Was unsterblich im Gesang soll leben Muß im Leben untergehn --
der Teufel selbst hat Ihnen das gesagt, Herr Hofrath! Wie die Herr'n Brüder das Leben kannten!
Damit läßt er, oder verliert er die Gesellschaft aus den Augen.
Auch die äußere Scene um ihn ist jetzt verwandelt. Nur wenige Schritte haben ihn nach der Stadtseite der Battery geführt, und schon zeigt die Anlage ein wesentlich städtisches Bild. Eine Reihe glänzen¬ der Cafes gruppirt sich hier unter den Schattengängen des Parks, sie schließen sich zum voll gewundenen Kranze besonders an der Fronte, wo die Straßen Newyorks in den großen Halbzirkel der Auffahrt zusammenmünden. Zwar umwittert ein Geist von Einsamkeit diese Pavillons, welche nur Sommererfrischungen bieten, und nichts von jenen nahrhafteren Genüssen eines amerikanischen Frühstücks, dessen Stunde eben regiert: deßungeachtet fehlt es den Cafes nicht an Leben. So z. B. stimmt gleich im nächstgelegenen ein Orchester von Schwar¬ zen seine Instrumente, und veranlaßt unsern Gast ein Glas Eis zu nehmen, als Folie seines ersten amerikanischen Kunstgenusses. Das Concert beginnt. Ein seltsam zerhackter Rhythmus, dessen Tactart in einigem Dunkel schwebt, und überdies von jedem der einzelnen Künstler ziemlich selbstständig gehandhabt wird! Aber wie wird unserm Zuhörer, als die Melodie, ohne alle Vermittlung, plötzlich aus Dur in Moll überspringt? Entsetzt fährt er auf, reißt dem Vorgeiger die Violine aus der Hand, und spielt ihm die Figur correct vor. Alle Anwesenden staunen den Europäer an, Niemand begreift die Einmischung eines Gentlemans in das "Handwerk" der Schwarzen. Diese selbst am Wenigsten. Zwar hören sie mit geschmeicheltem Lächeln dem Spiele des Fremden zu, als aber die Reihe wieder an sie kommt, stellt sich an derselben Stelle auch derselbe Barbarismus wieder ein. Ob man hier aller Orts die Ausübung der Musik diesen Negern überlasse? fragt der bestürzte Kunstfreund den Aufwärter. -- In der Regel, mein Herr, war die Antwort, die Niggers haben mehr Talent dafür als die weißen Natives. Einige Anwesende sahen den unaussprechlichen Gesichtsausdruck des Fremden, und er glaubt zu hören, wie sie sich zuflüsterten: Ein Deutscher! Darauf nimmt einer derselben laut das
Ich glaube es Ihnen, Herr Geheimerath!
Was unſterblich im Geſang ſoll leben Muß im Leben untergehn —
der Teufel ſelbſt hat Ihnen das geſagt, Herr Hofrath! Wie die Herr'n Brüder das Leben kannten!
Damit läßt er, oder verliert er die Geſellſchaft aus den Augen.
Auch die äußere Scene um ihn iſt jetzt verwandelt. Nur wenige Schritte haben ihn nach der Stadtſeite der Battery geführt, und ſchon zeigt die Anlage ein weſentlich ſtädtiſches Bild. Eine Reihe glänzen¬ der Cafés gruppirt ſich hier unter den Schattengängen des Parks, ſie ſchließen ſich zum voll gewundenen Kranze beſonders an der Fronte, wo die Straßen Newyorks in den großen Halbzirkel der Auffahrt zuſammenmünden. Zwar umwittert ein Geiſt von Einſamkeit dieſe Pavillons, welche nur Sommererfriſchungen bieten, und nichts von jenen nahrhafteren Genüſſen eines amerikaniſchen Frühſtücks, deſſen Stunde eben regiert: deßungeachtet fehlt es den Cafés nicht an Leben. So z. B. ſtimmt gleich im nächſtgelegenen ein Orcheſter von Schwar¬ zen ſeine Inſtrumente, und veranlaßt unſern Gaſt ein Glas Eis zu nehmen, als Folie ſeines erſten amerikaniſchen Kunſtgenuſſes. Das Concert beginnt. Ein ſeltſam zerhackter Rhythmus, deſſen Tactart in einigem Dunkel ſchwebt, und überdies von jedem