bildet. So oft ich diese Bezirke betrete, -- und ich betrete sie gern, denn man liebt das Vaterland in zwölf Quadratschuhen noch eben so sehr, als in zwölftausend Quadratmeilen, -- so oft ich diese Schau¬ plätze deutscher Leiden und Kränkungen besuche, geschieht es nicht ohne das Geleite irgend eines beschämenden Gedankens. Heut fiel mir der Name Kleindeutschland auf's Herz. Kleindeutschland! Als die Griechen Italien anpflanzten, nannten sie es Großgriechenland; die Engländer haben ihr New-Hampshire, New-Jersey, New-Caledonien, die Hol¬ länder ein Neu-Holland, die Franzosen ein Neu-Orleans gegründet; nur Deutsche vermochten es, an ihr Vaterland den Begriff klein zu knüpfen: sie ertragen, sie wählen den Namen eines Kleindeutschland! Wie wir uns hier versammelt sehen, würde ich sofort die Tilgung dieses Nennwortes beantragen; aber leider! das Schmerzliche unsrer Umstände ist, daß es paßt. Was hilft es, einem todten Stück Erde die Schmach abzunehmen, die dem Lebendigen bleibt? Von uns geht der Name auf diesen Boden über. Wir sind die Kleinen und Klein¬ lichen hier. Wir erröthen nicht, ein leeres und niedriges Dasein auf dieser Sandstätte hinzuschleppen, und glauben Alles gethan zu haben, wenn wir den Namen unsers edeln Vaterlandes mit unsrer bleich¬ wangigen Existenz in's Spiel bringen. An einer Lüge wärmen wir uns, und indem wir den gemüthlichen Traum festhalten, in Deutschland zu sein, kommen wir blos nicht dazu, in Amerika uns einzuwurzeln, es sei denn in seinen Hospitälern und in seiner Verachtung. Meine Herren! ich beeile mich, Ihre Verzeihung nachzusuchen, daß ich dem Schamgefühle, womit ich hierhergekommen, dieses starke Echo erlaube. Seien Sie überzeugt, nur Ihr Schicksal ist's, das mich demüthigt, Ihr Anblick erhebt und begeistert mich. Es gibt nichts Herrlicheres auf Erden als Deutsche. In Ihrer Mitte denke ich mich, wie in einem Märchenkreis von verzauberten Fürstensöhnen. Königlich ist Ihr Erbe und Großthaten werden Sie ausführen, wenn nur erst die Entzau¬ berung gelingt. Aber indem ich weiß, daß der Talisman dazu zwischen Himmel und Erde nirgend sonst wo liegt, als in Ihrer eigenen Brust, werden Sie einen starken und eindringlichen Ruf dahin nicht mit Ihrem Mißfallen bestrafen. Diesen Ruf wollte ich vorausschicken, denn er ist der wahre Kugelspruch unsrer Lage. Was ich von Daten und Notizen die Woche über eintreibe, liegt zuletzt nur wie ein Häufchen
bildet. So oft ich dieſe Bezirke betrete, — und ich betrete ſie gern, denn man liebt das Vaterland in zwölf Quadratſchuhen noch eben ſo ſehr, als in zwölftauſend Quadratmeilen, — ſo oft ich dieſe Schau¬ plätze deutſcher Leiden und Kränkungen beſuche, geſchieht es nicht ohne das Geleite irgend eines beſchämenden Gedankens. Heut fiel mir der Name Kleindeutſchland auf's Herz. Kleindeutſchland! Als die Griechen Italien anpflanzten, nannten ſie es Großgriechenland; die Engländer haben ihr New-Hampſhire, New-Jerſey, New-Caledonien, die Hol¬ länder ein Neu-Holland, die Franzoſen ein Neu-Orleans gegründet; nur Deutſche vermochten es, an ihr Vaterland den Begriff klein zu knüpfen: ſie ertragen, ſie wählen den Namen eines Kleindeutſchland! Wie wir uns hier verſammelt ſehen, würde ich ſofort die Tilgung dieſes Nennwortes