Moorfeld nahm das kleine Mädchen beim Kopf und küßte es lebhaft.
Die Herzhaftigkeit, womit das Kind es litt, glaubte die Mutter mit einer üblichen Neckerei rügen zu müssen. Sie sagte: Nun wirst du aber auch einen so schwarzen Ungarbart bekommen, wie der Herr Doctor.
Ach! replicirte die Kleine, da hätte Pauline schon längst einen blonden Ungarbart bekommen, so groß!
Die Wirkung dieses naiven Kinderwortes und der vierfach variirte Ausdruck von der Verlegenheit der Erwachsenen wäre nicht wohl wie¬ derzugeben, wenn nicht in demselben Augenblicke ein vernünftiger Don¬ nerschlag der Familie die willkommene Veranlassung geboten hätte, zu erschrecken und zu überhören. Frau v. Milden ergriff überdies das Wort, und bewunderte Moorfeld's Ausgang bei diesem Wetter.
Ich gehe oder fahre in solchem Wetter am liebsten aus, antwor¬ tete Moorfeld, ich kenne kein größeres Vergnügen als eine Platzregen- Promenade durch die eleganten Passagen einer Stadt. Wie wunderschön das herabklatscht in die lackirte und frisirte Puppenschachtel! Nennen Sie's nicht Schadenfreude. Es ist ein ästhetischer Eindruck. Es ist komisch und pathetisch zugleich. Ja, es ist der einzige Fall, wo vom Erhabenen zum Lächerlichen gar kein Schritt ist. Auch leide ich ja mit. Aber im Geiste bin ich dann gar nicht auf der Erde, sondern droben. Wie sympathisire ich mit dem grauen Ungeheuer in seiner Vogelperspective! Das kam über Land und Meer dahergerauscht, scheuchte den Bären hier, brach die Ceder dort, plötzlich hängt es auf ein Stückchen Boden herab, wo der Pelz zur Pelisse wird, die Ceder zum Glockenthurm, die Wildhöhle zur City-Hall -- ein goldenes, zuckernes Ding, Stadt genannt, unter Glassturz zu stellen. Und nun die Fluten, die Blitze, die Orkane da drein! das erquickt! Da weiß man doch, wer noch das große Wort im Hause führt, die Glace¬ handschuhmacher oder die Natur?
Sie hatten eine heitere Ueberfahrt? fragte Frau v. Milden.
Ja, das ist ein Anderes, rief Moorfeld, indem er sich augenblick¬ lich in diese Frage fand und ernsthaft ward; wenn Sie einen Seesturm erlebt haben, dann verzichte ich darauf, Sie für Sturmpoesie zu be¬ geistern. Gott weiß es, woher die Dichter ihre prächtigen Seestürme haben, wahrscheinlich aus sonnigen Garten-Veranden, aus Cajüten
Moorfeld nahm das kleine Mädchen beim Kopf und küßte es lebhaft.
Die Herzhaftigkeit, womit das Kind es litt, glaubte die Mutter mit einer üblichen Neckerei rügen zu müſſen. Sie ſagte: Nun wirſt du aber auch einen ſo ſchwarzen Ungarbart bekommen, wie der Herr Doctor.
Ach! replicirte die Kleine, da hätte Pauline ſchon längſt einen blonden Ungarbart bekommen, ſo groß!
Die Wirkung dieſes naiven Kinderwortes und der vierfach variirte Ausdruck von der Verlegenheit der Erwachſenen wäre nicht wohl wie¬ derzugeben, wenn nicht in demſelben Augenblicke ein vernünftiger Don¬ nerſchlag der Familie die willkommene Veranlaſſung geboten hätte, zu erſchrecken und zu überhören. Frau v. Milden ergriff überdies das Wort, und bewunderte Moorfeld's Ausgang bei dieſem Wetter.
