Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

langt; sie standen nämlich in dem Square an der City-Hall, welcher
der Park heißt. In diesem Mittelpunkte Newyorks, von welchem nach
Norden und Süden die große Schlagader der Stadt, der Broadway,
auslief, fand sich Moorfeld vollständig orientirt. Er dankte für
das fernere Geleite Benthals, dessen Weg gegen den Ostfluß zu, so
wie sein eigener westlich an den Hudson hinab, also in direkter Ent¬
gegensetzung auseinanderging. Die jungen Männer verabschiedeten
sich hier und tauschten ihre Adressen gegen einander aus zum Unter¬
pfande fortzusetzender Freundschaft. Benthal gab die seinige mit den
Worten ab:

Es ist die Wohnung der Frau von Milden, meiner Schwie¬
germutter in spe, die ich Ihnen hier mittheile. Ich pflege meine
freien Stunden dort zuzubringen, und wenn Sie es nicht ver¬
schmähen, der Vierte in einem Bunde zu sein, der sich einander nicht
kreuzigt und erdolcht, sondern blos eine Parthie Whist spielt, so ist
Ihnen das Lorettohäuschen meiner Frauen, das ich sonst Niemanden
öffnete, mit aller Bescheidenheit aufgethan. Gewissermaßen sind Sie
ohnedies schon eingeführt dort, denn Ihr Besuch in Mr. Mockingbirds
Schule war mir eine zu wohlthuende, für Amerika zu seltene Erschei¬
nung, als daß ich ihn nicht auch unter meinen Frauen gefeiert hätte.
Ja, und sind Sie nicht der Ritter unsrer kleinen Malvine geworden,
der Sie so freundlich aus der Noth halfen, als sie auf einem Boten¬
gang zu mir sich verirrte, und von halb Newyork im Stich gelassen
wurde? Unser Haus wird sich freuen, Ihnen zu danken, es war ein
Ereigniß in der kleinen Idylle! Das Kind fand seinen Weg sonst
spielend zu Mr. Mockingbird, er ist auch kurz genug; aber damals
war das arme Schneckchen ein Opfer der Politik geworden; es lief
einem Straßenaufzug der Clay-Partei und seinen Fahnen und Standarten
nach, da trieb es im Umsehen mitten in Newyork, wie eine Bachforelle
im Ocean. Die kleinste der Damen Milden ist nicht wenig liebens¬
würdig, wenn sie von Ihnen spricht -- was sollen die großen dabei
thun? Am Ende sind's doch die Kinder, welche den Ton angeben!

Ich liebe die Kinder, sagte Moorfeld; in der ganzen weiten Welt
sind sie's allein, zu denen ein uneigennütziges Verhältniß möglich ist.
Die Natur unterwirft man der Kunst, die Kunst eifersüchtelt mit der
Natur -- wir mögen uns stellen wie wir wollen: unser Leben ist

langt; ſie ſtanden nämlich in dem Square an der City-Hall, welcher
der Park heißt. In dieſem Mittelpunkte Newyorks, von welchem nach
Norden und Süden die große Schlagader der Stadt, der Broadway,
auslief, fand ſich Moorfeld vollſtändig orientirt. Er dankte für
das fernere Geleite Benthals, deſſen Weg gegen den Oſtfluß zu, ſo
wie ſein eigener weſtlich an den Hudſon hinab, alſo in direkter Ent¬
gegenſetzung auseinanderging. Die jungen Männer verabſchiedeten
ſich hier und tauſchten ihre Adreſſen gegen einander aus zum Unter¬
pfande fortzuſetzender Freundſchaft. Benthal gab die ſeinige mit den
Worten ab:

Es iſt die Wohnung der Frau von Milden, meiner Schwie¬
germutter in spe, die ich Ihnen hier mittheile. Ich pflege meine
freien Stunden dort zuzubringen, und wenn Sie es nicht ver¬
ſchmähen, der Vierte in einem Bunde zu ſein, der ſich einander nicht
kreuzigt und erdolcht, ſondern blos eine Parthie Whiſt ſpielt, ſo iſt
Ihnen das Lorettohäuschen meiner Frauen, das ich ſonſt Niemanden
öffnete, mit aller Beſcheidenheit aufgethan. Gewiſſermaßen ſind Sie
ohnedies ſchon eingeführt dort, denn Ihr Beſuch in Mr. Mockingbirds
Schule war mir eine zu wohlthuende, für Amerika zu ſeltene Erſchei¬
nung, als daß ich ihn nicht auch unter meinen Frauen gefeiert hätte.
Ja, und ſind Sie nicht der Ritter unſrer kleinen Malvine geworden,
der Sie ſo freundlich aus der Noth halfen, als ſie auf einem Boten¬
gang zu mir ſich verirrte, und von halb Newyork im Stich gelaſſen
wurde? Unſer Haus wird ſich freuen, Ihnen zu danken, es war ein
Ereigniß in der kleinen Idylle! Das Kind fand ſeinen Weg ſonſt
ſpielend zu Mr. Mockingbird, er iſt auch kurz genug; aber damals
war das arme Schneckchen ein Opfer der Politik geworden; es lief
einem Straßenaufzug der Clay-Partei und ſeinen Fahnen und Standarten
nach, da trieb es im Umſehen mitten in Newyork, wie eine Bachforelle
im Ocean. Die kleinſte der Damen Milden iſt nicht wenig liebens¬
würdig, wenn ſie von Ihnen ſpricht — was ſollen die großen dabei
thun? Am Ende ſind's doch die Kinder, welche den Ton angeben!

