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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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diener der Quadratmeilen gewöhnlich ausrechnen. -- Ich sprach von
Wind und Wetter, die sind gleichfalls prosaisch in den Alleghanen.
Gestern erlebt' ich ein Gewitter, das war so zahm, daß es mir fast
aus der Hand fraß. Alles, was ein Gewitter in europäischen Mittel¬
gebirgen gleicher Höhe an Effekten der Optik und Akustik leistet, fehlt
hier. Engpässe, Schluchten, Abgründe, reichgegliederte Bergwande¬
rungen, Zacken, Spitze, Kante -- nichts dieser Art wirkt hier auf die
atmosphärische Landschaft zurück. Ueberraschende Lichtwechsel, kühne
Wolkenbildungen, starke Donner, phantastische Echo's gehören nicht
zum Heerbann des Alleghany-Gewitters. Der Himmel ist so arm
wie die Erde. Droben geistlos, drunten formlos -- so reise ich
durch dieses "unentwickelte Bergsystem".


Nach Pittsburg. -- Auch die heutige Strecke war arm an
Naturschönheiten. Manch freundliche Ansicht -- aber man wird das
Freundliche doch endlich müde, wenn es ewig das Nämliche bleibt.
Es fehlt gar zu sehr an Abwechslung. Die amerikanische Landschaft
gleicht jenen Weibern, welche eben nichts zu sein wissen, als Geschlecht.
Da ist ein gewisses Inventar von natürlichen Mitteln; wirken sie --
gut; wenn nicht -- nicht. Aber Holz und Wasser ist noch nicht Wald
und Fluß. Ueberall fehlt der Natur Sinn für schöne Gruppirung;
sie weiß nicht zu überraschen, nicht zu zürnen, nicht zu versöhnen;
was Licht und Schatten, was die Macht der Nüance sei -- nichts
weiß sie, nichts. Jener Ober-Chinese, der den Ausdruck erfunden
hat "Vorrathskammern der Natur", verdient Entschuldigung; was ich
von dem Lande hier sehe, hätt' ich ihn selbst erfunden. So und so
viel Centner Braunkohle, Eisenstein, Gyps, Mergel, das ist hier die
Natur. Ob diese "Bodenschätze" (auch ein verfluchtes Wort!) mit
einer malerischen Oberfläche das Auge erfreuen, dafür ist nirgends
gesorgt. Auch von "Culturlandschaft" ist eigentlich nur unter deutschen
Händen die Rede. Amerikanische Cultur entstellt das Land eher, als
daß sie es verschönert. Der Amerikaner ist nicht Bauer, nur Frei¬
beuter. Er setzt seinen Fuß auf die Erde, haut, sticht, sengt und
brennt in sie hinein, und verläßt sie dann wieder. Er hat kein Ge¬
müthsverhältniß zum Boden, auf dem er sitzt. Sein Haus liegt da

diener der Quadratmeilen gewöhnlich ausrechnen. — Ich ſprach von
Wind und Wetter, die ſind gleichfalls proſaiſch in den Alleghanen.
Geſtern erlebt' ich ein Gewitter, das war ſo zahm, daß es mir faſt
aus der Hand fraß. Alles, was ein Gewitter in europäiſchen Mittel¬
gebirgen gleicher Höhe an Effekten der Optik und Akuſtik leiſtet, fehlt
hier. Engpäſſe, Schluchten, Abgründe, reichgegliederte Bergwande¬
rungen, Zacken, Spitze, Kante — nichts dieſer Art wirkt hier auf die
atmoſphäriſche Landſchaft zurück. Ueberraſchende Lichtwechſel, kühne
Wolkenbildungen, ſtarke Donner, phantaſtiſche Echo's gehören nicht
zum Heerbann des Alleghany-Gewitters. Der Himmel iſt ſo arm
wie die Erde. Droben geiſtlos, drunten formlos — ſo reiſe ich
durch dieſes „unentwickelte Bergſyſtem”.


