Und wenn der Zimmermann feiert? erhob sich ein tiefbrauner Kopf mit dem länglich-scharfen Profil des Oberfranken.
Was! der Zimmermann feiert? rief Benthal; hier, wo jede Som¬ merstunde ein Haus ausbrütet, jeder Tag der Geburtstag einer Straße ist? Nicht möglich!
Dann lüg' ich, sagte der Franke kurz.
Benthal hielt einen Augenblick inne, hierauf erwiederte er: Sie mögen Recht haben. Newyork liegt an der Front von Amerika, es hat den stärksten Anprall der Einwanderung auszuhalten. Ich gebe die Localconcurrenz zu. Aber, ist Newyork die Union? Wo bleibt das weltgroße Hinterland? Gibt's nicht für tausende von Ackern Jahr aus Jahr ein Fenzen zu machen, ist Pennsylvanien nicht bedeckt mit Sägemühlen, die Alles beschäftigen, was seine Holzart führt?
Reisegeld! rief der Zimmermann, und das Wort traf in seiner baaren Bestimmtheit so schlagend die einfache Situation vieler Andern, daß man es augenblicklich nachhallen hörte: Reisegeld! ja, Reisegeld!
Reisegeld ist immer zu haben, antwortete Benthal; wer es so ent¬ schieden sucht, wie ich es hier äußern höre, der findet es am Hafen¬ krahn, bei den Eisenbahnen, beim Canalgraben, im Arsenal auf Broo¬ klyn, mit der Handkarre, mit der Schaufel -- wo und wie Sie wollen! Ich wüßte keine Sorte öffentlicher Arbeiten, welche nicht Taglöhner beschäftigte, so viel sich deren melden.
Das Wort Taglöhner machte einen aufregenden Eindruck auf die deutschen Handwerker. Einige fuhren wild durch einander, Andere scharrten mit den Füßen, Manche schrieen laut auf und schickten sich zum Weinen an bei der Nennung eines Wortes, das ohne alle Illusion eine desperate Lage bezeichnete. Ein Schmerzensausruf nach Deutsch¬ land erscholl, und Einer nahm dem Andern das Wort der Rückkehr vom Munde.
Benthal ließ all diese Aeußerungen eine Zeitlang ruhig gewähren, dann ergriff er wieder das Wort und sagte, als ob es nichts Beson¬ deres wäre: Was die Rückkehr nach Deutschland betrifft, so habe ich eine Notiz darüber, welche von den Schiffsrhedern, wie es scheint, in tiefstes Dunkel gehüllt wird, denn es wäre sonst befremdend, daß sie nicht allgemeiner benutzt wird. Es besteht nämlich ein Gesetz, wel¬ ches jeden Schiffseigenthümer verpflichtet, den Auswanderer, der binnen
Und wenn der Zimmermann feiert? erhob ſich ein tiefbrauner Kopf mit dem länglich-ſcharfen Profil des Oberfranken.
Was! der Zimmermann feiert? rief Benthal; hier, wo jede Som¬ merſtunde ein Haus ausbrütet, jeder Tag der Geburtstag einer Straße iſt? Nicht möglich!
Dann lüg' ich, ſagte der Franke kurz.
Benthal hielt einen Augenblick inne, hierauf erwiederte er: Sie mögen Recht haben. Newyork liegt an der Front von Amerika, es hat den ſtärkſten Anprall der Einwanderung auszuhalten. Ich gebe die Localconcurrenz zu. Aber, iſt Newyork die Union? Wo bleibt das weltgroße Hinterland? Gibt's nicht für tauſende von Ackern Jahr aus Jahr ein Fenzen zu machen, iſt Pennſylvanien nicht bedeckt mit Sägemühlen, die Alles beſchäftigen, was ſeine Holzart führt?
Reiſegeld! rief der Zimmermann, und das Wort traf in ſeiner baaren Beſtimmtheit ſo ſchlagend die einfache Situation vieler Andern, daß man es augenblicklich nachhallen hörte: Reiſegeld! ja, Reiſegeld!
