Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Schotte, Holländer, Deutscher, Franzose, -- jeder ist ihr Bruder, jeden
dutzen sie in seiner Muttersprache und verderben ihn ohne eine Spur
von Gewissen. Wer ihnen traut, hat immer den schlechtesten Stand
hier, sein Gewerbe ist immer das elendeste, es sei was es sei. Bis
auf die letzte Ader saugen sie ihm den Muth aus der Seele und
füllen sie dafür mit Whisky-Begeisterung und Arac-Moral. Sie
schleppen ihn von Schenke zu Schenke, halten ihn frei, vermitteln ihm
Alles und Jedes, lassen ihm keinen selbständigen Schritt zu, nur durch
ihre Brille darf der "Landsmann" die neue Welt sehen. Endlich haben
sie ihn für jeden Preis, schleppen den "glücklich Placirten" in seine
Sclaverei, und wenn es je möglich ist, einen Menschen lebendigen
Leibs zu viertheilen, so ist ein solches Opfer geviertheilt. Ein Viertel
bekommt der Zubringer, ein Viertel der Herbergswirth, ein Viertel
der Arbeitgeber und nur das letzte Viertel seines Verdiensts er, der
Arbeiter selbst. Davon mag er vegetiren bis ihm der letzte gesunde
Tropfen ausgepreßt ist, bis er hingeht, Lump mit den Lumpen, und
den neuen Landsmann verdirbt, wie er selbst verderbt wurde. Wahr¬
lich, vergebens jubelt der arme Auswanderer, der Pest und dem Ekel
des Zwischendecks zu entfliehen: so wie er den Fuß an's Land setzt,
verwandelt sich ihm das Schiffsungeziefer in Loafer's, Runner's und
Rowdie's, und Fleisch und das Mark in den Knochen verschwindet
unter den Freßzangen dieser Brut. Ich beschwöre Sie, meine Herren,
würdigen Sie diese Hafen-Landsmannschaft Ihres Umganges nicht!
Von dem Augenblicke an, als ich das Treiben dort kennen lernte,
hielt ich es für meine heilige Pflicht, mein Glas Bier in Ihrer Mitte
zu trinken, um das Wenige aber mindestens Wahre und Wohlgemeinte
Ihnen mitzutheilen, was meine Zeit mir von hiesiger Ortskunde ein¬
zusammeln erlaubt.

Eine Stimme rief aus der Mitte der Uebrigen: Ist stets dankbar
anerkannt worden, Herr Rector, und wir Alle wünschen, Sie mach¬
ten uns endlich die Freude, und ließen sich eine regelmäßige Grati¬
fication für Ihre Bemühungen gefallen. Es wäre nicht mehr als in
der Ordnung.

Benthal antwortete hurtig: Ich bitte das ruhen zu lassen, ich
habe es eben so oft gewünscht. Sie wissen, daß ich kein Verdienst
daraus mache, im grünen Baum einzukehren und mich mit Ihnen zu

Schotte, Holländer, Deutſcher, Franzoſe, — jeder iſt ihr Bruder, jeden
dutzen ſie in ſeiner Mutterſprache und verderben ihn ohne eine Spur
von Gewiſſen. Wer ihnen traut, hat immer den ſchlechteſten Stand
hier, ſein Gewerbe iſt immer das elendeſte, es ſei was es ſei. Bis
auf die letzte Ader ſaugen ſie ihm den Muth aus der Seele und
füllen ſie dafür mit Whisky-Begeiſterung und Arac-Moral. Sie
ſchleppen ihn von Schenke zu Schenke, halten ihn frei, vermitteln ihm
Alles und Jedes, laſſen ihm keinen ſelbſtändigen Schritt zu, nur durch
ihre Brille darf der „Landsmann“ die neue Welt ſehen. Endlich haben
ſie ihn für jeden Preis, ſchleppen den „glücklich Placirten“ in ſeine
Sclaverei, und wenn es je möglich iſt, einen Menſchen lebendigen
Leibs zu viertheilen, ſo iſt ein ſolches Opfer geviertheilt. Ein Viertel
bekommt der Zubringer, ein Viertel der Herbergswirth, ein Viertel
der Arbeitgeber und nur das letzte Viertel ſeines Verdienſts er, der
Arbeiter ſelbſt. Davon mag er vegetiren bis ihm der letzte geſunde
Tropfen ausgepreßt iſt, bis er hingeht, Lump mit den Lumpen, und
den neuen Landsmann verdirbt, wie er ſelbſt verderbt wurde. Wahr¬
lich, vergebens jubelt der arme Auswanderer, der Peſt und dem Ekel
des Zwiſchendecks zu entfliehen: ſo wie er den Fuß an's Land ſetzt,
verwandelt ſich ihm das Schiffsungeziefer in Loafer's, Runner's und
Rowdie's, und Fleiſch und das Mark in den Knochen verſchwindet
unter den Freßzangen dieſer Brut. Ich beſchwöre Sie, meine Herren,
würdigen Sie dieſe Hafen-Landsmannſchaft Ihres Umganges nicht!
Von dem Augenblicke an, als ich das Treiben dort kennen lernte,
hielt ich es für meine heilige Pflicht, mein Glas Bier in Ihrer Mitte
zu trinken, um das Wenige aber mindeſtens Wahre und Wohlgemeinte
Ihnen mitzutheilen, was meine Zeit mir von hieſiger Ortskunde ein¬
zuſammeln erlaubt.

