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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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berechnet man Ihnen mehr. Auch werden Sie im Contract sich aus¬
drücklich Cajütenpassagier nennen lassen, sonst bringt man Ihnen
die Cajüte in Abzug und verwendet Sie auf der Fahrt zu Schiffs¬
diensten.

Eine Stimme unterbrach diese Anweisung mit den Worten: Er
mag thun was er will, betrogen wird er doch.

Benthal blickte auf und rief mit Verwunderung: Ei, Herr Sall¬
mann, wie kommen denn Sie wieder hieher? Es war der Bäcker aus
Altenburg, einer der früheren Gesprächsführer bei Moorfeld's Eintritt.
Sallmann war eine stattliche Persönlichkeit. Eine wahre Bürgermeister¬
figur. Alles an ihm hatte bessere Tage gesehen. Er schien ein Stück
so recht aus der Mitte geschnitten eines deutschen Gemeinwesens, einer
ehrbaren Häuslichkeit. Die Trümmer des gebrochenen Selbstgefühls
waren kläglich anzusehen auf dieser vollen, fast herrischen Gestalt. Er
saß da, in düstrer, grimmiger Resignation, und mit einer Stimme
voll Bitterkeit antwortete er: Wie ich hieher komme? das will ich Ihnen
sagen. Ich höre, Sie kennen das liebe Amerika; wohlan, merken Sie
sich auch dieses Stückchen dazu. Ich hatte mein Metier, wie Sie
wissen, mit einem kleinen Backofen in Miethe angefangen, und da
mir für's Erste die Kundschaft fehlte, so trug ich auf eigenem Rücken
mein Erzeugniß hausiren. Das war mir freilich nicht gesungen, als
ich in Altenburg eben so die Adresse für unsern braven Moosbach
herumtrug, der jetzt im Königstein fault. Aber in Gottes Namen!
Keine Arbeit ist hier geschänd't und Frau und Kind wollen nachkom¬
men so eher so besser: da greift man aus. Ich hatte mich also auf
ein paar hundert Dollars gebracht, auf einmal ereignet sich's, daß ich
das Capital anlegen kann im großen Styl, wie ich mein Geschäft ge¬
wohnt bin. Mein Nachbar will abreisen, und verkauft mir seine
namhafte Kundschaft. Er läßt mit drei oder vier Bread-Drivers
austragen, indeß ich allein mein Transportgaul bin. Wir waren des
Handels bald eins. Als er das Geld hatte, machte er eine Spazier¬
fahrt auf drei Tage, kommt zurück, sagt, er habe sich anders besonnen,
und arbeite weitert in seiner Kundschaft. Mein Geld jedoch verweigert
er mir mit frecher Lache. Natürlich, werde ich klagbar. Aber wie im
Schlaraffenland der Dummste und Faulste König ist, so scheint das
Recht hier eine Prämie des lumpigsten Lumpen. Denn was sagt die

berechnet man Ihnen mehr. Auch werden Sie im Contract ſich aus¬
drücklich Cajütenpaſſagier nennen laſſen, ſonſt bringt man Ihnen
die Cajüte in Abzug und verwendet Sie auf der Fahrt zu Schiffs¬
dienſten.

Eine Stimme unterbrach dieſe Anweiſung mit den Worten: Er
mag thun was er will, betrogen wird er doch.

