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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Küche erst anerziehen. Ich z. B. aß nur einmal in der Woche ame¬
rikanisch, dann zweimal, dreimal, u. s. f. bis ich mich vom grünen
Baum entwöhnt hatte. Man fällt auf Listen, wie Demosthenes, voraus¬
gesetzt, man hat auch von seinem Willensernste Etwas.

Der Lockige antwortete mit einer Art komischer Tragik: Gewisse
Dinge liegen außer unsrer Selbstbestimmung, Herr Rector. Deutsch
zu hungern, wird mir leichter, als amerikanisch zu essen. Auf Ehre!

Benthal zuckte die Achseln und sagte: Zufällig habe ich noch etwas
an der Hand für Sie. Es kam mir ein Brief zu Gesichte, ein deut¬
scher Arzt in einer Shaker-Gemeinde bei Pittsburg freut sich darin
über den Aufschwung seiner Praxis, und da er bisher die Arzeneien
größtentheils selbst bereitete, wie es bei Aerzten kleiner Landstädte
hier Brauch ist, so würde er dieses Geschäft jetzt gerne einem Colla¬
borator überlassen. Notabene, er wünschte ausdrücklich einen Deutschen
dafür. Vielleicht führt er denn auch noch deutsche Küche. Genug,
ich notirte mir's gleichfalls für Sie, Herr Poll.

Dankschuldigst anerkannt! erwiederte der Gelockte, aber mit einem
langen Gesichte und bedächtigem Griff in seine Rocktasche, fragte er
gedehnt: Bei Pittsburg, Herr Rector, sagten Sie so?

In der Gegend von Pittsburg, ja!

Der Apotheker hatte eine Druckschrift aus der zerrissenen Rocktasche
zu Tage gewickelt und schlug jetzt mit der Hand, daß es klatschte, in
das entfaltete Papier. Richtig! Pittsburg, im Mai, da steht es! oh
ich Schlemihl! rief er bestürzt.

Alles blickte auf ihn und seine Papiere, umdrängte ihn und
forschte.

Das ist ja im Narrenland! dieses Pittsburg, brach Poll mit
erhobener Stimme los. Und die Gruppe voll gespannter, neugieriger
Gesichter anredend, fuhr er fort: Stellen Sie sich vor, meine Herren,
ich promenire heute am Nordfluß, weiß Gott woran ich dachte, da
kommt ein Bengel mit einem Austräger-Portefeuille auf mich zu, und
schenkt mir dieses Tractätlein. Man kennt die Waare, die sich Einem
so auf den Straßen an den Hals wirft; indeß, ich denke: du übst dich
im Englischen, und müßig wie ich bin, las ich den bedruckten Lumpen.
Aber da hört doch Alles auf. Ich übersetze nicht so fließend, Sie
bemühen sich wohl, Herr Rector!

8 *

Küche erſt anerziehen. Ich z. B. aß nur einmal in der Woche ame¬
rikaniſch, dann zweimal, dreimal, u. ſ. f. bis ich mich vom grünen
Baum entwöhnt hatte. Man fällt auf Liſten, wie Demoſthenes, voraus¬
geſetzt, man hat auch von ſeinem Willensernſte Etwas.

Der Lockige antwortete mit einer Art komiſcher Tragik: Gewiſſe
Dinge liegen außer unſrer Selbſtbeſtimmung, Herr Rector. Deutſch
zu hungern, wird mir leichter, als amerikaniſch zu eſſen. Auf Ehre!

Benthal zuckte die Achſeln und ſagte: Zufällig habe ich noch etwas
an der Hand für Sie. Es kam mir ein Brief zu Geſichte, ein deut¬
ſcher Arzt in einer Shaker-Gemeinde bei Pittsburg freut ſich darin
über den Aufſchwung ſeiner Praxis, und da er bisher die Arzeneien
größtentheils ſelbſt bereitete, wie es bei Aerzten kleiner Landſtädte
hier Brauch iſt, ſo würde er dieſes Geſchäft jetzt gerne einem Colla¬
borator überlaſſen. Notabene, er wünſchte ausdrücklich einen Deutſchen
dafür. Vielleicht führt er denn auch noch deutſche Küche. Genug,
ich notirte mir's gleichfalls für Sie, Herr Poll.

Dankſchuldigſt anerkannt! erwiederte der Gelockte, aber mit einem
langen Geſichte und bedächtigem Griff in ſeine Rocktaſche, fragte er
gedehnt: Bei Pittsburg, Herr Rector, ſagten Sie ſo?

