Wir sehen, der flüchtige Blick auf die Persönlichkeit dieses Mannes hat uns nicht getäuscht. Ein Mensch steht vor uns, den nicht die ge¬ meinste Noth beeilt, der sein Leben nicht auf Bestellung lebt, aber Ein Auftrag scheint ihm geworden: das Subject zu vertreten in der Welt der objectiven Aeußerlichkeiten.
Wir belauschen seine Gedanken nicht mehr wie am Bord des Schiffes. Dort waren sie ein Aufblitz der Begeisterung, ein Halle¬ lujah, hier sind sie eine stille Messe der Andacht. Er ist mehr bei sich selbst, als bei der Welt; von Zeit zu Zeit fließt ein leiser Schrift¬ zug in sein Taschenbuch. Anfangs häufiger, bald aber sparsamer und mit manch ungeduldigem Correcturstrich. Das macht, die Battery ist nicht ganz so geräuschlos wie es zuerst schien. Die Stadt, die hinter diesem dünnen Vorhang von Bäumen liegt, kann ihre mächtige Nähe nicht leicht verschweigen. Schauerlich tönt's da herein. Die indu¬ striellen Donner, das friedliche Kriegsgetümmel, das Jagdgeheul der Nahrungssorgen, die ganze Symphonie eines Werktages, der für eine halbe Welt arbeitet, pflanzt sich mit dumpfem Schwalle über die Wipfel des Parks fort. Kein Künstler vermag das Ungesehene lebendiger zu veranschaulichen, als diese taube Masse unvermischbarer Geräusche das Freskogemälde einer großen Stadt zeichnet. Einer Stadt, die noch an sich selbst arbeitet, und schon ein weltgroßes Hinterland auszu¬ arbeiten hat! Ein Kessel, der zugleich braut, da er noch unterm Ham¬ mer ist! Kein Wunder, wenn sich das Erdbeben dieses Bodens nicht unterbinden läßt mit der Schnur, die ein paar Alleen zieht! Die Battery ist das Erkerstübchen Newyorks. So weit sie sich ausladet in das schöne, blaue Meer -- sie kann dem Hause doch nicht ent¬ fliehen, dem sie angehört. Und wie dieses Haus in allen Sparren und Balken dröhnt, so zittern auch die Fenster des Erkers, auf dem Brette wanken die Blumenstöcke, und dem Großvater an der Wand fährt's stoßweise durch die Glieder, daß er manchmal zu nicken scheint, wie der Gouverneur zu Pferde. Da ist das Töchterchen, das ihren Dichter lesen, der Sohn, der seinen Euklid studiren will, auch nicht so ganz geborgen im Erkerstübchen. Unser Spaziergänger empfindet's.
In dem Lärm, der seine Promenade umbrandet, hat er von Zeit zu Zeit eine hellgellende Knabenstimme unterschieden, die mit dem robustesten Pathos eine Waare von unwiderstehlicher Zugkraft auszu¬
Wir ſehen, der flüchtige Blick auf die Perſönlichkeit dieſes Mannes hat uns nicht getäuſcht. Ein Menſch ſteht vor uns, den nicht die ge¬ meinſte Noth beeilt, der ſein Leben nicht auf Beſtellung lebt, aber Ein Auftrag ſcheint ihm geworden: das Subject zu vertreten in der Welt der objectiven Aeußerlichkeiten.
Wir belauſchen ſeine Gedanken nicht mehr wie am Bord des Schiffes. Dort waren ſie ein Aufblitz der Begeiſterung, ein Halle¬ lujah, hier ſind ſie eine ſtille Meſſe der Andacht. Er iſt mehr bei ſich ſelbſt, als bei der Welt; von Zeit zu Zeit fließt ein leiſer Schrift¬ zug in ſein Taſchenbuch. Anfangs häufiger, bald aber ſparſamer und mit manch ungeduldigem Correcturſtrich. Das macht, die Battery iſt nicht ganz ſo geräuſchlos wie es zuerſt ſchien. Die Stadt, die hinter dieſem dünnen Vorhang von Bäumen liegt, kann ihre mächtige Nähe nicht leicht verſchweigen. Schauerlich tönt's da herein. Die indu¬ ſtriellen Donner, das friedliche Kriegsgetümmel, das Jagdgeheul der Nahrungsſorgen, die ganze Symphonie eines Werktages, der für eine halbe Welt arbeitet, pflanzt ſich mit dumpfem Schwalle über die Wipfel des Parks fort. Kein Künſtler vermag das Ungeſehene lebendiger zu veranſchaulichen, als dieſe taube Maſſe unvermiſchbarer Geräuſche das Freskogemälde einer großen Stadt zeichnet. Einer Stadt, die noch an ſich ſelbſt arbeitet, und ſchon ein weltgroßes Hinterland auszu¬ arbeiten hat! Ein Keſſel, der zugleich braut, da er noch unterm Ham¬ mer iſt! Kein Wunder, wenn ſich das Erdbeben dieſes Bodens nicht unterbinden läßt mit der Schnur, die ein paar Alleen zieht! Die Battery iſt das Erkerſtübchen Newyorks. So weit ſie ſich ausladet in das ſchöne, blaue Meer — ſie kann dem Hauſe doch nicht ent¬ fliehen, dem ſie angehört. Und wie dieſes Haus in allen Sparren und Balken dröhnt, ſo zittern auch die Fenſter des Erkers, auf dem Brette wanken die Blumenſtöcke, und dem Großvater an der Wand fährt's ſtoßweiſe durch die Glieder, daß er manchmal zu nicken ſcheint, wie der Gouverneur zu Pferde. Da iſt das Töchterchen, das ihren Dichter leſen, der Sohn, der ſeinen Euklid ſtudiren will, auch nicht ſo ganz geborgen im Erkerſtübchen. Unſer Spaziergänger empfindet's.