Ich gehe oder fahre in ſolchem Wetter am liebſten aus, antwor¬ tete Moorfeld, ich kenne kein größeres Vergnügen als eine Platzregen- Promenade durch die eleganten Paſſagen einer Stadt. Wie wunderſchön das herabklatſcht in die lackirte und friſirte Puppenſchachtel! Nennen Sie's nicht Schadenfreude. Es iſt ein äſthetiſcher Eindruck. Es iſt komiſch und pathetiſch zugleich. Ja, es iſt der einzige Fall, wo vom Erhabenen zum Lächerlichen gar kein Schritt iſt. Auch leide ich ja mit. Aber im Geiſte bin ich dann gar nicht auf der Erde, ſondern droben. Wie ſympathiſire ich mit dem grauen Ungeheuer in ſeiner Vogelperſpective! Das kam über Land und Meer dahergerauſcht, ſcheuchte den Bären hier, brach die Ceder dort, plötzlich hängt es auf ein Stückchen Boden herab, wo der Pelz zur Peliſſe wird, die Ceder zum Glockenthurm, die Wildhöhle zur City-Hall — ein goldenes, zuckernes Ding, Stadt genannt, unter Glasſturz zu ſtellen. Und nun die Fluten, die Blitze, die Orkane da drein! das erquickt! Da weiß man doch, wer noch das große Wort im Hauſe führt, die Glace¬ handſchuhmacher oder die Natur?
Sie hatten eine heitere Ueberfahrt? fragte Frau v. Milden.
Ja, das iſt ein Anderes, rief Moorfeld, indem er ſich augenblick¬ lich in dieſe Frage fand und ernſthaft ward; wenn Sie einen Seeſturm erlebt haben, dann verzichte ich darauf, Sie für Sturmpoeſie zu be¬ geiſtern. Gott weiß es, woher die Dichter ihre prächtigen Seeſtürme haben, wahrſcheinlich aus ſonnigen Garten-Veranden, aus Cajüten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0177"n="159"/><p>Moorfeld nahm das kleine Mädchen beim Kopf und küßte es<lb/>
lebhaft.</p><lb/><p>Die Herzhaftigkeit, womit das Kind es litt, glaubte die Mutter mit<lb/>
einer üblichen Neckerei rügen zu müſſen. Sie ſagte: Nun wirſt du aber<lb/>
auch einen ſo ſchwarzen Ungarbart bekommen, wie der Herr Doctor.</p><lb/><p>Ach! replicirte die Kleine, da hätte Pauline ſchon längſt einen<lb/>
blonden Ungarbart bekommen, ſo groß!</p><lb/><p>Die Wirkung dieſes naiven Kinderwortes und der vierfach variirte<lb/>
Ausdruck von der Verlegenheit der Erwachſenen wäre nicht wohl wie¬<lb/>
derzugeben, wenn nicht in demſelben Augenblicke ein vernünftiger Don¬<lb/>
nerſchlag der Familie die willkommene Veranlaſſung geboten hätte, zu<lb/>
erſchrecken und zu überhören. Frau v. Milden ergriff überdies das<lb/>
Wort, und bewunderte Moorfeld's Ausgang bei dieſem Wetter.</p><lb/><p>Ich gehe oder fahre in ſolchem Wetter am liebſten aus, antwor¬<lb/>
tete Moorfeld, ich kenne kein größeres Vergnügen als eine Platzregen-<lb/>
Promenade durch die eleganten Paſſagen einer Stadt. Wie wunderſchön<lb/>
das herabklatſcht in die lackirte und friſirte Puppenſchachtel! Nennen<lb/>
Sie's nicht Schadenfreude. Es iſt ein äſthetiſcher Eindruck. Es iſt<lb/>
komiſch und pathetiſch zugleich. Ja, es iſt der einzige Fall, wo vom<lb/>
Erhabenen zum Lächerlichen gar kein Schritt iſt. Auch leide ich ja<lb/>
mit. Aber im Geiſte bin ich dann gar nicht auf der Erde, ſondern<lb/>
droben. Wie ſympathiſire ich mit dem grauen Ungeheuer in ſeiner<lb/>
Vogelperſpective! Das kam über Land und Meer dahergerauſcht,<lb/>ſcheuchte den Bären hier, brach die Ceder dort, plötzlich hängt es auf<lb/>
ein Stückchen Boden herab, wo der Pelz zur Peliſſe wird, die Ceder<lb/>
zum Glockenthurm, die Wildhöhle zur City-Hall — ein goldenes,<lb/>
zuckernes Ding, Stadt genannt, unter Glasſturz zu ſtellen. Und nun<lb/>
die Fluten, die Blitze, die Orkane da drein! das erquickt! Da weiß<lb/>
man doch, wer noch das große Wort im Hauſe führt, die Glace¬<lb/>
handſchuhmacher oder die Natur?</p><lb/><p>Sie hatten eine heitere Ueberfahrt? fragte Frau v. Milden.</p><lb/><p>Ja, das iſt ein Anderes, rief Moorfeld, indem er ſich augenblick¬<lb/>
lich in dieſe Frage fand und ernſthaft ward; wenn Sie einen Seeſturm<lb/>
erlebt haben, dann verzichte ich darauf, Sie für Sturmpoeſie zu be¬<lb/>
geiſtern. Gott weiß es, woher die Dichter ihre prächtigen Seeſtürme<lb/>
haben, wahrſcheinlich aus ſonnigen Garten-Veranden, aus Cajüten<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[159/0177]
Moorfeld nahm das kleine Mädchen beim Kopf und küßte es
lebhaft.
