Zuerst finden wir unsern Gast in der Gesellschaft des Mr. Livingstone, des Criminalgesetzgebers von Louisiana, dem Moorfeld für die Abschaffung der Todesstrafe in diesem Staate seine ganze Pietät ausdrückt. Er spricht von den Hoffnungen der europäischen Reformers über diesen Punkt, oder vielmehr von dem Stand der Frage, da die "Hoffnung" noch weit aus die Minorität der europäischen Gewissen habe. Moorfeld findet es frappant, daß Livingstone die Todesstrafe eine -- Präventivjustiz nennt. Denn, da der Mord durch seine Verdoppelung nicht sittlicher wird, sagt der Rechtsphilosoph, so könne von einer Sühne des verletzten Sittengesetzes durch eine Hin¬ richtung nicht wohl die Rede sein. Man habe daher die Talions- Theorie mehr und mehr aufgegeben, oder thue es noch täglich, dafür spreche man desto überzeugter von einem Rechte der Nothwehr, welches durch die Todesstrafe ausgeübt würde. Die Gesellschaft müsse sich schützen gegen den Feind der Gesellschaft. Nun wird sich aber die Gesellschaft gegen das geschehene Verbrechen kaum noch schützen können, sondern nur gegen das künftig zu wiederholende. Das heißt also man spielt dem bösen Prinzip ein Prävenire durch Hin¬ wegnehmung des Lebens. Allerdings die sicherste Präventivhaft ist das Grab. Moorfeld sprach die Vermuthung aus, ob Mr. Livingstone den ersten Keim seines großherzigen Systems, nicht in dem Bestreben gefunden habe, zunächst das Leben der Sclaven ihren Herren gegen¬ über zu sichern. Der herrliche Mann antwortete lächelnd: Verzeihung, mein Herr, man tödtet ein nützliches Hausthier nicht leicht. Die Todesstrafe bestand zwar in Louisiana wie sie in andern Sclavenstaaten noch jetzt besteht; aber die Praxis bringt sie fast gar nicht zur Anwendung gegen den Sclaven. Das Tribunal findet in den meisten Fällen eine ausbeugende Interpretation des tödtlichen Para¬ graphen. Ein Virginier, in dessen unmittelbarer Nähe die Unterhal¬ tung gepflogen wurde, wendete sich gegen Moorfeld, und sagte mit würdevoller Einfachheit: Ich darf mir vielleicht erlauben hinzuzusetzen, wie das Loos unserer Sclaven überhaupt ein menschliches, und besse¬ rer Vorstellungen würdiges ist, als unsre Gegner verbreiten zu können das traurige Glück haben. Es entgeht uns nämlich an diesem Punkte nicht, daß die öffentliche Meinung Europa's über die Sclaverei fast allein das Product des Nordens ist, der seit allen Zeiten durch die
Zuerſt finden wir unſern Gaſt in der Geſellſchaft des Mr. Livingſtone, des Criminalgeſetzgebers von Louiſiana, dem Moorfeld für die Abſchaffung der Todesſtrafe in dieſem Staate ſeine ganze Pietät ausdrückt. Er ſpricht von den Hoffnungen der europäiſchen Reformers über dieſen Punkt, oder vielmehr von dem Stand der Frage, da die „Hoffnung“ noch weit aus die Minorität der europäiſchen Gewiſſen habe. Moorfeld findet es frappant, daß Livingſtone die Todesſtrafe eine — Präventivjuſtiz nennt. Denn, da der Mord durch ſeine Verdoppelung nicht ſittlicher wird, ſagt der Rechtsphiloſoph, ſo könne von einer Sühne des verletzten Sittengeſetzes durch eine Hin¬ richtung nicht wohl die Rede ſein. Man habe daher die Talions- Theorie mehr und mehr aufgegeben, oder thue es noch täglich, dafür ſpreche man deſto überzeugter von einem Rechte der Nothwehr, welches durch die Todesſtrafe ausgeübt würde. Die Geſellſchaft müſſe ſich ſchützen gegen den Feind der Geſellſchaft. Nun wird ſich aber die Geſellſchaft gegen das geſchehene Verbrechen kaum noch ſchützen können, ſondern nur gegen das künftig zu wiederholende. Das heißt alſo man ſpielt dem böſen Prinzip ein Prävenire durch Hin¬ wegnehmung des Lebens. Allerdings die ſicherſte Präventivhaft iſt das Grab. Moorfeld ſprach die Vermuthung