ein reizbar-ungeduldiges, schmerzhaft-sehnsüchtiges Element, von wel¬ chem die Erweichung und Zersetzung dieses tüchtigen Kernes ausgehen konnte, wenn ihm nicht rechtzeitig Genugthuung ward. Und wer bürgte dafür, daß der junge Mann seine thätigen und strebenden Kräfte nicht erschöpfte, eh' er sein Ziel erreichte und dann um so unaufhaltsamer die Beute der weiblichen Seite seiner Natur wurde?
Wie, wenn Moorfeld diesem Retter auf dem Schauplatze seiner Thaten begegnet wäre, um ihn selbst wieder zu retten?
Es liegt etwas Herzerhebendes in dem Gedanken, auf eine Existenz außer uns bestimmend wirken zu können! Ja, der sogenannte egoistische Mensch datirt eigentlich erst von da an sein Glück, wo es ihm mög¬ lich wird, einem Mitgeschöpf die Richtung zum Glücke zu geben. In neuen Perspectiven erblickt Moorfeld jetzt seine Ansiedlung im Urwald. Welchen Sinn gewinnt ihm dieses Project! Sollte es nicht berufen sein, der Ausgangspunkt einer Existenz zu werden, die, einmal in ihrer Wurzel befestigt, gar nicht absehen ließ, in welchen Radien der Palmenfächer ihrer Triebkraft sich ausspannen wird? Können denn überhaupt die neuen Freunde sich je wieder trennen? Benthal, die po¬ sitive, handelnde Natur mit ihrer tiefen Andacht für das Ideale, Moor¬ feld, der Idealist mit seinem tiefen Bedürfniß, sich realistisch zu er¬ füllen, -- begegnen sich diese zwei Charaktere nicht gewissermaßen typisch, und ist nicht die ganze Menschheit hergestellt, wenn sich diese Indivi¬ duen ergänzen? Welche Wirkungen lassen sich hoffen aus den An¬ fängen eines so naturgemäßen Bundes! Wahrlich, es wäre auf diesem Boden nicht das erste Mal, daß zwei junge strebende Männer Väter einer Stadt geworden sind. Moorfeld brauchte nicht einmal Dichter zu sein, um so weit zu phantasiren.
Romulus und Remus! -- Unternehme es, wer sich stolz genug dazu fühlt, die Nachtgedanken unsers Freundes zu Ende zu denken! -- Solche Momente sind selbst für die Poesie zu groß. Die Poesie ist die Kunst des "schönen Scheins", hier ist von schöner Wirklichkeit die Rede. Die Poesie ist die Sprache des Wunsches, hier winkt Besitz. Wir können von dieser Stunde kein Gedicht unsers Freundes über¬ liefern. Er dichtet nicht. Der Dichter besingt die Geliebte: am Braut¬ abend verstummen die Hymnen.
Moorfeld fühlt sich am Vorabend eines Unternehmens, das kein
ein reizbar-ungeduldiges, ſchmerzhaft-ſehnſüchtiges Element, von wel¬ chem die Erweichung und Zerſetzung dieſes tüchtigen Kernes ausgehen konnte, wenn ihm nicht rechtzeitig Genugthuung ward. Und wer bürgte dafür, daß der junge Mann ſeine thätigen und ſtrebenden Kräfte nicht erſchöpfte, eh' er ſein Ziel erreichte und dann um ſo unaufhaltſamer die Beute der weiblichen Seite ſeiner Natur wurde?
Wie, wenn Moorfeld dieſem Retter auf dem Schauplatze ſeiner Thaten begegnet wäre, um ihn ſelbſt wieder zu retten?
Es liegt etwas Herzerhebendes in dem Gedanken, auf eine Exiſtenz außer uns beſtimmend wirken zu können! Ja, der ſogenannte egoiſtiſche Menſch datirt eigentlich erſt von da an ſein Glück, wo es ihm mög¬ lich wird, einem Mitgeſchöpf die Richtung zum Glücke zu geben. In neuen Perſpectiven erblickt Moorfeld jetzt ſeine Anſiedlung im Urwald. Welchen Sinn gewinnt ihm dieſes Project! Sollte es nicht berufen ſein, der Ausgangspunkt einer Exiſtenz zu werden, die, einmal in ihrer Wurzel befeſtigt, gar nicht abſehen ließ, in welchen Radien der Palmenfächer ihrer Triebkraft ſich ausſpannen wird? Können denn überhaupt die neuen Freunde ſich je wieder trennen? Benthal, die po¬ ſitive, handelnde Natur mit ihrer tiefen Andacht für das Ideale, Moor¬ feld, der Idealiſt mit ſeinem tiefen Bedürfniß, ſich realiſtiſch zu er¬ füllen, — begegnen ſich dieſe zwei Charaktere nicht gewiſſermaßen typiſch, und iſt nicht die ganze Menſchheit hergeſtellt, wenn ſich dieſe Indivi¬ duen ergänzen? Welche Wirkungen laſſen ſich hoffen aus den An¬ fängen eines ſo naturgemäßen Bundes! Wahrlich, es wäre auf dieſem Boden nicht das erſte Mal, daß zwei junge ſtrebende Männer Väter einer Stadt geworden ſind. Moorfeld brauchte nicht einmal Dichter zu ſein, um ſo weit zu phantaſiren.