Reiſegeld iſt immer zu haben, antwortete Benthal; wer es ſo ent¬ ſchieden ſucht, wie ich es hier äußern höre, der findet es am Hafen¬ krahn, bei den Eiſenbahnen, beim Canalgraben, im Arſenal auf Broo¬ klyn, mit der Handkarre, mit der Schaufel — wo und wie Sie wollen! Ich wüßte keine Sorte öffentlicher Arbeiten, welche nicht Taglöhner beſchäftigte, ſo viel ſich deren melden.
Das Wort Taglöhner machte einen aufregenden Eindruck auf die deutſchen Handwerker. Einige fuhren wild durch einander, Andere ſcharrten mit den Füßen, Manche ſchrieen laut auf und ſchickten ſich zum Weinen an bei der Nennung eines Wortes, das ohne alle Illuſion eine deſperate Lage bezeichnete. Ein Schmerzensausruf nach Deutſch¬ land erſcholl, und Einer nahm dem Andern das Wort der Rückkehr vom Munde.
Benthal ließ all dieſe Aeußerungen eine Zeitlang ruhig gewähren, dann ergriff er wieder das Wort und ſagte, als ob es nichts Beſon¬ deres wäre: Was die Rückkehr nach Deutſchland betrifft, ſo habe ich eine Notiz darüber, welche von den Schiffsrhedern, wie es ſcheint, in tiefſtes Dunkel gehüllt wird, denn es wäre ſonſt befremdend, daß ſie nicht allgemeiner benutzt wird. Es beſteht nämlich ein Geſetz, wel¬ ches jeden Schiffseigenthümer verpflichtet, den Auswanderer, der binnen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0143"n="125"/><p>Und wenn der Zimmermann feiert? erhob ſich ein tiefbrauner Kopf<lb/>
mit dem länglich-ſcharfen Profil des Oberfranken.</p><lb/><p>Was! der Zimmermann feiert? rief Benthal; hier, wo jede Som¬<lb/>
merſtunde ein Haus ausbrütet, jeder Tag der Geburtstag einer Straße<lb/>
iſt? Nicht möglich!</p><lb/><p>Dann lüg' ich, ſagte der Franke kurz.</p><lb/><p>Benthal hielt einen Augenblick inne, hierauf erwiederte er: Sie<lb/>
mögen Recht haben. Newyork liegt an der Front von Amerika, es<lb/>
hat den ſtärkſten Anprall der Einwanderung auszuhalten. Ich gebe<lb/>
die Localconcurrenz zu. Aber, iſt Newyork die Union? Wo bleibt<lb/>
das weltgroße Hinterland? Gibt's nicht für tauſende von Ackern Jahr<lb/>
aus Jahr ein Fenzen zu machen, iſt Pennſylvanien nicht bedeckt mit<lb/>
Sägemühlen, die Alles beſchäftigen, was ſeine Holzart führt?</p><lb/><p>Reiſegeld! rief der Zimmermann, und das Wort traf in ſeiner<lb/>
baaren Beſtimmtheit ſo ſchlagend die einfache Situation vieler Andern,<lb/>
daß man es augenblicklich nachhallen hörte: Reiſegeld! ja, Reiſegeld!</p><lb/><p>Reiſegeld iſt immer zu haben, antwortete Benthal; wer es ſo ent¬<lb/>ſchieden ſucht, wie ich es hier äußern höre, der findet es am Hafen¬<lb/>
krahn, bei den Eiſenbahnen, beim Canalgraben, im Arſenal auf Broo¬<lb/>
klyn, mit der Handkarre, mit der Schaufel — wo und wie Sie wollen!<lb/>
Ich wüßte keine Sorte öffentlicher Arbeiten, welche nicht Taglöhner<lb/>
beſchäftigte, ſo viel ſich deren melden.</p><lb/><p>Das Wort Taglöhner machte einen aufregenden Eindruck auf die<lb/>
deutſchen Handwerker. Einige fuhren wild durch einander, Andere<lb/>ſcharrten mit den Füßen, Manche ſchrieen laut auf und ſchickten ſich<lb/>
zum Weinen an bei der Nennung eines Wortes, das ohne alle Illuſion<lb/>