Eine Stimme rief aus der Mitte der Uebrigen: Iſt ſtets dankbar
anerkannt worden, Herr Rector, und wir Alle wünſchen, Sie mach¬
ten uns endlich die Freude, und ließen ſich eine regelmäßige Grati¬
fication für Ihre Bemühungen gefallen. Es wäre nicht mehr als in
der Ordnung.

Benthal antwortete hurtig: Ich bitte das ruhen zu laſſen, ich
habe es eben ſo oft gewünſcht. Sie wiſſen, daß ich kein Verdienſt
daraus mache, im grünen Baum einzukehren und mich mit Ihnen zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0139" n="121"/>
Schotte, Holländer, Deut&#x017F;cher, Franzo&#x017F;e, &#x2014; jeder i&#x017F;t ihr Bruder, jeden<lb/>
dutzen &#x017F;ie in &#x017F;einer Mutter&#x017F;prache und verderben ihn ohne eine Spur<lb/>
von Gewi&#x017F;&#x017F;en. Wer <hi rendition="#g">ihnen</hi> traut, hat immer den &#x017F;chlechte&#x017F;ten Stand<lb/>
hier, &#x017F;ein Gewerbe i&#x017F;t immer das elende&#x017F;te, es &#x017F;ei was es &#x017F;ei. Bis<lb/>
auf die letzte Ader &#x017F;augen &#x017F;ie ihm den Muth aus der Seele und<lb/>
füllen &#x017F;ie dafür mit Whisky-Begei&#x017F;terung und Arac-Moral. Sie<lb/>
&#x017F;chleppen ihn von Schenke zu Schenke, halten ihn frei, vermitteln ihm<lb/>
Alles und Jedes, la&#x017F;&#x017F;en ihm keinen &#x017F;elb&#x017F;tändigen Schritt zu, nur durch<lb/>
ihre Brille darf der &#x201E;Landsmann&#x201C; die neue Welt &#x017F;ehen. Endlich haben<lb/>
&#x017F;ie ihn für jeden Preis, &#x017F;chleppen den &#x201E;glücklich Placirten&#x201C; in &#x017F;eine<lb/>
Sclaverei, und wenn es je möglich i&#x017F;t, einen Men&#x017F;chen lebendigen<lb/>
Leibs zu viertheilen, &#x017F;o i&#x017F;t ein &#x017F;olches Opfer geviertheilt. Ein Viertel<lb/>
bekommt der Zubringer, ein Viertel der Herbergswirth, ein Viertel<lb/>
der Arbeitgeber und nur das letzte Viertel &#x017F;eines Verdien&#x017F;ts er, der<lb/>
Arbeiter &#x017F;elb&#x017F;t. Davon mag er vegetiren bis ihm der letzte ge&#x017F;unde<lb/>
Tropfen ausgepreßt i&#x017F;t, bis er hingeht, Lump mit den Lumpen, und<lb/>
den neuen Landsmann verdirbt, wie er &#x017F;elb&#x017F;t verderbt wurde. Wahr¬<lb/>
lich, vergebens jubelt der arme Auswanderer, der Pe&#x017F;t und dem Ekel<lb/>
des Zwi&#x017F;chendecks zu entfliehen: &#x017F;o wie er den Fuß an's Land &#x017F;etzt,<lb/>
verwandelt &#x017F;ich ihm das Schiffsungeziefer in Loafer's, Runner's und<lb/>
Rowdie's, und Flei&#x017F;ch und das Mark in den Knochen ver&#x017F;chwindet<lb/>
unter den Freßzangen die&#x017F;er Brut. Ich be&#x017F;chwöre Sie, meine Herren,<lb/>
würdigen Sie die&#x017F;e Hafen-Landsmann&#x017F;chaft Ihres Umganges nicht!<lb/>
Von dem Augenblicke an, als ich das Treiben dort kennen lernte,<lb/>
hielt ich es für meine heilige Pflicht, mein Glas Bier in Ihrer Mitte<lb/>
zu trinken, um das Wenige aber minde&#x017F;tens Wahre und Wohlgemeinte<lb/>
Ihnen mitzutheilen, was meine Zeit mir von hie&#x017F;iger Ortskunde ein¬<lb/>
zu&#x017F;ammeln erlaubt.</p><lb/>
          <p>Eine Stimme rief aus der Mitte der Uebrigen: I&#x017F;t &#x017F;tets dankbar<lb/>