Die Herzhaftigkeit, womit das Kind es litt, glaubte die Mutter mit
einer üblichen Neckerei rügen zu müſſen. Sie ſagte: Nun wirſt du aber
auch einen ſo ſchwarzen Ungarbart bekommen, wie der Herr Doctor.
Ach! replicirte die Kleine, da hätte Pauline ſchon längſt einen
blonden Ungarbart bekommen, ſo groß!
Die Wirkung dieſes naiven Kinderwortes und der vierfach variirte
Ausdruck von der Verlegenheit der Erwachſenen wäre nicht wohl wie¬
derzugeben, wenn nicht in demſelben Augenblicke ein vernünftiger Don¬
nerſchlag der Familie die willkommene Veranlaſſung geboten hätte, zu
erſchrecken und zu überhören. Frau v. Milden ergriff überdies das
Wort, und bewunderte Moorfeld's Ausgang bei dieſem Wetter.
Ich gehe oder fahre in ſolchem Wetter am liebſten aus, antwor¬
tete Moorfeld, ich kenne kein größeres Vergnügen als eine Platzregen-
Promenade durch die eleganten Paſſagen einer Stadt. Wie wunderſchön
das herabklatſcht in die lackirte und friſirte Puppenſchachtel! Nennen
Sie's nicht Schadenfreude. Es iſt ein äſthetiſcher Eindruck. Es iſt
komiſch und pathetiſch zugleich. Ja, es iſt der einzige Fall, wo vom
Erhabenen zum Lächerlichen gar kein Schritt iſt. Auch leide ich ja
mit. Aber im Geiſte bin ich dann gar nicht auf der Erde, ſondern
droben. Wie ſympathiſire ich mit dem grauen Ungeheuer in ſeiner
Vogelperſpective! Das kam über Land und Meer dahergerauſcht,
ſcheuchte den Bären hier, brach die Ceder dort, plötzlich hängt es auf
ein Stückchen Boden herab, wo der Pelz zur Peliſſe wird, die Ceder
zum Glockenthurm, die Wildhöhle zur City-Hall — ein goldenes,
zuckernes Ding, Stadt genannt, unter Glasſturz zu ſtellen. Und nun
die Fluten, die Blitze, die Orkane da drein! das erquickt! Da weiß
man doch, wer noch das große Wort im Hauſe führt, die Glace¬
handſchuhmacher oder die Natur?
Sie hatten eine heitere Ueberfahrt? fragte Frau v. Milden.
Ja, das iſt ein Anderes, rief Moorfeld, indem er ſich augenblick¬
lich in dieſe Frage fand und ernſthaft ward; wenn Sie einen Seeſturm
erlebt haben, dann verzichte ich darauf, Sie für Sturmpoeſie zu be¬
geiſtern. Gott weiß es, woher die Dichter ihre prächtigen Seeſtürme
haben, wahrſcheinlich aus ſonnigen Garten-Veranden, aus Cajüten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/177>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.