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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Literatur, durch die Einwanderung, durch den Fremdenbesuch weit aus
inniger mit der alten Welt zusammenhing, als wir Südländer. In
Wahrheit, wir stehen diesen Einflüssen gegenüber eigentlich unvertreten
in Europa da. Wir handeln mit Europa nicht wie der Norden,
unsre Zeitungen gehen nicht dahin, Gäste kommen uns nicht daher,
oder in der Regel hat doch der Reisende früher den Norden besucht, und
betritt den Süden mit den Inspirationen unsrer glücklicheren Brüder.
Vielleicht halten Sie es unter diesen Prämissen für einen verzeihlichen
Eigennutz, mein Herr, wenn ich Sie geradezu einlade, von virginischem
Gastrecht nach Ihrer Möglichkeit Gebrauch zu machen. -- Der Pflanzer
nannte County und Hof nebst seinem Namen -- es war der alt¬
aristokratische der Mortons -- und Moorfeld glaubte nur mit der
Mittheilung seines unaufschiebbaren Vorhabens die edle Zuvorkommen¬
heit dieses Anerbietens ablehnen zu dürfen. Doch setzte er mit der Festig¬
keit, womit er seinen innern Widerspruch bisher nie unter ein äußeres
Schweigen gebeugt, offen hinzu, daß auch das liberalste Gastrecht mit
dem illiberalsten aller Prinzipien ihn nicht aussöhnen würde.

Der Virginer schüttelte leise das Haupt und antwortete mild lächelnd,
als ob von den angenehmsten Dingen der Welt die Rede wäre: Ich
zweifle, mein Herr, daß Sie Ihr Herz dem Zauber dieses illiberalen
Prinzips verschließen würden. Sie würden unsre Neger wohnen sehen
in gesunden und freundlichen Hütten, gekleidet nach Bedürfniß, genährt
mit Freigebigkeit, wie ihre vollen und kräftigen Glieder bewiesen. Sie
würden sehen ein Volk von zufriedenen Familien, das sein Leben
zwischen zweckmäßiger Thätigkeit und freier Erholung so nützlich-ange¬
nehm hinbringt, wie wir nur immer menschliche Zustände, wenn nicht im
goldenen Zeitalter, welches absoluter Müssiggang gewesen sein soll,
doch im silbernen, will ich sagen, uns dichterisch ausmalen mögen.
Sie würden bei ihnen Arbeit mit Gesang, Fleiß mit Muße, Anstrengung
mit Genuß, die ernste Handlung ihres Lebens mit der scherzhaften ihrer
Volks-Comödien naturgemäß wechseln sehen. Sie würden überall die wün¬
schenswertheste Herrschaft der Vernunft erblicken. In der That, die
Vernunft des Negers ist sein Herr. Sie steht verkörpert außer ihm,
und das ist das Ganze des Unterschieds zwischen Freien und Sclaven.
Wie der Dichter mit der glücklichen Kunst des Contrastes das empfin¬
dende und das denkende Wesen in uns oft in zwei getrennten Per¬

Literatur, durch die Einwanderung, durch den Fremdenbeſuch weit aus
inniger mit der alten Welt zuſammenhing, als wir Südländer. In
Wahrheit, wir ſtehen dieſen Einflüſſen gegenüber eigentlich unvertreten
in Europa da. Wir handeln mit Europa nicht wie der Norden,
unſre Zeitungen gehen nicht dahin, Gäſte kommen uns nicht daher,
oder in der Regel hat doch der Reiſende früher den Norden beſucht, und
betritt den Süden mit den Inſpirationen unſrer glücklicheren Brüder.
Vielleicht halten Sie es unter dieſen Prämiſſen für einen verzeihlichen
Eigennutz, mein Herr, wenn ich Sie geradezu einlade, von virginiſchem
Gaſtrecht nach Ihrer Möglichkeit Gebrauch zu machen. — Der Pflanzer
nannte County und Hof nebſt ſeinem Namen — es war der alt¬
ariſtokratiſche der Mortons — und Moorfeld glaubte nur mit der
Mittheilung ſeines unaufſchiebbaren Vorhabens die edle Zuvorkommen¬
heit dieſes Anerbietens ablehnen zu dürfen. Doch ſetzte er mit der Feſtig¬
keit, womit er ſeinen innern Widerſpruch bisher nie unter ein äußeres
Schweigen gebeugt, offen hinzu, daß auch das liberalſte Gaſtrecht mit
dem illiberalſten aller Prinzipien ihn nicht ausſöhnen würde.

