Ihr Urtheil drückt auf das zarte und leicht verletzliche Geschlecht mit einer Last, sagte er zu Moorfeld gewendet, die ich fast grausam nennen möchte. Sie verbinden, Sie ziehen Schlüsse, Sie combiniren Cha¬ rakterzüge der unschuldigsten und gravirendsten Art mit einer so dra¬ konischen Logik, daß Sie den Charakter des Weiblichen eigentlich auf¬ heben zu wollen scheinen. Wenigstens sehe ich nicht, wie vor der Methode Ihres Urtheilens zwischen dem Liebenswürdigen und dem Abscheulichen noch eine Unterscheidung bestehen soll, wenn die leichteste Nüance eine Art Hängebrücke abgibt, auf welcher der kecke Fuß des Consequenz-Kundigen schwindelfrei hin und wieder hüpft. Was Sie Detailsinn oder Sinn des Kleinlichen nennen, wurde mir übrigens dankenswerth klar in Ihrer Ausführung; so klar, daß mir zu Muthe war, ich sähe diesen minütiösen Sinn gleichsam vor meinen Augen stehen. Und nicht nur jenem Geschlechte --
Mr. Howland dachte nicht anders, als er würde die Dame des Winkels mit diesem Plaidoyer der classischen Ecke anzunähern im Stande sein. Nur ein Schritt war noch zu thun. Aber Cöleste gewährte ihm diesen Schritt nicht. Sie stand vielmehr und erwartete mit unverhohlener Spannung Moorfeld's Antwort.
Moorfeld unterbrach seinen Gegner in dem Augenblicke, als jener eine directe Injurie ausgesprochen hatte und noch fortzuführen im Begriffe war. Er unterbrach ihn im Tone eines ruhigen, obgleich ernsten Verweises.
Halten Sie ein, mein Herr, sagte er. Wenn Sie für Frauen sprechen, so engagiren Sie Ihr Gespräch so, daß Sie Frauen nicht erschrecken. Sie haben herausfordernd gesprochen und wollte ich her¬ ausfordernd antworten, so würden wir eine Dame verscheuchen, die wir zu fesseln wünschen. Also nichts mehr von diesem Genre, wenn ich bitten darf. Und mehr gegen Cöleste gewendet, fuhr er fort: Es ist wahr, ich schließe von kleinen Zügen oft auf den ganzen Charakter. Diese Mikrologie mag ihr Grausames haben, wenn der Schluß un¬ günstig ausfällt. Ich gebe das zu. Ich sehe aber nicht ein, warum ich den Baum nur am Stamm und nicht auch in seinen zartesten Ausspitzungen erkennen sollte. Und ist es ein edler Baum, so erkenne ich seinen Adel eben so leicht an. So hat es einst mein günstigstes Vorurtheil erregt -- aber ich will mir erlauben, den kleinen Zug zu
Ihr Urtheil drückt auf das zarte und leicht verletzliche Geſchlecht mit einer Laſt, ſagte er zu Moorfeld gewendet, die ich faſt grauſam nennen möchte. Sie verbinden, Sie ziehen Schlüſſe, Sie combiniren Cha¬ rakterzüge der unſchuldigſten und gravirendſten Art mit einer ſo dra¬ koniſchen Logik, daß Sie den Charakter des Weiblichen eigentlich auf¬ heben zu wollen ſcheinen. Wenigſtens ſehe ich nicht, wie vor der Methode Ihres Urtheilens zwiſchen dem Liebenswürdigen und dem Abſcheulichen noch eine Unterſcheidung beſtehen ſoll, wenn die leichteſte Nüance eine Art Hängebrücke abgibt, auf welcher der kecke Fuß des Conſequenz-Kundigen ſchwindelfrei hin und wieder hüpft. Was Sie Detailſinn oder Sinn des Kleinlichen nennen, wurde mir übrigens dankenswerth klar in Ihrer Ausführung; ſo klar, daß mir zu Muthe war, ich ſähe dieſen minütiöſen Sinn gleichſam vor meinen Augen ſtehen. Und nicht nur jenem Geſchlechte —
Mr. Howland dachte nicht anders, als er würde die Dame des Winkels mit dieſem Plaidoyer der claſſiſchen Ecke anzunähern im Stande ſein. Nur ein Schritt war noch zu thun. Aber Cöleſte gewährte ihm dieſen Schritt nicht. Sie ſtand vielmehr und erwartete mit unverhohlener Spannung Moorfeld's Antwort.