Benthal blickte auf und rief mit Verwunderung: Ei, Herr Sall¬
mann, wie kommen denn Sie wieder hieher? Es war der Bäcker aus
Altenburg, einer der früheren Geſprächsführer bei Moorfeld's Eintritt.
Sallmann war eine ſtattliche Perſönlichkeit. Eine wahre Bürgermeiſter¬
figur. Alles an ihm hatte beſſere Tage geſehen. Er ſchien ein Stück
ſo recht aus der Mitte geſchnitten eines deutſchen Gemeinweſens, einer
ehrbaren Häuslichkeit. Die Trümmer des gebrochenen Selbſtgefühls
waren kläglich anzuſehen auf dieſer vollen, faſt herriſchen Geſtalt. Er
ſaß da, in düſtrer, grimmiger Reſignation, und mit einer Stimme
voll Bitterkeit antwortete er: Wie ich hieher komme? das will ich Ihnen
ſagen. Ich höre, Sie kennen das liebe Amerika; wohlan, merken Sie
ſich auch dieſes Stückchen dazu. Ich hatte mein Metier, wie Sie
wiſſen, mit einem kleinen Backofen in Miethe angefangen, und da
mir für's Erſte die Kundſchaft fehlte, ſo trug ich auf eigenem Rücken
mein Erzeugniß hauſiren. Das war mir freilich nicht geſungen, als
ich in Altenburg eben ſo die Adreſſe für unſern braven Moosbach
herumtrug, der jetzt im Königſtein fault. Aber in Gottes Namen!
Keine Arbeit iſt hier geſchänd't und Frau und Kind wollen nachkom¬
men ſo eher ſo beſſer: da greift man aus. Ich hatte mich alſo auf
ein paar hundert Dollars gebracht, auf einmal ereignet ſich's, daß ich
das Capital anlegen kann im großen Styl, wie ich mein Geſchäft ge¬
wohnt bin. Mein Nachbar will abreiſen, und verkauft mir ſeine
namhafte Kundſchaft. Er läßt mit drei oder vier Bread-Drivers
austragen, indeß ich allein mein Transportgaul bin. Wir waren des
Handels bald eins. Als er das Geld hatte, machte er eine Spazier¬
fahrt auf drei Tage, kommt zurück, ſagt, er habe ſich anders beſonnen,
und arbeite weitert in ſeiner Kundſchaft. Mein Geld jedoch verweigert
er mir mit frecher Lache. Natürlich, werde ich klagbar. Aber wie im
Schlaraffenland der Dummſte und Faulſte König iſt, ſo ſcheint das
Recht hier eine Prämie des lumpigſten Lumpen. Denn was ſagt die

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[110/0128] berechnet man Ihnen mehr. Auch werden Sie im Contract ſich aus¬ drücklich Cajütenpaſſagier nennen laſſen, ſonſt bringt man Ihnen die Cajüte in Abzug und verwendet Sie auf der Fahrt zu Schiffs¬ dienſten. Eine Stimme unterbrach dieſe Anweiſung mit den Worten: Er mag thun was er will, betrogen wird er doch. Benthal blickte auf und rief mit Verwunderung: Ei, Herr Sall¬ mann, wie kommen denn Sie wieder hieher? Es war der Bäcker aus Altenburg, einer der früheren Geſprächsführer bei Moorfeld's Eintritt. Sallmann war eine ſtattliche Perſönlichkeit. Eine wahre Bürgermeiſter¬ figur. Alles an ihm hatte beſſere Tage geſehen. Er ſchien ein Stück ſo recht aus der Mitte geſchnitten eines deutſchen Gemeinweſens, einer ehrbaren Häuslichkeit. Die Trümmer des gebrochenen Selbſtgefühls waren kläglich anzuſehen auf dieſer vollen, faſt herriſchen Geſtalt. Er ſaß da, in düſtrer, grimmiger Reſignation, und mit einer Stimme voll Bitterkeit antwortete er: Wie ich hieher komme? das will ich Ihnen ſagen. Ich höre, Sie kennen das liebe Amerika; wohlan, merken Sie ſich auch dieſes Stückchen dazu. Ich hatte mein Metier, wie Sie wiſſen, mit einem kleinen Backofen in Miethe angefangen, und da mir für's Erſte die Kundſchaft fehlte, ſo trug ich auf eigenem Rücken mein Erzeugniß hauſiren. Das war mir freilich nicht geſungen, als ich in Altenburg eben ſo die Adreſſe für unſern braven Moosbach herumtrug, der jetzt im Königſtein fault. Aber in Gottes Namen! Keine Arbeit iſt hier geſchänd't und Frau und Kind wollen nachkom¬ men ſo eher ſo beſſer: da greift man aus. Ich hatte mich alſo auf ein paar hundert Dollars gebracht, auf einmal ereignet ſich's, daß ich das Capital anlegen kann im großen Styl, wie ich mein Geſchäft ge¬ wohnt bin. Mein Nachbar will abreiſen, und verkauft mir ſeine namhafte Kundſchaft. Er läßt mit drei oder vier Bread-Drivers austragen, indeß ich allein mein Transportgaul bin. Wir waren des Handels bald eins. Als er das Geld hatte, machte er eine Spazier¬ fahrt auf drei Tage, kommt zurück, ſagt, er habe ſich anders beſonnen, und arbeite weitert in ſeiner Kundſchaft. Mein Geld jedoch verweigert er mir mit frecher Lache. Natürlich, werde ich klagbar. Aber wie im Schlaraffenland der Dummſte und Faulſte König iſt, ſo ſcheint das Recht hier eine Prämie des lumpigſten Lumpen. Denn was ſagt die

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/128>, abgerufen am 24.11.2024.