beamten nebst zwei langen Bänken für das Publikum, welche an den beiden Längenseiten, des oblongen Quadrats hinliefen. Das Publikum nahm dieselben theilweise ein, theils stand es umher oder ging auf und ab. Es waren meist Hinterwäldler, die in Kitteln von selbstgewebtem Zwilch oder Callico, den groben Strohhut auf dem Kopfe und ein Primchen Tabak zwischen schlechten Zähnen, herumlungerten. Dieser Aufzug war aber auch alles Ländliche an ihnen; Moorfeld bemühte sich vergebens, gewisse allgemein giltige bäuerliche Grundtöne in ihrem Wesen herauszufinden. Kein einziger sah zufrieden, glücklich oder -- ehrlich aus. Ihre Leiber waren vom Fieber abgemagert, welk und schlotterig, ihre gefurchten Gesichter bleich und von Luft und Sonne mehr übermalt als gesund gebräunt, ihre hohlen Augen gingen un¬ ruhig umher, voll List und Verschlagenheit und wie von allseitigen Sorgen umlagert. Es war eine traurige Heerschau für unsern Euro¬ päer. Sind das die Bürger eines freien und glücklichen Landes? fragte er sich unwillkürlich. Zwischen diesen Gestalten bewegten sich noch einige Exemplare aus einer andern Schichte der Gesellschaft; diese waren mehr oder minder städtisch gekleidet, trugen goldene Uhren und affectirten eine gewisse gentlemanische Haltung, Moorfeld erkannte sie aber mühelos als Subjecte von gemeinem Charakter und Gewerbe, sie machten ihm ungefähr den Eindruck von verkommenen Advocaten, oder durchgegangenen Handlungscommis, kurz von Industrierittern auf allen Gäulen. Indem unser Freund das Treiben dieser Leute schärfer beobachtete, merkte er bald, daß sich ihre Tendenzen gemeinschaft¬ lich an einem Manne begegneten, den sie wie Flammen einen festen Körper umzüngelten; wenigstens schien ihre Rolle die angrei¬ fende und die des Andern die passive oder selbst die abwehrende. Der ganze Anblick erinnerte ihn auffallend an seine eigene Stellung weiland im Generallandamt zu Newyork. Diese Aehnlichkeit vermehrte noch das Interesse seiner Beobachtung, das übrigens das Bild jenes einzelnen Mannes schon durch sich selbst zu erregen geeignet war. Derselbe war unverkennbar ein Deutscher, stand in den mittleren Mannesjahren und trug die tiefsten Spuren einer schweren kummer¬ vollen Lebenslast zur Schau. Sein Wesen schien das eines ehrlichen, ja selbst noblen Charakters, die eiserne Hinterwaldsarbeit hatte sein Aeußeres verknechtet, sein Inneres machte noch eine Art von Figur.
beamten nebſt zwei langen Bänken für das Publikum, welche an den beiden Längenſeiten, des oblongen Quadrats hinliefen. Das Publikum nahm dieſelben theilweiſe ein, theils ſtand es umher oder ging auf und ab. Es waren meiſt Hinterwäldler, die in Kitteln von ſelbſtgewebtem Zwilch oder Callico, den groben Strohhut auf dem Kopfe und ein Primchen Tabak zwiſchen ſchlechten Zähnen, herumlungerten. Dieſer Aufzug war aber auch alles Ländliche an ihnen; Moorfeld bemühte ſich vergebens, gewiſſe allgemein giltige bäuerliche Grundtöne in ihrem Weſen herauszufinden. Kein einziger ſah zufrieden, glücklich oder — ehrlich aus. Ihre Leiber waren vom Fieber abgemagert, welk und ſchlotterig, ihre gefurchten Geſichter bleich und von Luft und Sonne mehr übermalt als geſund gebräunt, ihre hohlen Augen gingen un¬ ruhig umher, voll Liſt und Verſchlagenheit und wie von allſeitigen Sorgen umlagert. Es war eine traurige Heerſchau für unſern Euro¬ päer. Sind das die Bürger eines freien und glücklichen Landes? fragte er ſich unwillkürlich. Zwiſchen dieſen Geſtalten bewegten ſich noch einige Exemplare aus einer andern Schichte der Geſellſchaft; dieſe waren mehr oder minder ſtädtiſch gekleidet, trugen goldene Uhren und affectirten eine gewiſſe gentlemaniſche Haltung, Moorfeld erkannte ſie aber mühelos als Subjecte von gemeinem Charakter und Gewerbe, ſie machten ihm ungefähr den Eindruck von verkommenen Advocaten, oder durchgegangenen Handlungscommis, kurz von Induſtrierittern auf allen Gäulen. Indem unſer Freund das Treiben dieſer Leute ſchärfer beobachtete, merkte er bald, daß ſich ihre Tendenzen gemeinſchaft¬ lich an einem Manne begegneten, den ſie wie Flammen einen feſten Körper umzüngelten; wenigſtens ſchien ihre Rolle die angrei¬ fende und die des Andern die paſſive oder ſelbſt die abwehrende. Der ganze Anblick erinnerte ihn auffallend an ſeine eigene Stellung weiland im Generallandamt zu Newyork. Dieſe Aehnlichkeit vermehrte noch das Intereſſe ſeiner Beobachtung, das übrigens das Bild jenes einzelnen Mannes ſchon durch ſich ſelbſt zu erregen geeignet war. Derſelbe war unverkennbar ein Deutſcher, ſtand in den mittleren Mannesjahren und trug die tiefſten Spuren einer ſchweren kummer¬ vollen Lebenslaſt zur Schau. Sein Weſen ſchien das eines ehrlichen, ja ſelbſt noblen Charakters, die eiſerne Hinterwaldsarbeit hatte ſein Aeußeres verknechtet, ſein Inneres machte noch eine Art von Figur.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0322"n="304"/>
beamten nebſt zwei langen Bänken für das Publikum, welche an den<lb/>
beiden Längenſeiten, des oblongen Quadrats hinliefen. Das Publikum<lb/>
nahm dieſelben theilweiſe ein, theils ſtand es umher oder ging auf und ab.<lb/>
Es waren meiſt Hinterwäldler, die in Kitteln von ſelbſtgewebtem<lb/>
Zwilch oder Callico, den groben Strohhut auf dem Kopfe und ein<lb/>
Primchen Tabak zwiſchen ſchlechten Zähnen, herumlungerten. Dieſer<lb/>
Aufzug war aber auch alles Ländliche an ihnen; Moorfeld bemühte<lb/>ſich vergebens, gewiſſe allgemein giltige bäuerliche Grundtöne in ihrem<lb/>
Weſen herauszufinden. Kein einziger ſah zufrieden, glücklich oder —<lb/>
ehrlich aus. Ihre Leiber waren vom Fieber abgemagert, welk und<lb/>ſchlotterig, ihre gefurchten Geſichter bleich und von Luft und Sonne<lb/>
mehr übermalt als geſund gebräunt, ihre hohlen Augen gingen un¬<lb/>
ruhig umher, voll Liſt und Verſchlagenheit und wie von allſeitigen<lb/>
Sorgen umlagert. Es war eine traurige Heerſchau für unſern Euro¬<lb/>
päer. Sind das die Bürger eines freien und glücklichen Landes? fragte<lb/>
er ſich unwillkürlich. Zwiſchen dieſen Geſtalten bewegten ſich noch<lb/>
einige Exemplare aus einer andern Schichte der Geſellſchaft; dieſe<lb/>
waren mehr oder minder ſtädtiſch gekleidet, trugen goldene Uhren und<lb/>
affectirten eine gewiſſe gentlemaniſche Haltung, Moorfeld erkannte ſie<lb/>
aber mühelos als Subjecte von gemeinem Charakter und Gewerbe,<lb/>ſie machten ihm ungefähr den Eindruck von verkommenen Advocaten,<lb/>
oder durchgegangenen Handlungscommis, kurz von Induſtrierittern auf<lb/>
allen Gäulen. Indem unſer Freund das Treiben dieſer Leute ſchärfer<lb/>
beobachtete, merkte er bald, daß ſich ihre Tendenzen gemeinſchaft¬<lb/>
lich an einem Manne begegneten, den ſie wie Flammen einen<lb/>
