Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

um im tiefsten Moos vielleicht ein verspätetes Thautröpfchen zu lecken.
Ich und mein Pferd litten martervoll. Die Zunge hing dem armen
Thier weit aus dem Halse, und doch konnte ich ihm meine Last nicht
ersparen, denn auf dem heißen Boden, gepeitscht von dem glühenden
Steppengestripp, war kein menschliches Fortkommen. Ich theilte mit
dem Thier redlich den Rest meiner Bouillontafeln und Chokolade, aber
zuletzt half Alles nichts mehr, was uns allein Noth that, war ein
ein Trunk Wasser. Meiner Meinung nach ritten wir auf ziemliche
Nähe dem Monongahela entgegen, und ich war sehr beunruhigt, daß
das Pferd die Witterung des Wassers nicht hatte. Aber es regte sich
auch kein Lüftchen. Endlich merkte mein Auge in der gradlinigen
Fläche eine kleine Erhebung. Der Boden formte sich zu einem jener
platten Hügel, die man hier Bluffs nennt, und die, wo sie die
Prairie unterbrechen, gewöhnlich einer menschlichen Wirthschaft zur
Anlehne dienen. Und wirklich war es so. Als ich dem langgestreckten
langweiligen Hügelding näher kam, lag denn so ein viereckiger Farm¬
kasten glücklich vor mir. Aber um das Haus herum regte sich nicht
die geringste menschliche Spur; die Thür stand sperrangelweit offen.
Die ganze Avenue war nichts weniger als wirthlich. Deßungeachtet
sprang ich mit beiden Füßen aus den Steigbügeln und war mit
Einem Satz im Innern der Hütte. In demselben Augenblick erhob
sich eine Stimme darin: Um Gotteswillen, einen Trunk Wasser! Es
war eine Frau, welche angekleidet auf dem Bette lag und offenbar
nur einen menschlichen Fußtritt erwartet hatte, um so zu stehen. Die
Frau hatte das Fieber. Matt schlug sie die Augen auf, ich las darin,
daß ich der Mann nicht war, den sie erwartet, aber Ueberraschung,
Bestürzung las ich nicht darin. Es war die tiefe hohle Gleichgiltigkeit
der resignirten Verzweiflung. Ohne mich zu besinnen, ergriff ich den
Wasserkrug, der bis zum letzten Tropfen geleert war. Die Frau be¬
schrieb mir mit schwacher Stimme die Richtung zu der nahen Quelle
und warf sich nach dieser Anstrengung wieder hin, wie Einer, der ein
gutes Testament gemacht hat. Cäsar, der den Wasserkrug sah, trabte
instinctmäßig mit mir, und seinen Nüstern mehr als dem todesmatten
Gemurmel der Frau verdankt' ich das directe Auffinden der Wasser¬
quelle. Wir labten uns so eilig als möglich, das Thier ließ ich an
dem weidigen Plätzchen, mit dem Krug eilte ich an den Mund der

um im tiefſten Moos vielleicht ein verſpätetes Thautröpfchen zu lecken.
Ich und mein Pferd litten martervoll. Die Zunge hing dem armen
Thier weit aus dem Halſe, und doch konnte ich ihm meine Laſt nicht
erſparen, denn auf dem heißen Boden, gepeitſcht von dem glühenden
Steppengeſtripp, war kein menſchliches Fortkommen. Ich theilte mit
dem Thier redlich den Reſt meiner Bouillontafeln und Chokolade, aber
zuletzt half Alles nichts mehr, was uns allein Noth that, war ein
ein Trunk Waſſer. Meiner Meinung nach ritten wir auf ziemliche
Nähe dem Monongahela entgegen, und ich war ſehr beunruhigt, daß
das Pferd die Witterung des Waſſers nicht hatte. Aber es regte ſich
auch kein Lüftchen. Endlich merkte mein Auge in der gradlinigen
Fläche eine kleine Erhebung. Der Boden formte ſich zu einem jener
platten Hügel, die man hier Bluffs nennt, und die, wo ſie die
Prairie unterbrechen, gewöhnlich einer menſchlichen Wirthſchaft zur
Anlehne dienen. Und wirklich war es ſo. Als ich dem langgeſtreckten
langweiligen Hügelding näher kam, lag denn ſo ein viereckiger Farm¬
kaſten glücklich vor mir. Aber um das Haus herum regte ſich nicht
die geringſte menſchliche Spur; die Thür ſtand ſperrangelweit offen.
