diesem Pfad geht's nun dahin mit zerrissenen Kleidern und wunden Füssen: wer sein trocken Brod verdient hört schon zu streben auf, ja er theilt noch mit dem Andern, der es nicht verdient, und der nun gleichfalls zu streben aufhört im gewohnheitsmäßigen Genusse dieser Pension. "Bruder, ich verlaß dich nicht", heißt es; aber es sollte heißen: "Bruder wir verlassen uns selbst alle Beide".
Das geht uns an, murmelte der Schriftsetzer dem Frankfurter Gärtner zu.
Benthal faßte die Beiden in's Auge, schwieg einen Augenblick, dann sagte er: Ich nenne keinen Namen, aber ich verleugne auch nicht, wer sich selbst nennt. Allerdings, das geht Sie an, meine Herren. Herr Henning, metteur-en-page, absolvirter Gymnasiast, ein Mann, der nöthigen Falls irgend einen halblateinischen Humbuger von seinem Katheder jagen könnte, zieht den Ruhm der Bescheidenheit allen übri¬ gen Erdengütern vor. Er findet sein Geschäft überfüllt am hiesigen Platze, feiert, und hat die Selbstverläugnung -- Wassereimer zu schöpfen in dankbarer Erwiederung der Verdienste, welche Herr Birk die Großmuth hat, sich um Herrn Henning zu erwerben. Nun ist zwar Ziehbrunnenarbeit nicht die heilsamste Leibesübung für einen Menschen, welcher im letzten Stadium der Phthisis pulmonalis ge¬ boren zu sein den Anspruch macht, auch wird die Nützlichkeit dieser Be¬ schäftigung nach einigen der heißesten Sommerwochen zu Ende ge¬ gangen sein: indeß bescheide ich mich gerne, vorwitziger zu sein als mir ziemt. Der Deutsche ist ja so unendlich reich an Hilfsmitteln -- sicher ist das, was nach dem Ziehbrunnen kommt, noch immer ori¬ gineller als meine dürftige Phantasie. Hat sich doch ein deutscher Offi¬ zier dem Glöckner an der Trinitatis-Kirche als Aushelfer für die Vergünstigung associrt, daß er die Sperlinge auf dem Trinitatis- Thurm schießen darf. Von diesen Sperlingen lebt er!
Der Schriftsetzer brummte: Was kann denn er dafür, daß auf dem Trinitatisthurm nicht Truthühner nisten!
Herr Birk selbst -- fuhr Benthal fort -- kam aus der Frank¬ furter Gemarkung, aus der Hochschule des deutschen Gemüsebau's und wird mit Schrecken inne, daß die Gemüseschüssel keine Rolle spielt zwischen den Fleischbergen der hiesigen Tafel. Mit Noth findet Herr Birk noch ein Stückchen Sand, das ihm einer der wenigen und schlechten
dieſem Pfad geht's nun dahin mit zerriſſenen Kleidern und wunden Füſſen: wer ſein trocken Brod verdient hört ſchon zu ſtreben auf, ja er theilt noch mit dem Andern, der es nicht verdient, und der nun gleichfalls zu ſtreben aufhört im gewohnheitsmäßigen Genuſſe dieſer Penſion. „Bruder, ich verlaß dich nicht“, heißt es; aber es ſollte heißen: „Bruder wir verlaſſen uns ſelbſt alle Beide“.
Das geht uns an, murmelte der Schriftſetzer dem Frankfurter Gärtner zu.
Benthal faßte die Beiden in's Auge, ſchwieg einen Augenblick, dann ſagte er: Ich nenne keinen Namen, aber ich verleugne auch nicht, wer ſich ſelbſt nennt. Allerdings, das geht Sie an, meine Herren. Herr Henning, metteur-en-page, abſolvirter Gymnaſiaſt, ein Mann, der nöthigen Falls irgend einen halblateiniſchen Humbuger von ſeinem Katheder jagen könnte, zieht den Ruhm der Beſcheidenheit allen übri¬ gen Erdengütern vor. Er findet ſein Geſchäft überfüllt am hieſigen Platze, feiert, und hat die Selbſtverläugnung — Waſſereimer zu ſchöpfen in dankbarer Erwiederung der Verdienſte, welche Herr Birk die Großmuth hat, ſich um Herrn Henning zu erwerben. Nun iſt zwar Ziehbrunnenarbeit nicht die heilſamſte Leibesübung für einen Menſchen, welcher im letzten Stadium der Phthisis pulmonalis ge¬ boren zu ſein den Anſpruch macht, auch wird die Nützlichkeit dieſer Be¬ ſchäftigung nach einigen der heißeſten Sommerwochen zu Ende ge¬ gangen ſein: indeß beſcheide ich mich gerne, vorwitziger zu ſein als mir ziemt. Der Deutſche iſt ja ſo unendlich reich an Hilfsmitteln — ſicher iſt das, was nach dem Ziehbrunnen kommt, noch immer ori¬ gineller als meine dürftige Phantaſie. Hat ſich doch ein deutſcher Offi¬ zier dem Glöckner an der Trinitatis-Kirche als Aushelfer für die Vergünſtigung aſſocirt, daß er die Sperlinge auf dem Trinitatis- Thurm ſchießen darf. Von dieſen Sperlingen lebt er!