Der Virginer ſchüttelte leiſe das Haupt und antwortete mild lächelnd,
als ob von den angenehmſten Dingen der Welt die Rede wäre: Ich
zweifle, mein Herr, daß Sie Ihr Herz dem Zauber dieſes illiberalen
Prinzips verſchließen würden. Sie würden unſre Neger wohnen ſehen
in geſunden und freundlichen Hütten, gekleidet nach Bedürfniß, genährt
mit Freigebigkeit, wie ihre vollen und kräftigen Glieder bewieſen. Sie
würden ſehen ein Volk von zufriedenen Familien, das ſein Leben
zwiſchen zweckmäßiger Thätigkeit und freier Erholung ſo nützlich-ange¬
nehm hinbringt, wie wir nur immer menſchliche Zuſtände, wenn nicht im
goldenen Zeitalter, welches abſoluter Müſſiggang geweſen ſein ſoll,
doch im ſilbernen, will ich ſagen, uns dichteriſch ausmalen mögen.
Sie würden bei ihnen Arbeit mit Geſang, Fleiß mit Muße, Anſtrengung
mit Genuß, die ernſte Handlung ihres Lebens mit der ſcherzhaften ihrer
Volks-Comödien naturgemäß wechſeln ſehen. Sie würden überall die wün¬
ſchenswertheſte Herrſchaft der Vernunft erblicken. In der That, die
Vernunft des Negers iſt ſein Herr. Sie ſteht verkörpert außer ihm,
und das iſt das Ganze des Unterſchieds zwiſchen Freien und Sclaven.
Wie der Dichter mit der glücklichen Kunſt des Contraſtes das empfin¬
dende und das denkende Weſen in uns oft in zwei getrennten Per¬

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[203/0221] Literatur, durch die Einwanderung, durch den Fremdenbeſuch weit aus inniger mit der alten Welt zuſammenhing, als wir Südländer. In Wahrheit, wir ſtehen dieſen Einflüſſen gegenüber eigentlich unvertreten in Europa da. Wir handeln mit Europa nicht wie der Norden, unſre Zeitungen gehen nicht dahin, Gäſte kommen uns nicht daher, oder in der Regel hat doch der Reiſende früher den Norden beſucht, und betritt den Süden mit den Inſpirationen unſrer glücklicheren Brüder. Vielleicht halten Sie es unter dieſen Prämiſſen für einen verzeihlichen Eigennutz, mein Herr, wenn ich Sie geradezu einlade, von virginiſchem Gaſtrecht nach Ihrer Möglichkeit Gebrauch zu machen. — Der Pflanzer nannte County und Hof nebſt ſeinem Namen — es war der alt¬ ariſtokratiſche der Mortons — und Moorfeld glaubte nur mit der Mittheilung ſeines unaufſchiebbaren Vorhabens die edle Zuvorkommen¬ heit dieſes Anerbietens ablehnen zu dürfen. Doch ſetzte er mit der Feſtig¬ keit, womit er ſeinen innern Widerſpruch bisher nie unter ein äußeres Schweigen gebeugt, offen hinzu, daß auch das liberalſte Gaſtrecht mit dem illiberalſten aller Prinzipien ihn nicht ausſöhnen würde. Der Virginer ſchüttelte leiſe das Haupt und antwortete mild lächelnd, als ob von den angenehmſten Dingen der Welt die Rede wäre: Ich zweifle, mein Herr, daß Sie Ihr Herz dem Zauber dieſes illiberalen Prinzips verſchließen würden. Sie würden unſre Neger wohnen ſehen in geſunden und freundlichen Hütten, gekleidet nach Bedürfniß, genährt mit Freigebigkeit, wie ihre vollen und kräftigen Glieder bewieſen. Sie würden ſehen ein Volk von zufriedenen Familien, das ſein Leben zwiſchen zweckmäßiger Thätigkeit und freier Erholung ſo nützlich-ange¬ nehm hinbringt, wie wir nur immer menſchliche Zuſtände, wenn nicht im goldenen Zeitalter, welches abſoluter Müſſiggang geweſen ſein ſoll, doch im ſilbernen, will ich ſagen, uns dichteriſch ausmalen mögen. Sie würden bei ihnen Arbeit mit Geſang, Fleiß mit Muße, Anſtrengung mit Genuß, die ernſte Handlung ihres Lebens mit der ſcherzhaften ihrer Volks-Comödien naturgemäß wechſeln ſehen. Sie würden überall die wün¬ ſchenswertheſte Herrſchaft der Vernunft erblicken. In der That, die Vernunft des Negers iſt ſein Herr. Sie ſteht verkörpert außer ihm, und das iſt das Ganze des Unterſchieds zwiſchen Freien und Sclaven. Wie der Dichter mit der glücklichen Kunſt des Contraſtes das empfin¬ dende und das denkende Weſen in uns oft in zwei getrennten Per¬

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/221>, abgerufen am 22.11.2024.