, wieherte oder krähte in seiner Nähe
-- die Hausthiere staken im Walddickicht und gaben sich nicht zur länd¬
lichen Staffage her. Es war ein trübseliges Stück Menschen-Existenz.
Das Grab eines Unbegrabenen! sagte Moorfeld bei sich. Doch nahm
er sich zusammen, um seine Wohlthat nicht selbst zu verkürzen, indem
er seine Stimmung verrieth.

Bald erwachte auch Anhorst. Nach den wechselnden Aufregungen
von gestern hatte ihn der Schlaf wie mit eisernen Armen umklam¬
mert. Er stand jetzt rüstig da, aber das Glück seiner neuen Schick¬
salswendung, ja nur die Frische eines gesunden Morgengefühls be¬

menſchen an dieſem rauhen Boden zu befeſtigen. Er erſchrak, wie
wenig ſeine Reiſe ihn vorbereitet. Sonſt war er frei und heute ge¬
bunden — das allein entſchied.

Moorfeld hatte wenig geſchlafen und ſein Auge war phyſiſch wie
moraliſch überwacht, indem er die Scenerie ſeiner neuen Umgebung
jetzt überblickte.

Anhorſt's Blockhaus war ein ſogenanntes Log shanty und be¬
ſtand, wie alle Obdachungen dieſes primitiven Schlags, aus einer
einzigen Kammer. Sie war aus Baumſtämmen aufgeführt, welche
roh behauen übereinanderlagen, die Zwiſchenlucken mit Moos und Lehm
verſtopft oder mit dünnen Holzſpänen ausgefugt. Eine der Seiten¬
wände zeigte den Ausſchnitt für den Kamin und dieſe war aus Back¬
ſteinen erbaut. In der Nähe des Kamins ſtand die Bettſtelle; ein
Tiſch und eine Bank von barbariſcher Arbeit vollendeten das Ameuble¬
ment. An den Wänden hingen die Werkzeuge von einem Dutzend
Handwerken herum, in denen der Hinterwäldler ſämmtlich ſein Schüler
und Meiſter zugleich ſein muß. Die Diele beſtand aus geſchlagenem Lehm,
die Fenſter waren zwei in die Längenſeiten der Hütte geſchnittene Löcher,
ſtatt des Glaſes mit Holzläden verſehen. Die Hütte lehnte ſich an
den Wald, doch waren die Bäume auf einige Entfernung von ihr
weggebrannt. Vor der Hütte lag das Feld. Es war ein wüſter
Fleck Erde, überſäet mit verkohlten Baumpflöcken, zwiſchen welchen
ein paar ſpärliche Raufen Getreidegelb faſt ſich verloren. Das Ganze
umgab jener häßliche Zickzackzaun — halb ironiſch, wie es ſchien, denn
erſt er machte aufmerkſam, daß hier überhaupt etwas einzuſchließen.

Dieſes traurige Gehöft lag in einem Meere von Einſamkeit. Kein
Vogel pfiff, kein Hausthier brüllte, wieherte oder krähte in ſeiner Nähe
— die Hausthiere ſtaken im Walddickicht und gaben ſich nicht zur länd¬
lichen Staffage her. Es war ein trübſeliges Stück Menſchen-Exiſtenz.
Das Grab eines Unbegrabenen! ſagte Moorfeld bei ſich. Doch nahm
er ſich zuſammen, um ſeine Wohlthat nicht ſelbſt zu verkürzen, indem
er ſeine Stimmung verrieth.

Bald erwachte auch Anhorſt. Nach den wechſelnden Aufregungen
von geſtern hatte ihn der Schlaf wie mit eiſernen Armen umklam¬
mert. Er ſtand jetzt rüſtig da, aber das Glück ſeiner neuen Schick¬
ſalswendung, ja nur die Friſche eines geſunden Morgengefühls be¬

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[317/0335] menſchen an dieſem rauhen Boden zu befeſtigen. Er erſchrak, wie wenig ſeine Reiſe ihn vorbereitet. Sonſt war er frei und heute ge¬ bunden — das allein entſchied. Moorfeld hatte wenig geſchlafen und ſein Auge war phyſiſch wie moraliſch überwacht, indem er die Scenerie ſeiner neuen Umgebung jetzt überblickte. Anhorſt's Blockhaus war ein ſogenanntes Log shanty und be¬ ſtand, wie alle Obdachungen dieſes primitiven Schlags, aus einer einzigen Kammer. Sie war aus Baumſtämmen aufgeführt, welche roh behauen übereinanderlagen, die Zwiſchenlucken mit Moos und Lehm verſtopft oder mit dünnen Holzſpänen ausgefugt. Eine der Seiten¬ wände zeigte den Ausſchnitt für den Kamin und dieſe war aus Back¬ ſteinen erbaut. In der Nähe des Kamins ſtand die Bettſtelle; ein Tiſch und eine Bank von barbariſcher Arbeit vollendeten das Ameuble¬ ment. An den Wänden hingen die Werkzeuge von einem Dutzend Handwerken herum, in denen der Hinterwäldler ſämmtlich ſein Schüler und Meiſter zugleich ſein muß. Die Diele beſtand aus geſchlagenem Lehm, die Fenſter waren zwei in die Längenſeiten der Hütte geſchnittene Löcher, ſtatt des Glaſes mit Holzläden verſehen. Die Hütte lehnte ſich an den Wald, doch waren die Bäume auf einige Entfernung von ihr weggebrannt. Vor der Hütte lag das Feld. Es war ein wüſter Fleck Erde, überſäet mit verkohlten Baumpflöcken, zwiſchen welchen ein paar ſpärliche Raufen Getreidegelb faſt ſich verloren. Das Ganze umgab jener häßliche Zickzackzaun — halb ironiſch, wie es ſchien, denn erſt er machte aufmerkſam, daß hier überhaupt etwas einzuſchließen. Dieſes traurige Gehöft lag in einem Meere von Einſamkeit. Kein Vogel pfiff, kein Hausthier brüllte, wieherte oder krähte in ſeiner Nähe — die Hausthiere ſtaken im Walddickicht und gaben ſich nicht zur länd¬ lichen Staffage her. Es war ein trübſeliges Stück Menſchen-Exiſtenz. Das Grab eines Unbegrabenen! ſagte Moorfeld bei ſich. Doch nahm er ſich zuſammen, um ſeine Wohlthat nicht ſelbſt zu verkürzen, indem er ſeine Stimmung verrieth. Bald erwachte auch Anhorſt. Nach den wechſelnden Aufregungen von geſtern hatte ihn der Schlaf wie mit eiſernen Armen umklam¬ mert. Er ſtand jetzt rüſtig da, aber das Glück ſeiner neuen Schick¬ ſalswendung, ja nur die Friſche eines geſunden Morgengefühls be¬

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/335>, abgerufen am 25.11.2024.