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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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und West ihre Fronten ins Land kehren, so gibt es auf jeden Hügel
von ein paar Ellen Höhe eine freundliche, anmuthige Umschau. Kurz
das Land ist nicht eben malerisch, aber heiter, behaglich.


Nach Harrisburg. -- Im Postwagen ist der Mensch fast
auf der ganzen Erde unliebenswürdig, der reisende Yankee aber ist
ein Ungeheuer. Ich erlebte heute eine Probe davon, die auch
einen Holländer toll gemacht hätte. Ich fuhr im Stagewagen
nach Reading, oder vielmehr in der Richtung dahin. Meine Reise¬
gefährten waren: erstens, ein Kaufmann aus Sunbury, zugleich
Schuldistrictsvorsteher, Milizlieutenant, Geschworner, Straßenbau¬
commissär, Bibelverbreiter, Sträflingsbesserer und Temperance-
Ausschuß-Mitglied, Zweitens, ein Indian-Trader, einer aus
dem Orden jener speculativen Industrie-Ritter, welche zur Zeit,
wenn die expropriirten Indianerstämme ihre Renten für abgetretene
Ländereien ausbezahlt bekommen, mit nichtsnutzigem Hausirerkram,
hölzernen Muskatnüssen, hörnernen Feuersteinen, schlechtem Branntwein
u. dgl. den fernen Westen bereisen und sich das Blutgeld wieder heim
holen. Drittens, die blasse, grämliche Frau eines Philadelphier-Advokaten,
welche viel über Unverdaulichkeit klagte und ein noch blässeres Kind
auf dem Schooße hielt, ein Würmlein -- Gott verzeih's -- wie eine
Made. Nun höre, wie mir's zwischen diesen drei Menschen erging.
Der Indian-Trader hatte mir gleich beim Einsteigen seinen dick¬
benagelten Stiefelabsatz in die Herzgrube gedrückt und mir das Herz
fast abgedrückt. Als er dann saß, legte er seine zwei langen Beine
wie Greifscheeren auseinander und zwar auf meine Schultern. Da¬
gegen durfte ich eigentlich nichts einwenden, denn das Recht der Bein¬
ausstreckung gehört in jeder Lage des Körpers zu den wichtigsten
Privilegien des Yankee. Blos auf dem Wege des friedlichen Ver¬
trages erschlich ich mir so viel, daß er die Beine nach Art eines
Viaducts über meinen Kopf spannte, und sich's gefallen ließ, da
ihnen die Unterlage meiner Schultern entzogen war, daß ich sie mit
meinem Taschentuche oben an die Wagendecke knüpfte. Der Kaufmann
von Sunbury, der uns so eifrig von seiner bürgerlichen Vielseitigkeit
unterhielt, war im Laufe dieser Anstrengung eingeschlafen, und erkor mich

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und Weſt ihre Fronten ins Land kehren, ſo gibt es auf jeden Hügel
von ein paar Ellen Höhe eine freundliche, anmuthige Umſchau. Kurz
das Land iſt nicht eben maleriſch, aber heiter, behaglich.


