Es erfreuet ihn nicht der begeisterte Kiel Und die schönen, geschriebenen Träume, Es bevölkert kein luftiges Schattenspiel Des Hauses einsame Räume; Der Freund der Menschheit, der Bürger der Welt, Er weinet, daß ihm das Nächste fehlt!
Und der stolze Geist, er kehret zurück Zu der Menschheit ältestem Triebe, Das erste sucht er, das süßeste Glück In des Weibes Schönheit und Liebe; Die Hütte wird ihm, der häusliche Herd, Die Stimme des Herzens das Höchste werth!
Wohlan denn, so klag' es und sag' es nur: Dies Herz, es leidet und liebet! Mit ihm ist ja ewig die Macht der Natur, Und alles Andre zerstiebet. Es singet der Menschlichkeit sterbender Schwan, Wenn des Weibes vergißt der vergeistigte Mann!
Hier ist der Liebe, sagte Moorfeld, nichts Geringeres als die ganze Menschheitsgeschichte entgegengesetzt. Familie -- Stamm -- Volk -- Cosmopolitismus -- vier Weltalter überwindet sie und setzt sich als ihr Letztes, wie sie ihr Erstes war. So verstärkt sich das Gefühl durch die Macht der Idee. Was hilft es, den Professor zum Schäfer zu verkleiden, und im Zeitalter der Reflexion das Haferrohr des Naturlauts zu blasen? Viel besser, man gesteht diese Reflexion tapfer ein, holt aber eben aus ihr die tiefere und tiefste Begründung des Naturlauts. Ist das geschehen, dann darf der Liebende wieder wei¬ nen wie das erste einfachste Menschenkind, und wahrlich, er weint dann erschütternder, als der Berg weint, "weil noch sein Lenz nicht kommen will." Thränen, die über Gedanken rieseln, das sind Thrä¬ nen! die sind des Weibes werth!
Howland antwortete auf diese Demonstration mit einem gänzlichen Abspringen von derselben: Wahrhaftig, Sir, sagte er, ich finde es wenig paßlich, in Amerika ein amerikanisches Gedicht herabzuwürdigen!
Jetzt erkannte Moorfeld die deutliche Absicht dieses Menschen, einen Eclat herbeizuführen. Hatte er so lange ihm Rede gestanden,
Es erfreuet ihn nicht der begeiſterte Kiel Und die ſchönen, geſchriebenen Träume, Es bevölkert kein luftiges Schattenſpiel Des Hauſes einſame Räume; Der Freund der Menſchheit, der Bürger der Welt, Er weinet, daß ihm das Nächſte fehlt!
Und der ſtolze Geiſt, er kehret zurück Zu der Menſchheit älteſtem Triebe, Das erſte ſucht er, das ſüßeſte Glück In des Weibes Schönheit und Liebe; Die Hütte wird ihm, der häusliche Herd, Die Stimme des Herzens das Höchſte werth!
Wohlan denn, ſo klag' es und ſag' es nur: Dies Herz, es leidet und liebet! Mit ihm iſt ja ewig die Macht der Natur, Und alles Andre zerſtiebet. Es ſinget der Menſchlichkeit ſterbender Schwan, Wenn des Weibes vergißt der vergeiſtigte Mann!
Hier iſt der Liebe, ſagte Moorfeld, nichts Geringeres als die ganze Menſchheitsgeſchichte entgegengeſetzt. Familie — Stamm — Volk — Cosmopolitismus — vier Weltalter überwindet ſie und ſetzt ſich als ihr Letztes, wie ſie ihr Erſtes war. So verſtärkt ſich das Gefühl durch die Macht der Idee. Was hilft es, den Profeſſor zum Schäfer zu verkleiden, und im Zeitalter der Reflexion das Haferrohr des Naturlauts zu blaſen? Viel beſſer, man geſteht dieſe Reflexion tapfer ein, holt aber eben aus ihr die tiefere und tiefſte Begründung des Naturlauts. Iſt das geſchehen, dann darf der Liebende wieder wei¬ nen wie das erſte einfachſte Menſchenkind, und wahrlich, er weint dann erſchütternder, als der Berg weint, „weil noch ſein Lenz nicht kommen will.“ Thränen, die über Gedanken rieſeln, das ſind Thrä¬ nen! die ſind des Weibes werth!
Howland antwortete auf dieſe Demonſtration mit einem gänzlichen Abſpringen von derſelben: Wahrhaftig, Sir, ſagte er, ich finde es wenig paßlich, in Amerika ein amerikaniſches Gedicht herabzuwürdigen!
Jetzt erkannte Moorfeld die deutliche Abſicht dieſes Menſchen, einen Eclat herbeizuführen. Hatte er ſo lange ihm Rede geſtanden,
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Es erfreuet ihn nicht der begeiſterte Kiel
Und die ſchönen, geſchriebenen Träume,
Es bevölkert kein luftiges Schattenſpiel
Des Hauſes einſame Räume;
Der Freund der Menſchheit, der Bürger der Welt,
Er weinet, daß ihm das Nächſte fehlt!
Und der ſtolze Geiſt, er kehret zurück
Zu der Menſchheit älteſtem Triebe,
Das erſte ſucht er, das ſüßeſte Glück
In des Weibes Schönheit und Liebe;
Die Hütte wird ihm, der häusliche Herd,
Die Stimme des Herzens das Höchſte werth!
Wohlan denn, ſo klag' es und ſag' es nur:
Dies Herz, es leidet und liebet!
Mit ihm iſt ja ewig die Macht der Natur,
Und alles Andre zerſtiebet.
Es ſinget der Menſchlichkeit ſterbender Schwan,
Wenn des Weibes vergißt der vergeiſtigte Mann!
Hier iſt der Liebe, ſagte Moorfeld, nichts Geringeres als die
ganze Menſchheitsgeſchichte entgegengeſetzt. Familie — Stamm —
Volk — Cosmopolitismus — vier Weltalter überwindet ſie und ſetzt
ſich als ihr Letztes, wie ſie ihr Erſtes war. So verſtärkt ſich das
Gefühl durch die Macht der Idee. Was hilft es, den Profeſſor zum
Schäfer zu verkleiden, und im Zeitalter der Reflexion das Haferrohr
des Naturlauts zu blaſen? Viel beſſer, man geſteht dieſe Reflexion
tapfer ein, holt aber eben aus ihr die tiefere und tiefſte Begründung des
Naturlauts. Iſt das geſchehen, dann darf der Liebende wieder wei¬
nen wie das erſte einfachſte Menſchenkind, und wahrlich, er weint
dann erſchütternder, als der Berg weint, „weil noch ſein Lenz nicht
kommen will.“ Thränen, die über Gedanken rieſeln, das ſind Thrä¬
nen! die ſind des Weibes werth!
Howland antwortete auf dieſe Demonſtration mit einem gänzlichen
Abſpringen von derſelben: Wahrhaftig, Sir, ſagte er, ich finde es
wenig paßlich, in Amerika ein amerikaniſches Gedicht herabzuwürdigen!
Jetzt erkannte Moorfeld die deutliche Abſicht dieſes Menſchen,
einen Eclat herbeizuführen. Hatte er ſo lange ihm Rede geſtanden,
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/271>, abgerufen am 16.02.2025.
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