Die ganze Avenue war nichts weniger als wirthlich. Deßungeachtet
ſprang ich mit beiden Füßen aus den Steigbügeln und war mit
Einem Satz im Innern der Hütte. In demſelben Augenblick erhob
ſich eine Stimme darin: Um Gotteswillen, einen Trunk Waſſer! Es
war eine Frau, welche angekleidet auf dem Bette lag und offenbar
nur einen menſchlichen Fußtritt erwartet hatte, um ſo zu ſtehen. Die
Frau hatte das Fieber. Matt ſchlug ſie die Augen auf, ich las darin,
daß ich der Mann nicht war, den ſie erwartet, aber Ueberraſchung,
Beſtürzung las ich nicht darin. Es war die tiefe hohle Gleichgiltigkeit
der reſignirten Verzweiflung. Ohne mich zu beſinnen, ergriff ich den
Waſſerkrug, der bis zum letzten Tropfen geleert war. Die Frau be¬
ſchrieb mir mit ſchwacher Stimme die Richtung zu der nahen Quelle
und warf ſich nach dieſer Anſtrengung wieder hin, wie Einer, der ein
gutes Teſtament gemacht hat. Cäſar, der den Waſſerkrug ſah, trabte
inſtinctmäßig mit mir, und ſeinen Nüſtern mehr als dem todesmatten
Gemurmel der Frau verdankt' ich das directe Auffinden der Waſſer¬
quelle. Wir labten uns ſo eilig als möglich, das Thier ließ ich an
dem weidigen Plätzchen, mit dem Krug eilte ich an den Mund der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0312" n="294"/>
um im tief&#x017F;ten Moos vielleicht ein ver&#x017F;pätetes Thautröpfchen zu lecken.<lb/>
Ich und mein Pferd litten martervoll. Die Zunge hing dem armen<lb/>
Thier weit aus dem Hal&#x017F;e, und doch konnte ich ihm meine La&#x017F;t nicht<lb/>
er&#x017F;paren, denn auf dem heißen Boden, gepeit&#x017F;cht von dem glühenden<lb/>
Steppenge&#x017F;tripp, war kein men&#x017F;chliches Fortkommen. Ich theilte mit<lb/>
dem Thier redlich den Re&#x017F;t meiner Bouillontafeln und Chokolade, aber<lb/>
zuletzt half Alles nichts mehr, was uns allein Noth that, war ein<lb/>
ein Trunk Wa&#x017F;&#x017F;er. Meiner Meinung nach ritten wir auf ziemliche<lb/>
Nähe dem Monongahela entgegen, und ich war &#x017F;ehr beunruhigt, daß<lb/>
das Pferd die Witterung des Wa&#x017F;&#x017F;ers nicht hatte. Aber es regte &#x017F;ich<lb/>
auch kein Lüftchen. Endlich merkte mein Auge in der gradlinigen<lb/>
Fläche eine kleine Erhebung. Der Boden formte &#x017F;ich zu einem jener<lb/>
platten Hügel, die man hier <hi rendition="#g">Bluffs</hi> nennt, und die, wo &#x017F;ie die<lb/>
Prairie unterbrechen, gewöhnlich einer men&#x017F;chlichen Wirth&#x017F;chaft zur<lb/>
Anlehne dienen. Und wirklich war es &#x017F;o. Als ich dem langge&#x017F;treckten<lb/>
langweiligen Hügelding näher kam, lag denn &#x017F;o ein viereckiger Farm¬<lb/>
ka&#x017F;ten glücklich vor mir. Aber um das Haus herum regte &#x017F;ich nicht<lb/>
die gering&#x017F;te men&#x017F;chliche Spur; die Thür &#x017F;tand &#x017F;perrangelweit offen.<lb/>
Die ganze Avenue war nichts weniger als wirthlich. Deßungeachtet<lb/>
&#x017F;prang ich mit beiden Füßen aus den Steigbügeln und war mit<lb/>
Einem Satz im Innern der Hütte. In dem&#x017F;elben Augenblick erhob<lb/>
&#x017F;ich eine Stimme darin: Um Gotteswillen, einen Trunk Wa&#x017F;&#x017F;er! Es<lb/>
war eine Frau, welche angekleidet auf dem Bette lag und offenbar<lb/>
nur einen men&#x017F;chlichen Fußtritt erwartet hatte, um &#x017F;o zu &#x017F;tehen. Die<lb/>
Frau hatte das Fieber. Matt &#x017F;chlug &#x017F;ie die Augen auf, ich las darin,<lb/>
daß ich der Mann nicht war, den &#x017F;ie erwartet, aber Ueberra&#x017F;chung,<lb/>