In dem Lärm, der ſeine Promenade umbrandet, hat er von Zeit zu Zeit eine hellgellende Knabenſtimme unterſchieden, die mit dem robuſteſten Pathos eine Waare von unwiderſtehlicher Zugkraft auszu¬
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Wir ſehen, der flüchtige Blick auf die Perſönlichkeit dieſes Mannes
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meinſte Noth beeilt, der ſein Leben nicht auf Beſtellung lebt, aber
Ein Auftrag ſcheint ihm geworden: das Subject zu vertreten in der
Welt der objectiven Aeußerlichkeiten.
Wir belauſchen ſeine Gedanken nicht mehr wie am Bord des
Schiffes. Dort waren ſie ein Aufblitz der Begeiſterung, ein Halle¬
lujah, hier ſind ſie eine ſtille Meſſe der Andacht. Er iſt mehr bei
ſich ſelbſt, als bei der Welt; von Zeit zu Zeit fließt ein leiſer Schrift¬
zug in ſein Taſchenbuch. Anfangs häufiger, bald aber ſparſamer und
mit manch ungeduldigem Correcturſtrich. Das macht, die Battery iſt
nicht ganz ſo geräuſchlos wie es zuerſt ſchien. Die Stadt, die hinter
dieſem dünnen Vorhang von Bäumen liegt, kann ihre mächtige Nähe
nicht leicht verſchweigen. Schauerlich tönt's da herein. Die indu¬
ſtriellen Donner, das friedliche Kriegsgetümmel, das Jagdgeheul der
Nahrungsſorgen, die ganze Symphonie eines Werktages, der für eine
halbe Welt arbeitet, pflanzt ſich mit dumpfem Schwalle über die Wipfel
des Parks fort. Kein Künſtler vermag das Ungeſehene lebendiger zu
veranſchaulichen, als dieſe taube Maſſe unvermiſchbarer Geräuſche das
Freskogemälde einer großen Stadt zeichnet. Einer Stadt, die noch
an ſich ſelbſt arbeitet, und ſchon ein weltgroßes Hinterland auszu¬
arbeiten hat! Ein Keſſel, der zugleich braut, da er noch unterm Ham¬
mer iſt! Kein Wunder, wenn ſich das Erdbeben dieſes Bodens nicht
unterbinden läßt mit der Schnur, die ein paar Alleen zieht! Die
Battery iſt das Erkerſtübchen Newyorks. So weit ſie ſich ausladet
in das ſchöne, blaue Meer — ſie kann dem Hauſe doch nicht ent¬
fliehen, dem ſie angehört. Und wie dieſes Haus in allen Sparren
und Balken dröhnt, ſo zittern auch die Fenſter des Erkers, auf dem
Brette wanken die Blumenſtöcke, und dem Großvater an der Wand
fährt's ſtoßweiſe durch die Glieder, daß er manchmal zu nicken ſcheint,
wie der Gouverneur zu Pferde. Da iſt das Töchterchen, das ihren
Dichter leſen, der Sohn, der ſeinen Euklid ſtudiren will, auch nicht
ſo ganz geborgen im Erkerſtübchen. Unſer Spaziergänger empfindet's.
In dem Lärm, der ſeine Promenade umbrandet, hat er von Zeit
zu Zeit eine hellgellende Knabenſtimme unterſchieden, die mit dem
robuſteſten Pathos eine Waare von unwiderſtehlicher Zugkraft auszu¬
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/25>, abgerufen am 21.11.2024.
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