In der Gegend von Pittsburg, ja!

Der Apotheker hatte eine Druckſchrift aus der zerriſſenen Rocktaſche
zu Tage gewickelt und ſchlug jetzt mit der Hand, daß es klatſchte, in
das entfaltete Papier. Richtig! Pittsburg, im Mai, da ſteht es! oh
ich Schlemihl! rief er beſtürzt.

Alles blickte auf ihn und ſeine Papiere, umdrängte ihn und
forſchte.

Das iſt ja im Narrenland! dieſes Pittsburg, brach Poll mit
erhobener Stimme los. Und die Gruppe voll geſpannter, neugieriger
Geſichter anredend, fuhr er fort: Stellen Sie ſich vor, meine Herren,
ich promenire heute am Nordfluß, weiß Gott woran ich dachte, da
kommt ein Bengel mit einem Austräger-Portefeuille auf mich zu, und
ſchenkt mir dieſes Tractätlein. Man kennt die Waare, die ſich Einem
ſo auf den Straßen an den Hals wirft; indeß, ich denke: du übſt dich
im Engliſchen, und müßig wie ich bin, las ich den bedruckten Lumpen.
Aber da hört doch Alles auf. Ich überſetze nicht ſo fließend, Sie
bemühen ſich wohl, Herr Rector!

8 *
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[115/0133] Küche erſt anerziehen. Ich z. B. aß nur einmal in der Woche ame¬ rikaniſch, dann zweimal, dreimal, u. ſ. f. bis ich mich vom grünen Baum entwöhnt hatte. Man fällt auf Liſten, wie Demoſthenes, voraus¬ geſetzt, man hat auch von ſeinem Willensernſte Etwas. Der Lockige antwortete mit einer Art komiſcher Tragik: Gewiſſe Dinge liegen außer unſrer Selbſtbeſtimmung, Herr Rector. Deutſch zu hungern, wird mir leichter, als amerikaniſch zu eſſen. Auf Ehre! Benthal zuckte die Achſeln und ſagte: Zufällig habe ich noch etwas an der Hand für Sie. Es kam mir ein Brief zu Geſichte, ein deut¬ ſcher Arzt in einer Shaker-Gemeinde bei Pittsburg freut ſich darin über den Aufſchwung ſeiner Praxis, und da er bisher die Arzeneien größtentheils ſelbſt bereitete, wie es bei Aerzten kleiner Landſtädte hier Brauch iſt, ſo würde er dieſes Geſchäft jetzt gerne einem Colla¬ borator überlaſſen. Notabene, er wünſchte ausdrücklich einen Deutſchen dafür. Vielleicht führt er denn auch noch deutſche Küche. Genug, ich notirte mir's gleichfalls für Sie, Herr Poll. Dankſchuldigſt anerkannt! erwiederte der Gelockte, aber mit einem langen Geſichte und bedächtigem Griff in ſeine Rocktaſche, fragte er gedehnt: Bei Pittsburg, Herr Rector, ſagten Sie ſo? In der Gegend von Pittsburg, ja! Der Apotheker hatte eine Druckſchrift aus der zerriſſenen Rocktaſche zu Tage gewickelt und ſchlug jetzt mit der Hand, daß es klatſchte, in das entfaltete Papier. Richtig! Pittsburg, im Mai, da ſteht es! oh ich Schlemihl! rief er beſtürzt. Alles blickte auf ihn und ſeine Papiere, umdrängte ihn und forſchte. Das iſt ja im Narrenland! dieſes Pittsburg, brach Poll mit erhobener Stimme los. Und die Gruppe voll geſpannter, neugieriger Geſichter anredend, fuhr er fort: Stellen Sie ſich vor, meine Herren, ich promenire heute am Nordfluß, weiß Gott woran ich dachte, da kommt ein Bengel mit einem Austräger-Portefeuille auf mich zu, und ſchenkt mir dieſes Tractätlein. Man kennt die Waare, die ſich Einem ſo auf den Straßen an den Hals wirft; indeß, ich denke: du übſt dich im Engliſchen, und müßig wie ich bin, las ich den bedruckten Lumpen. Aber da hört doch Alles auf. Ich überſetze nicht ſo fließend, Sie bemühen ſich wohl, Herr Rector! 8 *

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/133>, abgerufen am 24.11.2024.