anerkannt worden, Herr <hi rendition="#aq">Rector</hi>, und wir Alle wün&#x017F;chen, Sie mach¬<lb/>
ten uns endlich die Freude, und ließen &#x017F;ich eine regelmäßige Grati¬<lb/>
fication für Ihre Bemühungen gefallen. Es wäre nicht mehr als in<lb/>
der Ordnung.</p><lb/>
          <p>Benthal antwortete hurtig: Ich bitte das ruhen zu la&#x017F;&#x017F;en, ich<lb/>
habe es eben &#x017F;o oft gewün&#x017F;cht. Sie wi&#x017F;&#x017F;en, daß ich kein Verdien&#x017F;t<lb/>
daraus mache, im grünen Baum einzukehren und mich mit Ihnen zu<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0139] Schotte, Holländer, Deutſcher, Franzoſe, — jeder iſt ihr Bruder, jeden dutzen ſie in ſeiner Mutterſprache und verderben ihn ohne eine Spur von Gewiſſen. Wer ihnen traut, hat immer den ſchlechteſten Stand hier, ſein Gewerbe iſt immer das elendeſte, es ſei was es ſei. Bis auf die letzte Ader ſaugen ſie ihm den Muth aus der Seele und füllen ſie dafür mit Whisky-Begeiſterung und Arac-Moral. Sie ſchleppen ihn von Schenke zu Schenke, halten ihn frei, vermitteln ihm Alles und Jedes, laſſen ihm keinen ſelbſtändigen Schritt zu, nur durch ihre Brille darf der „Landsmann“ die neue Welt ſehen. Endlich haben ſie ihn für jeden Preis, ſchleppen den „glücklich Placirten“ in ſeine Sclaverei, und wenn es je möglich iſt, einen Menſchen lebendigen Leibs zu viertheilen, ſo iſt ein ſolches Opfer geviertheilt. Ein Viertel bekommt der Zubringer, ein Viertel der Herbergswirth, ein Viertel der Arbeitgeber und nur das letzte Viertel ſeines Verdienſts er, der Arbeiter ſelbſt. Davon mag er vegetiren bis ihm der letzte geſunde Tropfen ausgepreßt iſt, bis er hingeht, Lump mit den Lumpen, und den neuen Landsmann verdirbt, wie er ſelbſt verderbt wurde. Wahr¬ lich, vergebens jubelt der arme Auswanderer, der Peſt und dem Ekel des Zwiſchendecks zu entfliehen: ſo wie er den Fuß an's Land ſetzt, verwandelt ſich ihm das Schiffsungeziefer in Loafer's, Runner's und Rowdie's, und Fleiſch und das Mark in den Knochen verſchwindet unter den Freßzangen dieſer Brut. Ich beſchwöre Sie, meine Herren, würdigen Sie dieſe Hafen-Landsmannſchaft Ihres Umganges nicht! Von dem Augenblicke an, als ich das Treiben dort kennen lernte, hielt ich es für meine heilige Pflicht, mein Glas Bier in Ihrer Mitte zu trinken, um das Wenige aber mindeſtens Wahre und Wohlgemeinte Ihnen mitzutheilen, was meine Zeit mir von hieſiger Ortskunde ein¬ zuſammeln erlaubt. Eine Stimme rief aus der Mitte der Uebrigen: Iſt ſtets dankbar anerkannt worden, Herr Rector, und wir Alle wünſchen, Sie mach¬ ten uns endlich die Freude, und ließen ſich eine regelmäßige Grati¬ fication für Ihre Bemühungen gefallen. Es wäre nicht mehr als in der Ordnung. Benthal antwortete hurtig: Ich bitte das ruhen zu laſſen, ich habe es eben ſo oft gewünſcht. Sie wiſſen, daß ich kein Verdienſt daraus mache, im grünen Baum einzukehren und mich mit Ihnen zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/139
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/139>, abgerufen am 26.12.2024.