der einzelnen Künſtler ziemlich ſelbſtſtändig gehandhabt wird! Aber wie wird unſerm Zuhörer, als die Melodie, ohne alle Vermittlung, plötzlich aus Dur in Moll überſpringt? Entſetzt fährt er auf, reißt dem Vorgeiger die Violine aus der Hand, und ſpielt ihm die Figur correct vor. Alle Anweſenden ſtaunen den Europäer an, Niemand begreift die Einmiſchung eines Gentlemans in das „Handwerk“ der Schwarzen. Dieſe ſelbſt am Wenigſten. Zwar hören ſie mit geſchmeicheltem Lächeln dem Spiele des Fremden zu, als aber die Reihe wieder an ſie kommt, ſtellt ſich an derſelben Stelle auch derſelbe Barbarismus wieder ein. Ob man hier aller Orts die Ausübung der Muſik dieſen Negern überlaſſe? fragt der beſtürzte Kunſtfreund den Aufwärter. — In der Regel, mein Herr, war die Antwort, die Niggers haben mehr Talent dafür als die weißen Natives. Einige Anweſende ſahen den unausſprechlichen Geſichtsausdruck des Fremden, und er glaubt zu hören, wie ſie ſich zuflüſterten: Ein Deutſcher! Darauf nimmt einer derſelben laut das
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Ich glaube es Ihnen, Herr Geheimerath!
Was unſterblich im Geſang ſoll leben
Muß im Leben untergehn —
der Teufel ſelbſt hat Ihnen das geſagt, Herr Hofrath! Wie die Herr'n
Brüder das Leben kannten!
Damit läßt er, oder verliert er die Geſellſchaft aus den Augen.
Auch die äußere Scene um ihn iſt jetzt verwandelt. Nur wenige
Schritte haben ihn nach der Stadtſeite der Battery geführt, und ſchon
zeigt die Anlage ein weſentlich ſtädtiſches Bild. Eine Reihe glänzen¬
der Cafés gruppirt ſich hier unter den Schattengängen des Parks, ſie
ſchließen ſich zum voll gewundenen Kranze beſonders an der Fronte,
wo die Straßen Newyorks in den großen Halbzirkel der Auffahrt
zuſammenmünden. Zwar umwittert ein Geiſt von Einſamkeit dieſe
Pavillons, welche nur Sommererfriſchungen bieten, und nichts von
jenen nahrhafteren Genüſſen eines amerikaniſchen Frühſtücks, deſſen
Stunde eben regiert: deßungeachtet fehlt es den Cafés nicht an Leben.
So z. B. ſtimmt gleich im nächſtgelegenen ein Orcheſter von Schwar¬
zen ſeine Inſtrumente, und veranlaßt unſern Gaſt ein Glas Eis zu
nehmen, als Folie ſeines erſten amerikaniſchen Kunſtgenuſſes. Das
Concert beginnt. Ein ſeltſam zerhackter Rhythmus, deſſen Tactart in
einigem Dunkel ſchwebt, und überdies von jedem der einzelnen Künſtler
ziemlich ſelbſtſtändig gehandhabt wird! Aber wie wird unſerm Zuhörer,
als die Melodie, ohne alle Vermittlung, plötzlich aus Dur in Moll
überſpringt? Entſetzt fährt er auf, reißt dem Vorgeiger die Violine
aus der Hand, und ſpielt ihm die Figur correct vor. Alle Anweſenden
ſtaunen den Europäer an, Niemand begreift die Einmiſchung eines
Gentlemans in das „Handwerk“ der Schwarzen. Dieſe ſelbſt am
Wenigſten. Zwar hören ſie mit geſchmeicheltem Lächeln dem Spiele
des Fremden zu, als aber die Reihe wieder an ſie kommt, ſtellt ſich
an derſelben Stelle auch derſelbe Barbarismus wieder ein. Ob man
hier aller Orts die Ausübung der Muſik dieſen Negern überlaſſe?
fragt der beſtürzte Kunſtfreund den Aufwärter. — In der Regel, mein
Herr, war die Antwort, die Niggers haben mehr Talent dafür als
die weißen Natives. Einige Anweſende ſahen den unausſprechlichen
Geſichtsausdruck des Fremden, und er glaubt zu hören, wie ſie ſich
zuflüſterten: Ein Deutſcher! Darauf nimmt einer derſelben laut das
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/28>, abgerufen am 21.11.2024.
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