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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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zehnerlei andern Branchen suchen muß, und umgekehrt mengseln sie
Handwerker zusammen -- es ist toll! Ich möcht' hier in keiner Ba¬
taille blessirt werden: ein Yankee-Chirurg ist im Stande und setzt mir
den Fußknöchel in's Schulterblatt.

Geht mir's anders? hub ein Glaser an; aber Benthal unterbrach
ihn: Mit Erlaubniß, Herr Thalhofer ist nicht zu Ende.

Der Westphale fuhr fort: Was meinen Sie nun, Herr Rector,
soll ich meinen letzten Penny in die Cigarrenmacher-Schule tragen?

Ist es der letzte? fragte Benthal.

Der allerletzte; und wenn der deutsche Kaiser sein Pöstchen ein¬
forderte --

Das sind freilich keine Umstände für einen Lehrcursus, erwiederte
Benthal; mit Schulden anzufangen ist überall verdrießlich, doppelt
in Auswandererslage, wo vielmehr stets ein paar Dollar Reisegeld
übrig sein sollten für den Fall eines Unterkommens im Innern. Ich
will Ihnen dieses sagen: In Williamsburg weiß ich zwei deutsche
Doctoren, welche Pappschachteln machen; ihr Absatz ist bereits so
gut, daß auch ein Dritter Arbeit fände. Fahren Sie einmal hinüber.

Der Tapezierer sagte bedenklich: Aber, Herr Rector, werden sich
die Doctoren einen simplen Handwerksmann auch gefallen lassen?

Benthal schrieb ihm die Adresse auf und hielt den Einwand kaum
der Mühe werth, mit Gemurmel darauf zu antworten: Ich hoffe,
die Herren haben begriffen, daß sie in Newyork sind, und nicht in
Schilda; -- worauf er sogleich fortfuhr: Was wollten Sie sagen,
Herr Loßbert?

Der Glaser antwortete: Neues gar nichts, Herr Rector, gar
nichts. Ich bin eben dran, wie wir Deutsche alle. Der Goldarbeiter
soll Uhrmacher sein, der Tuchmacher Teppichdampfweber, der Tapezierer
Möbelschreiner, der Möbelschreiner Anstreicher -- nur was der Glaser
hier sein soll, konnt' ich noch nicht loskriegen. Aber daß er nichts ist,
so viel weiß ich bereits. Auch ich tappe im Finstern herum nach einem
Zipfel meines Handwerks und kann ihn nirgends erwischen.

Suchen Sie ihn beim Bautischler, antwortete Benthal.

Aber wenn auch dem Bautischler Arbeit fehlt? fragte der phälzische
Schreiner.

So hat sie der Zimmermann, war Benthal's Antwort.

zehnerlei andern Branchen ſuchen muß, und umgekehrt mengſeln ſie
Handwerker zuſammen — es iſt toll! Ich möcht' hier in keiner Ba¬
taille bleſſirt werden: ein Yankee-Chirurg iſt im Stande und ſetzt mir
den Fußknöchel in's Schulterblatt.

Geht mir's anders? hub ein Glaſer an; aber Benthal unterbrach
ihn: Mit Erlaubniß, Herr Thalhofer iſt nicht zu Ende.

Der Weſtphale fuhr fort: Was meinen Sie nun, Herr Rector,
ſoll ich meinen letzten Penny in die Cigarrenmacher-Schule tragen?

Iſt es der letzte? fragte Benthal.

Der allerletzte; und wenn der deutſche Kaiſer ſein Pöſtchen ein¬
forderte —

Das ſind freilich keine Umſtände für einen Lehrcurſus, erwiederte
Benthal; mit Schulden anzufangen iſt überall verdrießlich, doppelt
in Auswandererslage, wo vielmehr ſtets ein paar Dollar Reiſegeld
übrig ſein ſollten für den Fall eines Unterkommens im Innern. Ich
will Ihnen dieſes ſagen: In Williamsburg weiß ich zwei deutſche
Doctoren, welche Pappſchachteln machen; ihr Abſatz iſt bereits ſo
gut, daß auch ein Dritter Arbeit fände. Fahren Sie einmal hinüber.

