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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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lichen Herzens, -- sufficit! Gott, was man bescheiden ist! und doch
handeln sie Einen noch herab und das Leben wird dem Mindest¬
fordernden zugeschlagen.

Meine Sachen, die ich nach Pittsburg adressirt hatte, sind ange¬
kommen; ich packte vor allem meine Violine aus und spielte mir stei¬
rische Ländler vor. Gott weiß, es ist auch höchste Zeit, daß ich mir
ein bischen Humor an's Bein zeche; so eben laufe ich diese Blätter
durch, die von hier an Dich abgehen sollen, und erschrecke über das Grau
in Grau. Wahrlich, es ist sehr praktisch von mir, einem Compagnon,
den ich mir nachlocken will, eine solche Reisebeschreibung zu liefern!
Wärest Du nicht der große, heroische Benthal, so würf' ich das ganze Ge¬
schreibsel in einen Kohlenschlott, wie sie mir zn Dutzenden in das Fenster
hereinstarren. Aber ich sehe Dich schon, wie Du diese Blätter ruhig bei
Seite legst: -- nun gut; das ist Amerika, und das bin ich!

Recht auch; man muß diesem Lande Trotz bieten. Leider! ein
Poet trotzt nicht, er zertrümmert. In der That, es wird mir täglich
und stündlich klarer: ohne Dich ist meine Ansiedlung eine Unmög¬
lichkeit. Ich spüre einen Vernichtungstrieb in mir, der einem Colonisten
schlecht zu Gesichte steht. Mein Gehirn ist wie ein Nest von unaus¬
gebrüteten Blitzen; es kommt mir oft vor, als müßt' ich Unglück an¬
richten oder unglücklich werden, wie's keine Zunge nennt. Wie ein
Orpheus mit klingenden Saiten die Hölle zu zähmen -- dieses Schlags
ist meine Poesie nicht. Die Orpheus-Sage ist der Ausdruck der höch¬
sten und mir wahrhaft unbegreiflichen Milde des griechischen Geistes.
Ich hätte das infernalische Gesindel zum Kampfe fordern müssen;
ich glaube überhaupt: Kampflust ist meine Sangeslust; ich bin ein
metrischer Husar. Das Pack, das Einem die Blume des Lebens ge¬
stohlen hat, das höhere idealische Selbst, mit wohllautenden Accorden
noch anzuleiern, das erfordert eine große Stärke -- in der Schwäche!
Darum bist Du so ein Prachtmensch, weil Dich Dein Herrgott aus
einem Zeug geschnitten hat, das ich für den besten menschlichen Stoff
halte. Du wirst Dich mit den Höllenhunden nicht auf die Mensur
stellen, Du wirst ihnen aber auch kein Adagio in die haarigen Ohren
träufeln: Du hättest Deine Guridice überhaupt nicht mehr auf die
Erde zurückgeführt. Nein, Du hättest es unternommen, die Hölle

lichen Herzens, — sufficit! Gott, was man beſcheiden iſt! und doch
handeln ſie Einen noch herab und das Leben wird dem Mindeſt¬
fordernden zugeſchlagen.

Meine Sachen, die ich nach Pittsburg adreſſirt hatte, ſind ange¬
kommen; ich packte vor allem meine Violine aus und ſpielte mir ſtei¬
riſche Ländler vor. Gott weiß, es iſt auch höchſte Zeit, daß ich mir
ein bischen Humor an's Bein zeche; ſo eben laufe ich dieſe Blätter
durch, die von hier an Dich abgehen ſollen, und erſchrecke über das Grau
in Grau. Wahrlich, es iſt ſehr praktiſch von mir, einem Compagnon,
den ich mir nachlocken will, eine ſolche Reiſebeſchreibung zu liefern!
Wäreſt Du nicht der große, heroiſche Benthal, ſo würf' ich das ganze Ge¬
ſchreibſel in einen Kohlenſchlott, wie ſie mir zn Dutzenden in das Fenſter
hereinſtarren. Aber ich ſehe Dich ſchon, wie Du dieſe Blätter ruhig bei
Seite legſt: — nun gut; das iſt Amerika, und das bin ich!