Ich liebe die Kinder, ſagte Moorfeld; in der ganzen weiten Welt
ſind ſie's allein, zu denen ein uneigennütziges Verhältniß möglich iſt.
Die Natur unterwirft man der Kunſt, die Kunſt eiferſüchtelt mit der
Natur — wir mögen uns ſtellen wie wir wollen: unſer Leben iſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0161" n="143"/>
langt; &#x017F;ie &#x017F;tanden nämlich in dem Square an der City-Hall, welcher<lb/>
der Park heißt. In die&#x017F;em Mittelpunkte Newyorks, von welchem nach<lb/>
Norden und Süden die große Schlagader der Stadt, der Broadway,<lb/>
auslief, fand &#x017F;ich Moorfeld voll&#x017F;tändig orientirt. Er dankte für<lb/>
das fernere Geleite Benthals, de&#x017F;&#x017F;en Weg gegen den O&#x017F;tfluß zu, &#x017F;o<lb/>
wie &#x017F;ein eigener we&#x017F;tlich an den Hud&#x017F;on hinab, al&#x017F;o in direkter Ent¬<lb/>
gegen&#x017F;etzung auseinanderging. Die jungen Männer verab&#x017F;chiedeten<lb/>
&#x017F;ich hier und tau&#x017F;chten ihre Adre&#x017F;&#x017F;en gegen einander aus zum Unter¬<lb/>
pfande fortzu&#x017F;etzender Freund&#x017F;chaft. Benthal gab die &#x017F;einige mit den<lb/>
Worten ab:</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t die Wohnung der Frau von Milden, meiner Schwie¬<lb/>
germutter in <hi rendition="#aq">spe,</hi> die ich Ihnen hier mittheile. Ich pflege meine<lb/>
freien Stunden dort zuzubringen, und wenn Sie es nicht ver¬<lb/>
&#x017F;chmähen, der Vierte in einem Bunde zu &#x017F;ein, der &#x017F;ich einander nicht<lb/>
kreuzigt und erdolcht, &#x017F;ondern blos eine Parthie Whi&#x017F;t &#x017F;pielt, &#x017F;o i&#x017F;t<lb/>
Ihnen das Lorettohäuschen meiner Frauen, das ich &#x017F;on&#x017F;t Niemanden<lb/>
öffnete, mit aller Be&#x017F;cheidenheit aufgethan. Gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen &#x017F;ind Sie<lb/>
ohnedies &#x017F;chon eingeführt dort, denn Ihr Be&#x017F;uch in Mr. Mockingbirds<lb/>
Schule war mir eine zu wohlthuende, für Amerika zu &#x017F;eltene Er&#x017F;chei¬<lb/>
nung, als daß ich ihn nicht auch unter meinen Frauen gefeiert hätte.<lb/>
Ja, und &#x017F;ind Sie nicht der Ritter un&#x017F;rer kleinen Malvine geworden,<lb/>
der Sie &#x017F;o freundlich aus der Noth halfen, als &#x017F;ie auf einem Boten¬<lb/>
gang zu mir &#x017F;ich verirrte, und von halb Newyork im Stich gela&#x017F;&#x017F;en<lb/>
wurde? Un&#x017F;er Haus wird &#x017F;ich freuen, Ihnen zu danken, es war ein<lb/>
Ereigniß in der kleinen Idylle! Das Kind fand &#x017F;einen Weg &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
&#x017F;pielend zu Mr. Mockingbird, er i&#x017F;t auch kurz genug; aber damals<lb/>
war das arme Schneckchen ein Opfer der Politik geworden; es lief<lb/>
einem Straßenaufzug der Clay-Partei und &#x017F;einen Fahnen und Standarten<lb/>
nach, da trieb es im Um&#x017F;ehen mitten in Newyork, wie eine Bachforelle<lb/>
im Ocean. Die klein&#x017F;te der Damen Milden i&#x017F;t nicht wenig liebens¬<lb/>
würdig, wenn &#x017F;ie von Ihnen &#x017F;pricht &#x2014; was &#x017F;ollen die großen dabei<lb/>
thun? Am Ende &#x017F;ind's doch die Kinder, welche den Ton angeben!</p><lb/>
          <p>Ich liebe die Kinder, &#x017F;agte Moorfeld; in der ganzen weiten Welt<lb/>
&#x017F;ind &#x017F;ie's allein, zu denen ein uneigennütziges Verhältniß möglich i&#x017F;t.<lb/>
Die Natur unterwirft man der Kun&#x017F;t, die Kun&#x017F;t eifer&#x017F;üchtelt mit der<lb/>
Natur &#x2014; wir mögen uns &#x017F;tellen wie wir wollen: un&#x017F;er Leben i&#x017F;t<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[143/0161] langt; ſie ſtanden nämlich in dem Square an der City-Hall, welcher der Park heißt. In dieſem Mittelpunkte Newyorks, von welchem nach Norden und Süden die große Schlagader der Stadt, der Broadway, auslief, fand ſich Moorfeld vollſtändig orientirt. Er dankte für das fernere Geleite Benthals, deſſen Weg gegen den Oſtfluß zu, ſo wie ſein eigener weſtlich an den Hudſon hinab, alſo in direkter Ent¬ gegenſetzung auseinanderging. Die jungen Männer verabſchiedeten ſich hier und tauſchten ihre Adreſſen gegen einander aus zum Unter¬ pfande fortzuſetzender Freundſchaft. Benthal gab die ſeinige mit den Worten ab: Es iſt die Wohnung der Frau von Milden, meiner Schwie¬ germutter in spe, die ich Ihnen hier mittheile. Ich pflege meine freien Stunden dort zuzubringen, und wenn Sie es nicht ver¬ ſchmähen, der Vierte in einem Bunde zu ſein, der ſich einander nicht kreuzigt und erdolcht, ſondern blos eine Parthie Whiſt ſpielt, ſo iſt Ihnen das Lorettohäuschen meiner Frauen, das ich ſonſt Niemanden öffnete, mit aller Beſcheidenheit aufgethan. Gewiſſermaßen ſind Sie ohnedies ſchon eingeführt dort, denn Ihr Beſuch in Mr. Mockingbirds Schule war mir eine zu wohlthuende, für Amerika zu ſeltene Erſchei¬ nung, als daß ich ihn nicht auch unter meinen Frauen gefeiert hätte. Ja, und ſind Sie nicht der Ritter unſrer kleinen Malvine geworden, der Sie ſo freundlich aus der Noth halfen, als ſie auf einem Boten¬ gang zu mir ſich verirrte, und von halb Newyork im Stich gelaſſen wurde? Unſer Haus wird ſich freuen, Ihnen zu danken, es war ein Ereigniß in der kleinen Idylle! Das Kind fand ſeinen Weg ſonſt ſpielend zu Mr. Mockingbird, er iſt auch kurz genug; aber damals war das arme Schneckchen ein Opfer der Politik geworden; es lief einem Straßenaufzug der Clay-Partei und ſeinen Fahnen und Standarten nach, da trieb es im Umſehen mitten in Newyork, wie eine Bachforelle im Ocean. Die kleinſte der Damen Milden iſt nicht wenig liebens¬ würdig, wenn ſie von Ihnen ſpricht — was ſollen die großen dabei thun? Am Ende ſind's doch die Kinder, welche den Ton angeben! Ich liebe die Kinder, ſagte Moorfeld; in der ganzen weiten Welt ſind ſie's allein, zu denen ein uneigennütziges Verhältniß möglich iſt. Die Natur unterwirft man der Kunſt, die Kunſt eiferſüchtelt mit der Natur — wir mögen uns ſtellen wie wir wollen: unſer Leben iſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/161
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/161>, abgerufen am 24.11.2024.