1755 versammelten sich die Colonialtruppen von Neu-England bei Albany, um mit den Truppen des Mutterlandes unter General John¬ ston gegen die Franzosen in Crownpoint zu marschiren. Die Ame¬ rikaner bildeten den linken Flügel, die Europäer den rechten der bri¬ tischen Streitmacht. Von der altenglischen Truppe berichtet die Chronica nichts, wohl aber von der unsrigen. Der Aufzug der amerikanischen Milizen soll nämlich so lächerlich gewesen sein, wie das Corps jener wahrhaft Unsterblichen unter Sir John Fallstaff. Einige waren in langen Röcken erschienen, Andere in kurzen, wieder Andere in gar keinen. Einige trugen ihre Haare kurz geschoren, nach Art der Rund¬ köpfe Cromwell's, Andere stolzirten in gravitätischen Puderperücken a la Louis-quatorze. -quatorze. Ihre Uniformen imitirten alle Farben des Regenbogens, ihre Bewaffnung spielte mitunter ins Nachtwächterliche. Von ihrer Feldmusik war das neueste Stück zweihundert Jahre alt. Letzteren Umstand benützten die englischen Offiziere, die schon längst darauf gesonnen, für das Ridikül einer solchen Kameradschaft mit einem lustigen Streich sich zu entschädigen. Dieser ganzen Pyramus- und Thisbe-Truppe, sagten sie, fehlt nichts, als daß ein Tonsetzer, so wie sie leibt und lebt, sie in Musik setzte. Die Kerls müßten offenbar nach einem travestirten Feldmarsch marschiren, der ihre militärische Lächerlichkeit auch musikalisch ausdrückte. Gesagt, gethan. Die Eng¬ länder hatten einen Spaßvogel unter sich, einen gewissen Dr. Shekbourg. Dieser erinnerte sich einer Schweinstreiber-Melodie, die er einst von einem Hannoveraner gehört hatte, welcher sie von einer westphälischen Bauernhochzeit herübergebracht. (Unsre National-Hymne ist also deutsch, schaltete der Doctor verbindlich gegen Moorfeld ein.) Dieser Dr. Shek¬ bourg, fuhr er fort, war ein Stück von einem Componisten, daneben Dilettant in der Poeterei, vor Allem aber, wie es scheint, ein Genie in der bas-comique. Er schrieb also seine Dudelsack-Melodie al marchia nieder, verschnörkelte sie und dichtete einen spaßhaften Text dazu -- d. h. spaßhaft wie man es vor hundert Jahren war. Satyrische Stupfer mit Zaunpfählen. Als ein Humorist von Tact versäumte er aber auch den eingestreuten Ernst nicht. So scheinen namentlich die zwei Verse im Refrain:
Yankee wahr' die Küste dein -- Kehr' dich nicht an Droh'n und Schrei'n --
1755 verſammelten ſich die Colonialtruppen von Neu-England bei Albany, um mit den Truppen des Mutterlandes unter General John¬ ſton gegen die Franzoſen in Crownpoint zu marſchiren. Die Ame¬ rikaner bildeten den linken Flügel, die Europäer den rechten der bri¬ tiſchen Streitmacht. Von der altengliſchen Truppe berichtet die Chronica nichts, wohl aber von der unſrigen. Der Aufzug der amerikaniſchen Milizen ſoll nämlich ſo lächerlich geweſen ſein, wie das Corps jener wahrhaft Unſterblichen unter Sir John Fallſtaff. Einige waren in langen Röcken erſchienen, Andere in kurzen, wieder Andere in gar keinen. Einige trugen ihre Haare kurz geſchoren, nach Art der Rund¬ köpfe Cromwell's, Andere ſtolzirten in gravitätiſchen Puderperücken à la Louis-quatorze. -quatorze. Ihre Uniformen imitirten alle Farben des Regenbogens, ihre Bewaffnung ſpielte mitunter ins Nachtwächterliche. Von ihrer Feldmuſik war das neueſte Stück zweihundert Jahre alt. Letzteren Umſtand benützten die engliſchen