Recht auch; man muß dieſem Lande Trotz bieten. Leider! ein
Poet trotzt nicht, er zertrümmert. In der That, es wird mir täglich
und ſtündlich klarer: ohne Dich iſt meine Anſiedlung eine Unmög¬
lichkeit. Ich ſpüre einen Vernichtungstrieb in mir, der einem Coloniſten
ſchlecht zu Geſichte ſteht. Mein Gehirn iſt wie ein Neſt von unaus¬
gebrüteten Blitzen; es kommt mir oft vor, als müßt' ich Unglück an¬
richten oder unglücklich werden, wie's keine Zunge nennt. Wie ein
Orpheus mit klingenden Saiten die Hölle zu zähmen — dieſes Schlags
iſt meine Poeſie nicht. Die Orpheus-Sage iſt der Ausdruck der höch¬
ſten und mir wahrhaft unbegreiflichen Milde des griechiſchen Geiſtes.
Ich hätte das infernaliſche Geſindel zum Kampfe fordern müſſen;
ich glaube überhaupt: Kampfluſt iſt meine Sangesluſt; ich bin ein
metriſcher Huſar. Das Pack, das Einem die Blume des Lebens ge¬
ſtohlen hat, das höhere idealiſche Selbſt, mit wohllautenden Accorden
noch anzuleiern, das erfordert eine große Stärke — in der Schwäche!
Darum biſt Du ſo ein Prachtmenſch, weil Dich Dein Herrgott aus
einem Zeug geſchnitten hat, das ich für den beſten menſchlichen Stoff
halte. Du wirſt Dich mit den Höllenhunden nicht auf die Menſur
ſtellen, Du wirſt ihnen aber auch kein Adagio in die haarigen Ohren
träufeln: Du hätteſt Deine Guridice überhaupt nicht mehr auf die
Erde zurückgeführt. Nein, Du hätteſt es unternommen, die Hölle

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[298/0316] lichen Herzens, — sufficit! Gott, was man beſcheiden iſt! und doch handeln ſie Einen noch herab und das Leben wird dem Mindeſt¬ fordernden zugeſchlagen. Meine Sachen, die ich nach Pittsburg adreſſirt hatte, ſind ange¬ kommen; ich packte vor allem meine Violine aus und ſpielte mir ſtei¬ riſche Ländler vor. Gott weiß, es iſt auch höchſte Zeit, daß ich mir ein bischen Humor an's Bein zeche; ſo eben laufe ich dieſe Blätter durch, die von hier an Dich abgehen ſollen, und erſchrecke über das Grau in Grau. Wahrlich, es iſt ſehr praktiſch von mir, einem Compagnon, den ich mir nachlocken will, eine ſolche Reiſebeſchreibung zu liefern! Wäreſt Du nicht der große, heroiſche Benthal, ſo würf' ich das ganze Ge¬ ſchreibſel in einen Kohlenſchlott, wie ſie mir zn Dutzenden in das Fenſter hereinſtarren. Aber ich ſehe Dich ſchon, wie Du dieſe Blätter ruhig bei Seite legſt: — nun gut; das iſt Amerika, und das bin ich! Recht auch; man muß dieſem Lande Trotz bieten. Leider! ein Poet trotzt nicht, er zertrümmert. In der That, es wird mir täglich und ſtündlich klarer: ohne Dich iſt meine Anſiedlung eine Unmög¬ lichkeit. Ich ſpüre einen Vernichtungstrieb in mir, der einem Coloniſten ſchlecht zu Geſichte ſteht. Mein Gehirn iſt wie ein Neſt von unaus¬ gebrüteten Blitzen; es kommt mir oft vor, als müßt' ich Unglück an¬ richten oder unglücklich werden, wie's keine Zunge nennt. Wie ein Orpheus mit klingenden Saiten die Hölle zu zähmen — dieſes Schlags iſt meine Poeſie nicht. Die Orpheus-Sage iſt der Ausdruck der höch¬ ſten und mir wahrhaft unbegreiflichen Milde des griechiſchen Geiſtes. Ich hätte das infernaliſche Geſindel zum Kampfe fordern müſſen; ich glaube überhaupt: Kampfluſt iſt meine Sangesluſt; ich bin ein metriſcher Huſar. Das Pack, das Einem die Blume des Lebens ge¬ ſtohlen hat, das höhere idealiſche Selbſt, mit wohllautenden Accorden noch anzuleiern, das erfordert eine große Stärke — in der Schwäche! Darum biſt Du ſo ein Prachtmenſch, weil Dich Dein Herrgott aus einem Zeug geſchnitten hat, das ich für den beſten menſchlichen Stoff halte. Du wirſt Dich mit den Höllenhunden nicht auf die Menſur ſtellen, Du wirſt ihnen aber auch kein Adagio in die haarigen Ohren träufeln: Du hätteſt Deine Guridice überhaupt nicht mehr auf die Erde zurückgeführt. Nein, Du hätteſt es unternommen, die Hölle

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/316>, abgerufen am 22.11.2024.