Nach Pittsburg. — Auch die heutige Strecke war arm an
Naturſchönheiten. Manch freundliche Anſicht — aber man wird das
Freundliche doch endlich müde, wenn es ewig das Nämliche bleibt.
Es fehlt gar zu ſehr an Abwechslung. Die amerikaniſche Landſchaft
gleicht jenen Weibern, welche eben nichts zu ſein wiſſen, als Geſchlecht.
Da iſt ein gewiſſes Inventar von natürlichen Mitteln; wirken ſie —
gut; wenn nicht — nicht. Aber Holz und Waſſer iſt noch nicht Wald
und Fluß. Ueberall fehlt der Natur Sinn für ſchöne Gruppirung;
ſie weiß nicht zu überraſchen, nicht zu zürnen, nicht zu verſöhnen;
was Licht und Schatten, was die Macht der Nüance ſei — nichts
weiß ſie, nichts. Jener Ober-Chineſe, der den Ausdruck erfunden
hat „Vorrathskammern der Natur”, verdient Entſchuldigung; was ich
von dem Lande hier ſehe, hätt' ich ihn ſelbſt erfunden. So und ſo
viel Centner Braunkohle, Eiſenſtein, Gyps, Mergel, das iſt hier die
Natur. Ob dieſe „Bodenſchätze“ (auch ein verfluchtes Wort!) mit
einer maleriſchen Oberfläche das Auge erfreuen, dafür iſt nirgends
geſorgt. Auch von „Culturlandſchaft“ iſt eigentlich nur unter deutſchen
Händen die Rede. Amerikaniſche Cultur entſtellt das Land eher, als
daß ſie es verſchönert. Der Amerikaner iſt nicht Bauer, nur Frei¬
beuter. Er ſetzt ſeinen Fuß auf die Erde, haut, ſticht, ſengt und
brennt in ſie hinein, und verläßt ſie dann wieder. Er hat kein Ge¬
müthsverhältniß zum Boden, auf dem er ſitzt. Sein Haus liegt da

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[284/0302] diener der Quadratmeilen gewöhnlich ausrechnen. — Ich ſprach von Wind und Wetter, die ſind gleichfalls proſaiſch in den Alleghanen. Geſtern erlebt' ich ein Gewitter, das war ſo zahm, daß es mir faſt aus der Hand fraß. Alles, was ein Gewitter in europäiſchen Mittel¬ gebirgen gleicher Höhe an Effekten der Optik und Akuſtik leiſtet, fehlt hier. Engpäſſe, Schluchten, Abgründe, reichgegliederte Bergwande¬ rungen, Zacken, Spitze, Kante — nichts dieſer Art wirkt hier auf die atmoſphäriſche Landſchaft zurück. Ueberraſchende Lichtwechſel, kühne Wolkenbildungen, ſtarke Donner, phantaſtiſche Echo's gehören nicht zum Heerbann des Alleghany-Gewitters. Der Himmel iſt ſo arm wie die Erde. Droben geiſtlos, drunten formlos — ſo reiſe ich durch dieſes „unentwickelte Bergſyſtem”. Nach Pittsburg. — Auch die heutige Strecke war arm an Naturſchönheiten. Manch freundliche Anſicht — aber man wird das Freundliche doch endlich müde, wenn es ewig das Nämliche bleibt. Es fehlt gar zu ſehr an Abwechslung. Die amerikaniſche Landſchaft gleicht jenen Weibern, welche eben nichts zu ſein wiſſen, als Geſchlecht. Da iſt ein gewiſſes Inventar von natürlichen Mitteln; wirken ſie — gut; wenn nicht — nicht. Aber Holz und Waſſer iſt noch nicht Wald und Fluß. Ueberall fehlt der Natur Sinn für ſchöne Gruppirung; ſie weiß nicht zu überraſchen, nicht zu zürnen, nicht zu verſöhnen; was Licht und Schatten, was die Macht der Nüance ſei — nichts weiß ſie, nichts. Jener Ober-Chineſe, der den Ausdruck erfunden hat „Vorrathskammern der Natur”, verdient Entſchuldigung; was ich von dem Lande hier ſehe, hätt' ich ihn ſelbſt erfunden. So und ſo viel Centner Braunkohle, Eiſenſtein, Gyps, Mergel, das iſt hier die Natur. Ob dieſe „Bodenſchätze“ (auch ein verfluchtes Wort!) mit einer maleriſchen Oberfläche das Auge erfreuen, dafür iſt nirgends geſorgt. Auch von „Culturlandſchaft“ iſt eigentlich nur unter deutſchen Händen die Rede. Amerikaniſche Cultur entſtellt das Land eher, als daß ſie es verſchönert. Der Amerikaner iſt nicht Bauer, nur Frei¬ beuter. Er ſetzt ſeinen Fuß auf die Erde, haut, ſticht, ſengt und brennt in ſie hinein, und verläßt ſie dann wieder. Er hat kein Ge¬ müthsverhältniß zum Boden, auf dem er ſitzt. Sein Haus liegt da

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/302>, abgerufen am 22.11.2024.