Offiziere, die ſchon längſt darauf geſonnen, für das Ridikül einer ſolchen Kameradſchaft mit einem luſtigen Streich ſich zu entſchädigen. Dieſer ganzen Pyramus- und Thisbe-Truppe, ſagten ſie, fehlt nichts, als daß ein Tonſetzer, ſo wie ſie leibt und lebt, ſie in Muſik ſetzte. Die Kerls müßten offenbar nach einem traveſtirten Feldmarſch marſchiren, der ihre militäriſche Lächerlichkeit auch muſikaliſch ausdrückte. Geſagt, gethan. Die Eng¬ länder hatten einen Spaßvogel unter ſich, einen gewiſſen Dr. Shekbourg. Dieſer erinnerte ſich einer Schweinstreiber-Melodie, die er einſt von einem Hannoveraner gehört hatte, welcher ſie von einer weſtphäliſchen Bauernhochzeit herübergebracht. (Unſre National-Hymne iſt alſo deutſch, ſchaltete der Doctor verbindlich gegen Moorfeld ein.) Dieſer Dr. Shek¬ bourg, fuhr er fort, war ein Stück von einem Componiſten, daneben Dilettant in der Poeterei, vor Allem aber, wie es ſcheint, ein Genie in der bas-comique. Er ſchrieb alſo ſeine Dudelſack-Melodie al marchia nieder, verſchnörkelte ſie und dichtete einen ſpaßhaften Text dazu — d. h. ſpaßhaft wie man es vor hundert Jahren war. Satyriſche Stupfer mit Zaunpfählen. Als ein Humoriſt von Tact verſäumte er aber auch den eingeſtreuten Ernſt nicht. So ſcheinen namentlich die zwei Verſe im Refrain:
Yankee wahr' die Küſte dein — Kehr' dich nicht an Droh'n und Schrei'n —
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0238"n="220"/>
1755 verſammelten ſich die Colonialtruppen von Neu-England bei<lb/>
Albany, um mit den Truppen des Mutterlandes unter General John¬<lb/>ſton gegen die Franzoſen in Crownpoint zu marſchiren. Die Ame¬<lb/>
rikaner bildeten den linken Flügel, die Europäer den rechten der bri¬<lb/>
tiſchen Streitmacht. Von der altengliſchen Truppe berichtet die Chronica<lb/>
nichts, wohl aber von der unſrigen. Der Aufzug der amerikaniſchen<lb/>
Milizen ſoll nämlich ſo lächerlich geweſen ſein, wie das Corps jener<lb/>
wahrhaft Unſterblichen unter Sir John Fallſtaff. Einige waren in<lb/>
langen Röcken erſchienen, Andere in kurzen, wieder Andere in gar<lb/>
keinen. Einige trugen ihre Haare kurz geſchoren, nach Art der Rund¬<lb/>
köpfe Cromwell's, Andere ſtolzirten in gravitätiſchen Puderperücken<lb/><hirendition="#aq">à la Louis-quatorze</hi>. -<hirendition="#aq">quatorze</hi>. Ihre Uniformen imitirten alle Farben des<lb/>
Regenbogens, ihre Bewaffnung ſpielte mitunter ins Nachtwächterliche.<lb/>
Von ihrer Feldmuſik war das neueſte Stück zweihundert Jahre alt.<lb/>
Letzteren Umſtand benützten die engliſchen Offiziere, die ſchon längſt<lb/>
darauf geſonnen, für das Ridikül einer ſolchen Kameradſchaft mit einem<lb/>
luſtigen Streich ſich zu entſchädigen. Dieſer ganzen Pyramus- und<lb/>
Thisbe-Truppe, ſagten ſie, fehlt nichts, als daß ein Tonſetzer, ſo wie<lb/>ſie leibt und lebt, ſie in Muſik ſetzte. Die Kerls müßten offenbar<lb/>
nach einem traveſtirten Feldmarſch marſchiren, der ihre militäriſche<lb/>
Lächerlichkeit auch muſikaliſch ausdrückte. Geſagt, gethan. Die Eng¬<lb/>
länder hatten einen Spaßvogel unter ſich, einen gewiſſen <hirendition="#aq">Dr</hi>. Shekbourg.<lb/>
Dieſer erinnerte ſich einer Schweinstreiber-Melodie, die er einſt von<lb/>
einem Hannoveraner gehört hatte, welcher ſie von einer weſtphäliſchen<lb/>