Moorfeld unterbrach ſeinen Gegner in dem Augenblicke, als jener eine directe Injurie ausgeſprochen hatte und noch fortzuführen im Begriffe war. Er unterbrach ihn im Tone eines ruhigen, obgleich ernſten Verweiſes.
Halten Sie ein, mein Herr, ſagte er. Wenn Sie für Frauen ſprechen, ſo engagiren Sie Ihr Geſpräch ſo, daß Sie Frauen nicht erſchrecken. Sie haben herausfordernd geſprochen und wollte ich her¬ ausfordernd antworten, ſo würden wir eine Dame verſcheuchen, die wir zu feſſeln wünſchen. Alſo nichts mehr von dieſem Genre, wenn ich bitten darf. Und mehr gegen Cöleſte gewendet, fuhr er fort: Es iſt wahr, ich ſchließe von kleinen Zügen oft auf den ganzen Charakter. Dieſe Mikrologie mag ihr Grauſames haben, wenn der Schluß un¬ günſtig ausfällt. Ich gebe das zu. Ich ſehe aber nicht ein, warum ich den Baum nur am Stamm und nicht auch in ſeinen zarteſten Ausſpitzungen erkennen ſollte. Und iſt es ein edler Baum, ſo erkenne ich ſeinen Adel eben ſo leicht an. So hat es einſt mein günſtigſtes Vorurtheil erregt — aber ich will mir erlauben, den kleinen Zug zu
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Ihr Urtheil drückt auf das zarte und leicht verletzliche Geſchlecht mit
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möchte. Sie verbinden, Sie ziehen Schlüſſe, Sie combiniren Cha¬
rakterzüge der unſchuldigſten und gravirendſten Art mit einer ſo dra¬
koniſchen Logik, daß Sie den Charakter des Weiblichen eigentlich auf¬
heben zu wollen ſcheinen. Wenigſtens ſehe ich nicht, wie vor der
Methode Ihres Urtheilens zwiſchen dem Liebenswürdigen und dem
Abſcheulichen noch eine Unterſcheidung beſtehen ſoll, wenn die leichteſte
Nüance eine Art Hängebrücke abgibt, auf welcher der kecke Fuß des
Conſequenz-Kundigen ſchwindelfrei hin und wieder hüpft. Was Sie
Detailſinn oder Sinn des Kleinlichen nennen, wurde mir übrigens
dankenswerth klar in Ihrer Ausführung; ſo klar, daß mir zu Muthe
war, ich ſähe dieſen minütiöſen Sinn gleichſam vor meinen Augen
ſtehen. Und nicht nur jenem Geſchlechte —
Mr. Howland dachte nicht anders, als er würde die Dame des
Winkels mit dieſem Plaidoyer der claſſiſchen Ecke anzunähern im
Stande ſein. Nur ein Schritt war noch zu thun. Aber Cöleſte
gewährte ihm dieſen Schritt nicht. Sie ſtand vielmehr und erwartete
mit unverhohlener Spannung Moorfeld's Antwort.
Moorfeld unterbrach ſeinen Gegner in dem Augenblicke, als jener
eine directe Injurie ausgeſprochen hatte und noch fortzuführen im
Begriffe war. Er unterbrach ihn im Tone eines ruhigen, obgleich
ernſten Verweiſes.
Halten Sie ein, mein Herr, ſagte er. Wenn Sie für Frauen
ſprechen, ſo engagiren Sie Ihr Geſpräch ſo, daß Sie Frauen nicht
erſchrecken. Sie haben herausfordernd geſprochen und wollte ich her¬
ausfordernd antworten, ſo würden wir eine Dame verſcheuchen, die
wir zu feſſeln wünſchen. Alſo nichts mehr von dieſem Genre, wenn
ich bitten darf. Und mehr gegen Cöleſte gewendet, fuhr er fort: Es
iſt wahr, ich ſchließe von kleinen Zügen oft auf den ganzen Charakter.
Dieſe Mikrologie mag ihr Grauſames haben, wenn der Schluß un¬
günſtig ausfällt. Ich gebe das zu. Ich ſehe aber nicht ein, warum
ich den Baum nur am Stamm und nicht auch in ſeinen zarteſten
Ausſpitzungen erkennen ſollte. Und iſt es ein edler Baum, ſo erkenne
ich ſeinen Adel eben ſo leicht an. So hat es einſt mein günſtigſtes
Vorurtheil erregt — aber ich will mir erlauben, den kleinen Zug zu
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/263>, abgerufen am 22.11.2024.
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