Nach Harrisburg. — Im Poſtwagen iſt der Menſch faſt
auf der ganzen Erde unliebenswürdig, der reiſende Yankee aber iſt
ein Ungeheuer. Ich erlebte heute eine Probe davon, die auch
einen Holländer toll gemacht hätte. Ich fuhr im Stagewagen
nach Reading, oder vielmehr in der Richtung dahin. Meine Reiſe¬
gefährten waren: erſtens, ein Kaufmann aus Sunbury, zugleich
Schuldiſtrictsvorſteher, Milizlieutenant, Geſchworner, Straßenbau¬
commiſſär, Bibelverbreiter, Sträflingsbeſſerer und Temperance-
Ausſchuß-Mitglied, Zweitens, ein Indian-Trader, einer aus
dem Orden jener ſpeculativen Induſtrie-Ritter, welche zur Zeit,
wenn die expropriirten Indianerſtämme ihre Renten für abgetretene
Ländereien ausbezahlt bekommen, mit nichtsnutzigem Hauſirerkram,
hölzernen Muskatnüſſen, hörnernen Feuerſteinen, ſchlechtem Branntwein
u. dgl. den fernen Weſten bereiſen und ſich das Blutgeld wieder heim
holen. Drittens, die blaſſe, grämliche Frau eines Philadelphier-Advokaten,
welche viel über Unverdaulichkeit klagte und ein noch bläſſeres Kind
auf dem Schooße hielt, ein Würmlein — Gott verzeih's — wie eine
Made. Nun höre, wie mir's zwiſchen dieſen drei Menſchen erging.
Der Indian-Trader hatte mir gleich beim Einſteigen ſeinen dick¬
benagelten Stiefelabſatz in die Herzgrube gedrückt und mir das Herz
faſt abgedrückt. Als er dann ſaß, legte er ſeine zwei langen Beine
wie Greifſcheeren auseinander und zwar auf meine Schultern. Da¬
gegen durfte ich eigentlich nichts einwenden, denn das Recht der Bein¬
ausſtreckung gehört in jeder Lage des Körpers zu den wichtigſten
Privilegien des Yankee. Blos auf dem Wege des friedlichen Ver¬
trages erſchlich ich mir ſo viel, daß er die Beine nach Art eines
Viaducts über meinen Kopf ſpannte, und ſich's gefallen ließ, da
ihnen die Unterlage meiner Schultern entzogen war, daß ich ſie mit
meinem Taſchentuche oben an die Wagendecke knüpfte. Der Kaufmann
von Sunbury, der uns ſo eifrig von ſeiner bürgerlichen Vielſeitigkeit
unterhielt, war im Laufe dieſer Anſtrengung eingeſchlafen, und erkor mich

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[275/0293] und Weſt ihre Fronten ins Land kehren, ſo gibt es auf jeden Hügel von ein paar Ellen Höhe eine freundliche, anmuthige Umſchau. Kurz das Land iſt nicht eben maleriſch, aber heiter, behaglich. Nach Harrisburg. — Im Poſtwagen iſt der Menſch faſt auf der ganzen Erde unliebenswürdig, der reiſende Yankee aber iſt ein Ungeheuer. Ich erlebte heute eine Probe davon, die auch einen Holländer toll gemacht hätte. Ich fuhr im Stagewagen nach Reading, oder vielmehr in der Richtung dahin. Meine Reiſe¬ gefährten waren: erſtens, ein Kaufmann aus Sunbury, zugleich Schuldiſtrictsvorſteher, Milizlieutenant, Geſchworner, Straßenbau¬ commiſſär, Bibelverbreiter, Sträflingsbeſſerer und Temperance- Ausſchuß-Mitglied, Zweitens, ein Indian-Trader, einer aus dem Orden jener ſpeculativen Induſtrie-Ritter, welche zur Zeit, wenn die expropriirten Indianerſtämme ihre Renten für abgetretene Ländereien ausbezahlt bekommen, mit nichtsnutzigem Hauſirerkram, hölzernen Muskatnüſſen, hörnernen Feuerſteinen, ſchlechtem Branntwein u. dgl. den fernen Weſten bereiſen und ſich das Blutgeld wieder heim holen. Drittens, die blaſſe, grämliche Frau eines Philadelphier-Advokaten, welche viel über Unverdaulichkeit klagte und ein noch bläſſeres Kind auf dem Schooße hielt, ein Würmlein — Gott verzeih's — wie eine Made. Nun höre, wie mir's zwiſchen dieſen drei Menſchen erging. Der Indian-Trader hatte mir gleich beim Einſteigen ſeinen dick¬ benagelten Stiefelabſatz in die Herzgrube gedrückt und mir das Herz faſt abgedrückt. Als er dann ſaß, legte er ſeine zwei langen Beine wie Greifſcheeren auseinander und zwar auf meine Schultern. Da¬ gegen durfte ich eigentlich nichts einwenden, denn das Recht der Bein¬ ausſtreckung gehört in jeder Lage des Körpers zu den wichtigſten Privilegien des Yankee. Blos auf dem Wege des friedlichen Ver¬ trages erſchlich ich mir ſo viel, daß er die Beine nach Art eines Viaducts über meinen Kopf ſpannte, und ſich's gefallen ließ, da ihnen die Unterlage meiner Schultern entzogen war, daß ich ſie mit meinem Taſchentuche oben an die Wagendecke knüpfte. Der Kaufmann von Sunbury, der uns ſo eifrig von ſeiner bürgerlichen Vielſeitigkeit unterhielt, war im Laufe dieſer Anſtrengung eingeſchlafen, und erkor mich 18*

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/293>, abgerufen am 22.11.2024.