Bauernhochzeit herübergebracht. (Unſre National-Hymne iſt alſo deutſch,<lb/>ſchaltete der Doctor verbindlich gegen Moorfeld ein.) Dieſer <hirendition="#aq">Dr</hi>. Shek¬<lb/>
bourg, fuhr er fort, war ein Stück von einem Componiſten, daneben<lb/>
Dilettant in der Poeterei, vor Allem aber, wie es ſcheint, ein Genie<lb/>
in der <hirendition="#aq">bas</hi>-<hirendition="#aq">comique</hi>. Er ſchrieb alſo ſeine Dudelſack-Melodie al <hirendition="#aq">marchia</hi><lb/>
nieder, verſchnörkelte ſie und dichtete einen ſpaßhaften Text dazu —<lb/>
d. h. ſpaßhaft wie man es vor hundert Jahren war. Satyriſche Stupfer<lb/>
mit Zaunpfählen. Als ein Humoriſt von Tact verſäumte er aber<lb/>
auch den eingeſtreuten Ernſt nicht. So ſcheinen namentlich die zwei<lb/>
Verſe im Refrain:<lb/><lgtype="poem"><l>Yankee wahr' die Küſte dein —</l><lb/><l>Kehr' dich nicht an Droh'n und Schrei'n —</l><lb/></lg></p></div></div></body></text></TEI>
[220/0238]
1755 verſammelten ſich die Colonialtruppen von Neu-England bei
Albany, um mit den Truppen des Mutterlandes unter General John¬
ſton gegen die Franzoſen in Crownpoint zu marſchiren. Die Ame¬
rikaner bildeten den linken Flügel, die Europäer den rechten der bri¬
tiſchen Streitmacht. Von der altengliſchen Truppe berichtet die Chronica
nichts, wohl aber von der unſrigen. Der Aufzug der amerikaniſchen
Milizen ſoll nämlich ſo lächerlich geweſen ſein, wie das Corps jener
wahrhaft Unſterblichen unter Sir John Fallſtaff. Einige waren in
langen Röcken erſchienen, Andere in kurzen, wieder Andere in gar
keinen. Einige trugen ihre Haare kurz geſchoren, nach Art der Rund¬
köpfe Cromwell's, Andere ſtolzirten in gravitätiſchen Puderperücken
à la Louis-quatorze. -quatorze. Ihre Uniformen imitirten alle Farben des
Regenbogens, ihre Bewaffnung ſpielte mitunter ins Nachtwächterliche.
Von ihrer Feldmuſik war das neueſte Stück zweihundert Jahre alt.
Letzteren Umſtand benützten die engliſchen Offiziere, die ſchon längſt
darauf geſonnen, für das Ridikül einer ſolchen Kameradſchaft mit einem
luſtigen Streich ſich zu entſchädigen. Dieſer ganzen Pyramus- und
Thisbe-Truppe, ſagten ſie, fehlt nichts, als daß ein Tonſetzer, ſo wie
ſie leibt und lebt, ſie in Muſik ſetzte. Die Kerls müßten offenbar
nach einem traveſtirten Feldmarſch marſchiren, der ihre militäriſche
Lächerlichkeit auch muſikaliſch ausdrückte. Geſagt, gethan. Die Eng¬
länder hatten einen Spaßvogel unter ſich, einen gewiſſen Dr. Shekbourg.
Dieſer erinnerte ſich einer Schweinstreiber-Melodie, die er einſt von
einem Hannoveraner gehört hatte, welcher ſie von einer weſtphäliſchen
Bauernhochzeit herübergebracht. (Unſre National-Hymne iſt alſo deutſch,
ſchaltete der Doctor verbindlich gegen Moorfeld ein.) Dieſer Dr. Shek¬
bourg, fuhr er fort, war ein Stück von einem Componiſten, daneben
Dilettant in der Poeterei, vor Allem aber, wie es ſcheint, ein Genie
in der bas-comique. Er ſchrieb alſo ſeine Dudelſack-Melodie al marchia
nieder, verſchnörkelte ſie und dichtete einen ſpaßhaften Text dazu —
d. h. ſpaßhaft wie man es vor hundert Jahren war. Satyriſche Stupfer
mit Zaunpfählen. Als ein Humoriſt von Tact verſäumte er aber
auch den eingeſtreuten Ernſt nicht. So ſcheinen namentlich die zwei
Verſe im Refrain:
Yankee wahr' die Küſte dein —
Kehr' dich nicht an Droh'n und Schrei'n —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/238>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.