eine deſperate Lage bezeichnete. Ein Schmerzensausruf nach Deutſch¬<lb/>
land erſcholl, und Einer nahm dem Andern das Wort der Rückkehr<lb/>
vom Munde.</p><lb/><p>Benthal ließ all dieſe Aeußerungen eine Zeitlang ruhig gewähren,<lb/>
dann ergriff er wieder das Wort und ſagte, als ob es nichts Beſon¬<lb/>
deres wäre: Was die Rückkehr nach Deutſchland betrifft, ſo habe ich<lb/>
eine Notiz darüber, welche von den Schiffsrhedern, wie es ſcheint, in<lb/>
tiefſtes Dunkel gehüllt wird, denn es wäre ſonſt befremdend, daß<lb/>ſie nicht allgemeiner benutzt wird. Es beſteht nämlich ein Geſetz, wel¬<lb/>
ches jeden Schiffseigenthümer verpflichtet, den Auswanderer, der binnen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[125/0143]
Und wenn der Zimmermann feiert? erhob ſich ein tiefbrauner Kopf
mit dem länglich-ſcharfen Profil des Oberfranken.
Was! der Zimmermann feiert? rief Benthal; hier, wo jede Som¬
merſtunde ein Haus ausbrütet, jeder Tag der Geburtstag einer Straße
iſt? Nicht möglich!
Dann lüg' ich, ſagte der Franke kurz.
Benthal hielt einen Augenblick inne, hierauf erwiederte er: Sie
mögen Recht haben. Newyork liegt an der Front von Amerika, es
hat den ſtärkſten Anprall der Einwanderung auszuhalten. Ich gebe
die Localconcurrenz zu. Aber, iſt Newyork die Union? Wo bleibt
das weltgroße Hinterland? Gibt's nicht für tauſende von Ackern Jahr
aus Jahr ein Fenzen zu machen, iſt Pennſylvanien nicht bedeckt mit
Sägemühlen, die Alles beſchäftigen, was ſeine Holzart führt?
Reiſegeld! rief der Zimmermann, und das Wort traf in ſeiner
baaren Beſtimmtheit ſo ſchlagend die einfache Situation vieler Andern,
daß man es augenblicklich nachhallen hörte: Reiſegeld! ja, Reiſegeld!
Reiſegeld iſt immer zu haben, antwortete Benthal; wer es ſo ent¬
ſchieden ſucht, wie ich es hier äußern höre, der findet es am Hafen¬
krahn, bei den Eiſenbahnen, beim Canalgraben, im Arſenal auf Broo¬
klyn, mit der Handkarre, mit der Schaufel — wo und wie Sie wollen!
Ich wüßte keine Sorte öffentlicher Arbeiten, welche nicht Taglöhner
beſchäftigte, ſo viel ſich deren melden.
Das Wort Taglöhner machte einen aufregenden Eindruck auf die
deutſchen Handwerker. Einige fuhren wild durch einander, Andere
ſcharrten mit den Füßen, Manche ſchrieen laut auf und ſchickten ſich
zum Weinen an bei der Nennung eines Wortes, das ohne alle Illuſion
eine deſperate Lage bezeichnete. Ein Schmerzensausruf nach Deutſch¬
land erſcholl, und Einer nahm dem Andern das Wort der Rückkehr
vom Munde.
Benthal ließ all dieſe Aeußerungen eine Zeitlang ruhig gewähren,
dann ergriff er wieder das Wort und ſagte, als ob es nichts Beſon¬
deres wäre: Was die Rückkehr nach Deutſchland betrifft, ſo habe ich
eine Notiz darüber, welche von den Schiffsrhedern, wie es ſcheint, in
tiefſtes Dunkel gehüllt wird, denn es wäre ſonſt befremdend, daß
ſie nicht allgemeiner benutzt wird. Es beſteht nämlich ein Geſetz, wel¬
ches jeden Schiffseigenthümer verpflichtet, den Auswanderer, der binnen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/143>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.