feſten Körper umzüngelten; wenigſtens ſchien ihre Rolle die angrei¬<lb/>
fende und die des Andern die paſſive oder ſelbſt die abwehrende.<lb/>
Der ganze Anblick erinnerte ihn auffallend an ſeine eigene Stellung<lb/>
weiland im Generallandamt zu Newyork. Dieſe Aehnlichkeit vermehrte<lb/>
noch das Intereſſe ſeiner Beobachtung, das übrigens das Bild jenes<lb/>
einzelnen Mannes ſchon durch ſich ſelbſt zu erregen geeignet war.<lb/>
Derſelbe war unverkennbar ein Deutſcher, ſtand in den mittleren<lb/>
Mannesjahren und trug die tiefſten Spuren einer ſchweren kummer¬<lb/>
vollen Lebenslaſt zur Schau. Sein Weſen ſchien das eines ehrlichen,<lb/>
ja ſelbſt noblen Charakters, die eiſerne Hinterwaldsarbeit hatte ſein<lb/>
Aeußeres verknechtet, ſein Inneres machte noch eine Art von Figur.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[304/0322]
beamten nebſt zwei langen Bänken für das Publikum, welche an den
beiden Längenſeiten, des oblongen Quadrats hinliefen. Das Publikum
nahm dieſelben theilweiſe ein, theils ſtand es umher oder ging auf und ab.
Es waren meiſt Hinterwäldler, die in Kitteln von ſelbſtgewebtem
Zwilch oder Callico, den groben Strohhut auf dem Kopfe und ein
Primchen Tabak zwiſchen ſchlechten Zähnen, herumlungerten. Dieſer
Aufzug war aber auch alles Ländliche an ihnen; Moorfeld bemühte
ſich vergebens, gewiſſe allgemein giltige bäuerliche Grundtöne in ihrem
Weſen herauszufinden. Kein einziger ſah zufrieden, glücklich oder —
ehrlich aus. Ihre Leiber waren vom Fieber abgemagert, welk und
ſchlotterig, ihre gefurchten Geſichter bleich und von Luft und Sonne
mehr übermalt als geſund gebräunt, ihre hohlen Augen gingen un¬
ruhig umher, voll Liſt und Verſchlagenheit und wie von allſeitigen
Sorgen umlagert. Es war eine traurige Heerſchau für unſern Euro¬
päer. Sind das die Bürger eines freien und glücklichen Landes? fragte
er ſich unwillkürlich. Zwiſchen dieſen Geſtalten bewegten ſich noch
einige Exemplare aus einer andern Schichte der Geſellſchaft; dieſe
waren mehr oder minder ſtädtiſch gekleidet, trugen goldene Uhren und
affectirten eine gewiſſe gentlemaniſche Haltung, Moorfeld erkannte ſie
aber mühelos als Subjecte von gemeinem Charakter und Gewerbe,
ſie machten ihm ungefähr den Eindruck von verkommenen Advocaten,
oder durchgegangenen Handlungscommis, kurz von Induſtrierittern auf
allen Gäulen. Indem unſer Freund das Treiben dieſer Leute ſchärfer
beobachtete, merkte er bald, daß ſich ihre Tendenzen gemeinſchaft¬
lich an einem Manne begegneten, den ſie wie Flammen einen
feſten Körper umzüngelten; wenigſtens ſchien ihre Rolle die angrei¬
fende und die des Andern die paſſive oder ſelbſt die abwehrende.
Der ganze Anblick erinnerte ihn auffallend an ſeine eigene Stellung
weiland im Generallandamt zu Newyork. Dieſe Aehnlichkeit vermehrte
noch das Intereſſe ſeiner Beobachtung, das übrigens das Bild jenes
einzelnen Mannes ſchon durch ſich ſelbſt zu erregen geeignet war.
Derſelbe war unverkennbar ein Deutſcher, ſtand in den mittleren
Mannesjahren und trug die tiefſten Spuren einer ſchweren kummer¬
vollen Lebenslaſt zur Schau. Sein Weſen ſchien das eines ehrlichen,
ja ſelbſt noblen Charakters, die eiſerne Hinterwaldsarbeit hatte ſein
Aeußeres verknechtet, ſein Inneres machte noch eine Art von Figur.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/322>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.