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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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kende Deutsche: sie antworten mit Hieb und Stich. Der Mörder
wird vor Gericht gezogen. Zufällig steht sein Name in der Klage¬
schrift nicht ganz correct, der Beklagte sieht es, und wendet dem Ge¬
richtshof mürrisch den Rücken. Warum man ihn seine Zeit versäumen
lasse, fragt er den Anwalt, hier sei eine Person mit einem Doppel-m
citirt, was gehe das ihn an? er schreibe sich mit einem einfachen.
Vor dem englischen Gesetzbuche war das ein vollgiltiges Argument.
Der Beklagte wird freigesprochen. Eine neue Anklageschrift mit cor¬
rectem Namen ist nicht mehr zulässig, denn Niemand kann desselben
Vergehens wegen zweimal belangt werden. So geht der Mörder un¬
gekränkt seinen Geschäften nach, alle Welt kennt ihn als solchen --
aber was schadet das? Er hat ja nur einen Deutschen umgebracht!
und in seinem Schul- und Kirchenvorstand bleibt er das respectable
Mitglied, als hätte er ein Schwein von Cincinnati geschlachtet.

Entsetzlich! rief Moorfeld; Sie haben diese Geschichte im besten
Henkerstyl erzählt: kurz und kalt, wie ein Fallbeil. Ich träume
heute davon, vorausgesetzt, daß sie mich schlafen läßt. Und nach einer
Pause fuhr er fort: Sagen Sie, zu welcher Schönheit blickt man hier
auf, wenn die Erde ihre wüstesten Fratzengesichter schneidet?

O weh, rief Benthal, Schönheit und Amerika! Aber Sie ant¬
worten sich selbst. Blicken Sie immerhin auf, droben wohnt überall
die Schönheit, drunten nie. Der Schwindelnde macht's ja nicht an¬
ders: aufwärts sieht er, nicht abwärts, um sich zu halten. Darum
haben sie auch die Sterne zu ihrem Banner gemacht. Sie erriethen's
instinktmäßig, ihre Erde hat weniger Schönheit, ihr Sternenhimmel
wird dringender gesucht, als irgend sonst wo. Ja, fassen wir's fest
in's Auge: nicht was dieses Volk ist, sondern was es bedeutet!
Es bedeutet Höheres als Griechen und Römer, es bedeutet die Welt¬
freiheit
! Von einem andern Sterne gesehen ist nicht Rom, nicht
Athen der lichteste Punkt unsers Planeten -- Washington ist's. Ame¬
rika's Schönheit ist Amerika's Idee!

Das sagt' ich mir auch als ich herfuhr, antwortete Moorfeld, aber
ich komme hinter den Fehler meiner Definition. Die Schönheit ist nicht
eine Idee, sie ist eine sinnliche Form. Die Idee wird nur vom abstracten
Geiste erfaßt; das ist eine Mühe, kein Genuß. Wie existirt hier das Herz?

Das Herz existirt nicht in Amerika, war Benthal's Antwort.

kende Deutſche: ſie antworten mit Hieb und Stich. Der Mörder
wird vor Gericht gezogen. Zufällig ſteht ſein Name in der Klage¬
ſchrift nicht ganz correct, der Beklagte ſieht es, und wendet dem Ge¬
richtshof mürriſch den Rücken. Warum man ihn ſeine Zeit verſäumen
laſſe, fragt er den Anwalt, hier ſei eine Perſon mit einem Doppel-m
citirt, was gehe das ihn an? er ſchreibe ſich mit einem einfachen.
Vor dem engliſchen Geſetzbuche war das ein vollgiltiges Argument.
Der Beklagte wird freigeſprochen. Eine neue Anklageſchrift mit cor¬
rectem Namen iſt nicht mehr zuläſſig, denn Niemand kann deſſelben
Vergehens wegen zweimal belangt werden. So geht der Mörder un¬
gekränkt ſeinen Geſchäften nach, alle Welt kennt ihn als ſolchen —
aber was ſchadet das? Er hat ja nur einen Deutſchen umgebracht!
und in ſeinem Schul- und Kirchenvorſtand bleibt er das reſpectable
Mitglied, als hätte er ein Schwein von Cincinnati geſchlachtet.

Entſetzlich! rief Moorfeld; Sie haben dieſe Geſchichte im beſten
Henkerſtyl erzählt: kurz und kalt, wie ein Fallbeil. Ich träume
heute davon, vorausgeſetzt, daß ſie mich ſchlafen läßt. Und nach einer
Pauſe fuhr er fort: Sagen Sie, zu welcher Schönheit blickt man hier
auf, wenn die Erde ihre wüſteſten Fratzengeſichter ſchneidet?