Der Tapezierer ſagte bedenklich: Aber, Herr Rector, werden ſich
die Doctoren einen ſimplen Handwerksmann auch gefallen laſſen?

Benthal ſchrieb ihm die Adreſſe auf und hielt den Einwand kaum
der Mühe werth, mit Gemurmel darauf zu antworten: Ich hoffe,
die Herren haben begriffen, daß ſie in Newyork ſind, und nicht in
Schilda; — worauf er ſogleich fortfuhr: Was wollten Sie ſagen,
Herr Loßbert?

Der Glaſer antwortete: Neues gar nichts, Herr Rector, gar
nichts. Ich bin eben dran, wie wir Deutſche alle. Der Goldarbeiter
ſoll Uhrmacher ſein, der Tuchmacher Teppichdampfweber, der Tapezierer
Möbelſchreiner, der Möbelſchreiner Anſtreicher — nur was der Glaſer
hier ſein ſoll, konnt' ich noch nicht loskriegen. Aber daß er nichts iſt,
ſo viel weiß ich bereits. Auch ich tappe im Finſtern herum nach einem
Zipfel meines Handwerks und kann ihn nirgends erwiſchen.

Suchen Sie ihn beim Bautiſchler, antwortete Benthal.

Aber wenn auch dem Bautiſchler Arbeit fehlt? fragte der phälziſche
Schreiner.

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[124/0142] zehnerlei andern Branchen ſuchen muß, und umgekehrt mengſeln ſie Handwerker zuſammen — es iſt toll! Ich möcht' hier in keiner Ba¬ taille bleſſirt werden: ein Yankee-Chirurg iſt im Stande und ſetzt mir den Fußknöchel in's Schulterblatt. Geht mir's anders? hub ein Glaſer an; aber Benthal unterbrach ihn: Mit Erlaubniß, Herr Thalhofer iſt nicht zu Ende. Der Weſtphale fuhr fort: Was meinen Sie nun, Herr Rector, ſoll ich meinen letzten Penny in die Cigarrenmacher-Schule tragen? Iſt es der letzte? fragte Benthal. Der allerletzte; und wenn der deutſche Kaiſer ſein Pöſtchen ein¬ forderte — Das ſind freilich keine Umſtände für einen Lehrcurſus, erwiederte Benthal; mit Schulden anzufangen iſt überall verdrießlich, doppelt in Auswandererslage, wo vielmehr ſtets ein paar Dollar Reiſegeld übrig ſein ſollten für den Fall eines Unterkommens im Innern. Ich will Ihnen dieſes ſagen: In Williamsburg weiß ich zwei deutſche Doctoren, welche Pappſchachteln machen; ihr Abſatz iſt bereits ſo gut, daß auch ein Dritter Arbeit fände. Fahren Sie einmal hinüber. Der Tapezierer ſagte bedenklich: Aber, Herr Rector, werden ſich die Doctoren einen ſimplen Handwerksmann auch gefallen laſſen? Benthal ſchrieb ihm die Adreſſe auf und hielt den Einwand kaum der Mühe werth, mit Gemurmel darauf zu antworten: Ich hoffe, die Herren haben begriffen, daß ſie in Newyork ſind, und nicht in Schilda; — worauf er ſogleich fortfuhr: Was wollten Sie ſagen, Herr Loßbert? Der Glaſer antwortete: Neues gar nichts, Herr Rector, gar nichts. Ich bin eben dran, wie wir Deutſche alle. Der Goldarbeiter ſoll Uhrmacher ſein, der Tuchmacher Teppichdampfweber, der Tapezierer Möbelſchreiner, der Möbelſchreiner Anſtreicher — nur was der Glaſer hier ſein ſoll, konnt' ich noch nicht loskriegen. Aber daß er nichts iſt, ſo viel weiß ich bereits. Auch ich tappe im Finſtern herum nach einem Zipfel meines Handwerks und kann ihn nirgends erwiſchen. Suchen Sie ihn beim Bautiſchler, antwortete Benthal. Aber wenn auch dem Bautiſchler Arbeit fehlt? fragte der phälziſche Schreiner. So hat ſie der Zimmermann, war Benthal's Antwort.

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/142>, abgerufen am 24.11.2024.