Der Schriftſetzer brummte: Was kann denn er dafür, daß auf dem Trinitatisthurm nicht Truthühner niſten!
Herr Birk ſelbſt — fuhr Benthal fort — kam aus der Frank¬ furter Gemarkung, aus der Hochſchule des deutſchen Gemüſebau's und wird mit Schrecken inne, daß die Gemüſeſchüſſel keine Rolle ſpielt zwiſchen den Fleiſchbergen der hieſigen Tafel. Mit Noth findet Herr Birk noch ein Stückchen Sand, das ihm einer der wenigen und ſchlechten
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dieſem Pfad geht's nun dahin mit zerriſſenen Kleidern und wunden
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er theilt noch mit dem Andern, der es nicht verdient, und der nun
gleichfalls zu ſtreben aufhört im gewohnheitsmäßigen Genuſſe dieſer
Penſion. „Bruder, ich verlaß dich nicht“, heißt es; aber es ſollte
heißen: „Bruder wir verlaſſen uns ſelbſt alle Beide“.
Das geht uns an, murmelte der Schriftſetzer dem Frankfurter
Gärtner zu.
Benthal faßte die Beiden in's Auge, ſchwieg einen Augenblick, dann
ſagte er: Ich nenne keinen Namen, aber ich verleugne auch nicht, wer
ſich ſelbſt nennt. Allerdings, das geht Sie an, meine Herren. Herr
Henning, metteur-en-page, abſolvirter Gymnaſiaſt, ein Mann, der
nöthigen Falls irgend einen halblateiniſchen Humbuger von ſeinem
Katheder jagen könnte, zieht den Ruhm der Beſcheidenheit allen übri¬
gen Erdengütern vor. Er findet ſein Geſchäft überfüllt am hieſigen
Platze, feiert, und hat die Selbſtverläugnung — Waſſereimer zu
ſchöpfen in dankbarer Erwiederung der Verdienſte, welche Herr Birk
die Großmuth hat, ſich um Herrn Henning zu erwerben. Nun iſt
zwar Ziehbrunnenarbeit nicht die heilſamſte Leibesübung für einen
Menſchen, welcher im letzten Stadium der Phthisis pulmonalis ge¬
boren zu ſein den Anſpruch macht, auch wird die Nützlichkeit dieſer Be¬
ſchäftigung nach einigen der heißeſten Sommerwochen zu Ende ge¬
gangen ſein: indeß beſcheide ich mich gerne, vorwitziger zu ſein als
mir ziemt. Der Deutſche iſt ja ſo unendlich reich an Hilfsmitteln —
ſicher iſt das, was nach dem Ziehbrunnen kommt, noch immer ori¬
gineller als meine dürftige Phantaſie. Hat ſich doch ein deutſcher Offi¬
zier dem Glöckner an der Trinitatis-Kirche als Aushelfer für die
Vergünſtigung aſſocirt, daß er die Sperlinge auf dem Trinitatis-
Thurm ſchießen darf. Von dieſen Sperlingen lebt er!
Der Schriftſetzer brummte: Was kann denn er dafür, daß auf
dem Trinitatisthurm nicht Truthühner niſten!
Herr Birk ſelbſt — fuhr Benthal fort — kam aus der Frank¬
furter Gemarkung, aus der Hochſchule des deutſchen Gemüſebau's und
wird mit Schrecken inne, daß die Gemüſeſchüſſel keine Rolle ſpielt
zwiſchen den Fleiſchbergen der hieſigen Tafel. Mit Noth findet Herr
Birk noch ein Stückchen Sand, das ihm einer der wenigen und ſchlechten
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/146>, abgerufen am 24.11.2024.
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