Romulus und Remus! — Unternehme es, wer ſich ſtolz genug dazu fühlt, die Nachtgedanken unſers Freundes zu Ende zu denken! — Solche Momente ſind ſelbſt für die Poeſie zu groß. Die Poeſie iſt die Kunſt des „ſchönen Scheins“, hier iſt von ſchöner Wirklichkeit die Rede. Die Poeſie iſt die Sprache des Wunſches, hier winkt Beſitz. Wir können von dieſer Stunde kein Gedicht unſers Freundes über¬ liefern. Er dichtet nicht. Der Dichter beſingt die Geliebte: am Braut¬ abend verſtummen die Hymnen.
Moorfeld fühlt ſich am Vorabend eines Unternehmens, das kein
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ein reizbar-ungeduldiges, ſchmerzhaft-ſehnſüchtiges Element, von wel¬
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konnte, wenn ihm nicht rechtzeitig Genugthuung ward. Und wer
bürgte dafür, daß der junge Mann ſeine thätigen und ſtrebenden
Kräfte nicht erſchöpfte, eh' er ſein Ziel erreichte und dann um ſo
unaufhaltſamer die Beute der weiblichen Seite ſeiner Natur wurde?
Wie, wenn Moorfeld dieſem Retter auf dem Schauplatze ſeiner
Thaten begegnet wäre, um ihn ſelbſt wieder zu retten?
Es liegt etwas Herzerhebendes in dem Gedanken, auf eine Exiſtenz
außer uns beſtimmend wirken zu können! Ja, der ſogenannte egoiſtiſche
Menſch datirt eigentlich erſt von da an ſein Glück, wo es ihm mög¬
lich wird, einem Mitgeſchöpf die Richtung zum Glücke zu geben. In
neuen Perſpectiven erblickt Moorfeld jetzt ſeine Anſiedlung im Urwald.
Welchen Sinn gewinnt ihm dieſes Project! Sollte es nicht berufen
ſein, der Ausgangspunkt einer Exiſtenz zu werden, die, einmal in
ihrer Wurzel befeſtigt, gar nicht abſehen ließ, in welchen Radien der
Palmenfächer ihrer Triebkraft ſich ausſpannen wird? Können denn
überhaupt die neuen Freunde ſich je wieder trennen? Benthal, die po¬
ſitive, handelnde Natur mit ihrer tiefen Andacht für das Ideale, Moor¬
feld, der Idealiſt mit ſeinem tiefen Bedürfniß, ſich realiſtiſch zu er¬
füllen, — begegnen ſich dieſe zwei Charaktere nicht gewiſſermaßen typiſch,
und iſt nicht die ganze Menſchheit hergeſtellt, wenn ſich dieſe Indivi¬
duen ergänzen? Welche Wirkungen laſſen ſich hoffen aus den An¬
fängen eines ſo naturgemäßen Bundes! Wahrlich, es wäre auf dieſem
Boden nicht das erſte Mal, daß zwei junge ſtrebende Männer Väter
einer Stadt geworden ſind. Moorfeld brauchte nicht einmal Dichter
zu ſein, um ſo weit zu phantaſiren.
Romulus und Remus! — Unternehme es, wer ſich ſtolz genug
dazu fühlt, die Nachtgedanken unſers Freundes zu Ende zu denken! —
Solche Momente ſind ſelbſt für die Poeſie zu groß. Die Poeſie iſt
die Kunſt des „ſchönen Scheins“, hier iſt von ſchöner Wirklichkeit die
Rede. Die Poeſie iſt die Sprache des Wunſches, hier winkt Beſitz.
Wir können von dieſer Stunde kein Gedicht unſers Freundes über¬
liefern. Er dichtet nicht. Der Dichter beſingt die Geliebte: am Braut¬
abend verſtummen die Hymnen.
Moorfeld fühlt ſich am Vorabend eines Unternehmens, das kein
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/171>, abgerufen am 24.11.2024.
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