O weh, rief Benthal, Schönheit und Amerika! Aber Sie ant¬
worten ſich ſelbſt. Blicken Sie immerhin auf, droben wohnt überall
die Schönheit, drunten nie. Der Schwindelnde macht's ja nicht an¬
ders: aufwärts ſieht er, nicht abwärts, um ſich zu halten. Darum
haben ſie auch die Sterne zu ihrem Banner gemacht. Sie erriethen's
inſtinktmäßig, ihre Erde hat weniger Schönheit, ihr Sternenhimmel
wird dringender geſucht, als irgend ſonſt wo. Ja, faſſen wir's feſt
in's Auge: nicht was dieſes Volk iſt, ſondern was es bedeutet!
Es bedeutet Höheres als Griechen und Römer, es bedeutet die Welt¬
freiheit
! Von einem andern Sterne geſehen iſt nicht Rom, nicht
Athen der lichteſte Punkt unſers Planeten — Waſhington iſt's. Ame¬
rika's Schönheit iſt Amerika's Idee!

Das ſagt' ich mir auch als ich herfuhr, antwortete Moorfeld, aber
ich komme hinter den Fehler meiner Definition. Die Schönheit iſt nicht
eine Idee, ſie iſt eine ſinnliche Form. Die Idee wird nur vom abſtracten
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[136/0154] kende Deutſche: ſie antworten mit Hieb und Stich. Der Mörder wird vor Gericht gezogen. Zufällig ſteht ſein Name in der Klage¬ ſchrift nicht ganz correct, der Beklagte ſieht es, und wendet dem Ge¬ richtshof mürriſch den Rücken. Warum man ihn ſeine Zeit verſäumen laſſe, fragt er den Anwalt, hier ſei eine Perſon mit einem Doppel-m citirt, was gehe das ihn an? er ſchreibe ſich mit einem einfachen. Vor dem engliſchen Geſetzbuche war das ein vollgiltiges Argument. Der Beklagte wird freigeſprochen. Eine neue Anklageſchrift mit cor¬ rectem Namen iſt nicht mehr zuläſſig, denn Niemand kann deſſelben Vergehens wegen zweimal belangt werden. So geht der Mörder un¬ gekränkt ſeinen Geſchäften nach, alle Welt kennt ihn als ſolchen — aber was ſchadet das? Er hat ja nur einen Deutſchen umgebracht! und in ſeinem Schul- und Kirchenvorſtand bleibt er das reſpectable Mitglied, als hätte er ein Schwein von Cincinnati geſchlachtet. Entſetzlich! rief Moorfeld; Sie haben dieſe Geſchichte im beſten Henkerſtyl erzählt: kurz und kalt, wie ein Fallbeil. Ich träume heute davon, vorausgeſetzt, daß ſie mich ſchlafen läßt. Und nach einer Pauſe fuhr er fort: Sagen Sie, zu welcher Schönheit blickt man hier auf, wenn die Erde ihre wüſteſten Fratzengeſichter ſchneidet? O weh, rief Benthal, Schönheit und Amerika! Aber Sie ant¬ worten ſich ſelbſt. Blicken Sie immerhin auf, droben wohnt überall die Schönheit, drunten nie. Der Schwindelnde macht's ja nicht an¬ ders: aufwärts ſieht er, nicht abwärts, um ſich zu halten. Darum haben ſie auch die Sterne zu ihrem Banner gemacht. Sie erriethen's inſtinktmäßig, ihre Erde hat weniger Schönheit, ihr Sternenhimmel wird dringender geſucht, als irgend ſonſt wo. Ja, faſſen wir's feſt in's Auge: nicht was dieſes Volk iſt, ſondern was es bedeutet! Es bedeutet Höheres als Griechen und Römer, es bedeutet die Welt¬ freiheit! Von einem andern Sterne geſehen iſt nicht Rom, nicht Athen der lichteſte Punkt unſers Planeten — Waſhington iſt's. Ame¬ rika's Schönheit iſt Amerika's Idee! Das ſagt' ich mir auch als ich herfuhr, antwortete Moorfeld, aber ich komme hinter den Fehler meiner Definition. Die Schönheit iſt nicht eine Idee, ſie iſt eine ſinnliche Form. Die Idee wird nur vom abſtracten Geiſte erfaßt; das iſt eine Mühe, kein Genuß. Wie exiſtirt hier das Herz? Das Herz exiſtirt nicht in Amerika, war Benthal's Antwort.

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/154>, abgerufen am 24.11.2024.