Be&#x017F;türzung las ich nicht darin. Es war die tiefe hohle Gleichgiltigkeit<lb/>
der re&#x017F;ignirten Verzweiflung. Ohne mich zu be&#x017F;innen, ergriff ich den<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;erkrug, der bis zum letzten Tropfen geleert war. Die Frau be¬<lb/>
&#x017F;chrieb mir mit &#x017F;chwacher Stimme die Richtung zu der nahen Quelle<lb/>
und warf &#x017F;ich nach die&#x017F;er An&#x017F;trengung wieder hin, wie Einer, der ein<lb/>
gutes Te&#x017F;tament gemacht hat. Cä&#x017F;ar, der den Wa&#x017F;&#x017F;erkrug &#x017F;ah, trabte<lb/>
in&#x017F;tinctmäßig mit mir, und &#x017F;einen Nü&#x017F;tern mehr als dem todesmatten<lb/>
Gemurmel der Frau verdankt' ich das directe Auffinden der Wa&#x017F;&#x017F;er¬<lb/>
quelle. Wir labten uns &#x017F;o eilig als möglich, das Thier ließ ich an<lb/>
dem weidigen Plätzchen, mit dem Krug eilte ich an den Mund der<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[294/0312] um im tiefſten Moos vielleicht ein verſpätetes Thautröpfchen zu lecken. Ich und mein Pferd litten martervoll. Die Zunge hing dem armen Thier weit aus dem Halſe, und doch konnte ich ihm meine Laſt nicht erſparen, denn auf dem heißen Boden, gepeitſcht von dem glühenden Steppengeſtripp, war kein menſchliches Fortkommen. Ich theilte mit dem Thier redlich den Reſt meiner Bouillontafeln und Chokolade, aber zuletzt half Alles nichts mehr, was uns allein Noth that, war ein ein Trunk Waſſer. Meiner Meinung nach ritten wir auf ziemliche Nähe dem Monongahela entgegen, und ich war ſehr beunruhigt, daß das Pferd die Witterung des Waſſers nicht hatte. Aber es regte ſich auch kein Lüftchen. Endlich merkte mein Auge in der gradlinigen Fläche eine kleine Erhebung. Der Boden formte ſich zu einem jener platten Hügel, die man hier Bluffs nennt, und die, wo ſie die Prairie unterbrechen, gewöhnlich einer menſchlichen Wirthſchaft zur Anlehne dienen. Und wirklich war es ſo. Als ich dem langgeſtreckten langweiligen Hügelding näher kam, lag denn ſo ein viereckiger Farm¬ kaſten glücklich vor mir. Aber um das Haus herum regte ſich nicht die geringſte menſchliche Spur; die Thür ſtand ſperrangelweit offen. Die ganze Avenue war nichts weniger als wirthlich. Deßungeachtet ſprang ich mit beiden Füßen aus den Steigbügeln und war mit Einem Satz im Innern der Hütte. In demſelben Augenblick erhob ſich eine Stimme darin: Um Gotteswillen, einen Trunk Waſſer! Es war eine Frau, welche angekleidet auf dem Bette lag und offenbar nur einen menſchlichen Fußtritt erwartet hatte, um ſo zu ſtehen. Die Frau hatte das Fieber. Matt ſchlug ſie die Augen auf, ich las darin, daß ich der Mann nicht war, den ſie erwartet, aber Ueberraſchung, Beſtürzung las ich nicht darin. Es war die tiefe hohle Gleichgiltigkeit der reſignirten Verzweiflung. Ohne mich zu beſinnen, ergriff ich den Waſſerkrug, der bis zum letzten Tropfen geleert war. Die Frau be¬ ſchrieb mir mit ſchwacher Stimme die Richtung zu der nahen Quelle und warf ſich nach dieſer Anſtrengung wieder hin, wie Einer, der ein gutes Teſtament gemacht hat. Cäſar, der den Waſſerkrug ſah, trabte inſtinctmäßig mit mir, und ſeinen Nüſtern mehr als dem todesmatten Gemurmel der Frau verdankt' ich das directe Auffinden der Waſſer¬ quelle. Wir labten uns ſo eilig als möglich, das Thier ließ ich an dem weidigen Plätzchen, mit dem Krug eilte ich an den Mund der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/312
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/312>, abgerufen am 25.11.2024.