aus, ob Mr. Livingſtone den erſten Keim ſeines großherzigen Syſtems, nicht in dem Beſtreben gefunden habe, zunächſt das Leben der Sclaven ihren Herren gegen¬ über zu ſichern. Der herrliche Mann antwortete lächelnd: Verzeihung, mein Herr, man tödtet ein nützliches Hausthier nicht leicht. Die Todesſtrafe beſtand zwar in Louiſiana wie ſie in andern Sclavenſtaaten noch jetzt beſteht; aber die Praxis bringt ſie faſt gar nicht zur Anwendung gegen den Sclaven. Das Tribunal findet in den meiſten Fällen eine ausbeugende Interpretation des tödtlichen Para¬ graphen. Ein Virginier, in deſſen unmittelbarer Nähe die Unterhal¬ tung gepflogen wurde, wendete ſich gegen Moorfeld, und ſagte mit würdevoller Einfachheit: Ich darf mir vielleicht erlauben hinzuzuſetzen, wie das Loos unſerer Sclaven überhaupt ein menſchliches, und beſſe¬ rer Vorſtellungen würdiges iſt, als unſre Gegner verbreiten zu können das traurige Glück haben. Es entgeht uns nämlich an dieſem Punkte nicht, daß die öffentliche Meinung Europa's über die Sclaverei faſt allein das Product des Nordens iſt, der ſeit allen Zeiten durch die
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Zuerſt finden wir unſern Gaſt in der Geſellſchaft des Mr.
Livingſtone, des Criminalgeſetzgebers von Louiſiana, dem Moorfeld
für die Abſchaffung der Todesſtrafe in dieſem Staate ſeine ganze
Pietät ausdrückt. Er ſpricht von den Hoffnungen der europäiſchen
Reformers über dieſen Punkt, oder vielmehr von dem Stand der Frage,
da die „Hoffnung“ noch weit aus die Minorität der europäiſchen
Gewiſſen habe. Moorfeld findet es frappant, daß Livingſtone die
Todesſtrafe eine — Präventivjuſtiz nennt. Denn, da der Mord durch
ſeine Verdoppelung nicht ſittlicher wird, ſagt der Rechtsphiloſoph, ſo
könne von einer Sühne des verletzten Sittengeſetzes durch eine Hin¬
richtung nicht wohl die Rede ſein. Man habe daher die Talions-
Theorie mehr und mehr aufgegeben, oder thue es noch täglich, dafür
ſpreche man deſto überzeugter von einem Rechte der Nothwehr, welches
durch die Todesſtrafe ausgeübt würde. Die Geſellſchaft müſſe ſich
ſchützen gegen den Feind der Geſellſchaft. Nun wird ſich aber die
Geſellſchaft gegen das geſchehene Verbrechen kaum noch ſchützen
können, ſondern nur gegen das künftig zu wiederholende. Das
heißt alſo man ſpielt dem böſen Prinzip ein Prävenire durch Hin¬
wegnehmung des Lebens. Allerdings die ſicherſte Präventivhaft iſt das
Grab. Moorfeld ſprach die Vermuthung aus, ob Mr. Livingſtone
den erſten Keim ſeines großherzigen Syſtems, nicht in dem Beſtreben
gefunden habe, zunächſt das Leben der Sclaven ihren Herren gegen¬
über zu ſichern. Der herrliche Mann antwortete lächelnd: Verzeihung,
mein Herr, man tödtet ein nützliches Hausthier nicht leicht. Die
Todesſtrafe beſtand zwar in Louiſiana wie ſie in andern Sclavenſtaaten
noch jetzt beſteht; aber die Praxis bringt ſie faſt gar nicht zur
Anwendung gegen den Sclaven. Das Tribunal findet in den
meiſten Fällen eine ausbeugende Interpretation des tödtlichen Para¬
graphen. Ein Virginier, in deſſen unmittelbarer Nähe die Unterhal¬
tung gepflogen wurde, wendete ſich gegen Moorfeld, und ſagte mit
würdevoller Einfachheit: Ich darf mir vielleicht erlauben hinzuzuſetzen,
wie das Loos unſerer Sclaven überhaupt ein menſchliches, und beſſe¬
rer Vorſtellungen würdiges iſt, als unſre Gegner verbreiten zu können
das traurige Glück haben. Es entgeht uns nämlich an dieſem Punkte
nicht, daß die öffentliche Meinung Europa's über die Sclaverei faſt
allein das Product des Nordens iſt, der ſeit allen Zeiten durch die
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/220>, abgerufen am 22.11.2024.
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