beantragen; aber leider! das Schmerzliche unſrer Umſtände iſt, daß es paßt. Was hilft es, einem todten Stück Erde die Schmach abzunehmen, die dem Lebendigen bleibt? Von uns geht der Name auf dieſen Boden über. Wir ſind die Kleinen und Klein¬ lichen hier. Wir erröthen nicht, ein leeres und niedriges Daſein auf dieſer Sandſtätte hinzuſchleppen, und glauben Alles gethan zu haben, wenn wir den Namen unſers edeln Vaterlandes mit unſrer bleich¬ wangigen Exiſtenz in's Spiel bringen. An einer Lüge wärmen wir uns, und indem wir den gemüthlichen Traum feſthalten, in Deutſchland zu ſein, kommen wir blos nicht dazu, in Amerika uns einzuwurzeln, es ſei denn in ſeinen Hoſpitälern und in ſeiner Verachtung. Meine Herren! ich beeile mich, Ihre Verzeihung nachzuſuchen, daß ich dem Schamgefühle, womit ich hierhergekommen, dieſes ſtarke Echo erlaube. Seien Sie überzeugt, nur Ihr Schickſal iſt's, das mich demüthigt, Ihr Anblick erhebt und begeiſtert mich. Es gibt nichts Herrlicheres auf Erden als Deutſche. In Ihrer Mitte denke ich mich, wie in einem Märchenkreis von verzauberten Fürſtenſöhnen. Königlich iſt Ihr Erbe und Großthaten werden Sie ausführen, wenn nur erſt die Entzau¬ berung gelingt. Aber indem ich weiß, daß der Talisman dazu zwiſchen Himmel und Erde nirgend ſonſt wo liegt, als in Ihrer eigenen Bruſt, werden Sie einen ſtarken und eindringlichen Ruf dahin nicht mit Ihrem Mißfallen beſtrafen. Dieſen Ruf wollte ich vorausſchicken, denn er iſt der wahre Kugelſpruch unſrer Lage. Was ich von Daten und Notizen die Woche über eintreibe, liegt zuletzt nur wie ein Häufchen
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bildet. So oft ich dieſe Bezirke betrete, — und ich betrete ſie gern,
denn man liebt das Vaterland in zwölf Quadratſchuhen noch eben
ſo ſehr, als in zwölftauſend Quadratmeilen, — ſo oft ich dieſe Schau¬
plätze deutſcher Leiden und Kränkungen beſuche, geſchieht es nicht ohne
das Geleite irgend eines beſchämenden Gedankens. Heut fiel mir der
Name Kleindeutſchland auf's Herz. Kleindeutſchland! Als die Griechen
Italien anpflanzten, nannten ſie es Großgriechenland; die Engländer
haben ihr New-Hampſhire, New-Jerſey, New-Caledonien, die Hol¬
länder ein Neu-Holland, die Franzoſen ein Neu-Orleans gegründet;
nur Deutſche vermochten es, an ihr Vaterland den Begriff klein zu
knüpfen: ſie ertragen, ſie wählen den Namen eines Kleindeutſchland!
Wie wir uns hier verſammelt ſehen, würde ich ſofort die Tilgung
dieſes Nennwortes beantragen; aber leider! das Schmerzliche unſrer
Umſtände iſt, daß es paßt. Was hilft es, einem todten Stück Erde
die Schmach abzunehmen, die dem Lebendigen bleibt? Von uns geht
der Name auf dieſen Boden über. Wir ſind die Kleinen und Klein¬
lichen hier. Wir erröthen nicht, ein leeres und niedriges Daſein auf
dieſer Sandſtätte hinzuſchleppen, und glauben Alles gethan zu haben,
wenn wir den Namen unſers edeln Vaterlandes mit unſrer bleich¬
wangigen Exiſtenz in's Spiel bringen. An einer Lüge wärmen wir
uns, und indem wir den gemüthlichen Traum feſthalten, in Deutſchland
zu ſein, kommen wir blos nicht dazu, in Amerika uns einzuwurzeln,
es ſei denn in ſeinen Hoſpitälern und in ſeiner Verachtung. Meine
Herren! ich beeile mich, Ihre Verzeihung nachzuſuchen, daß ich dem
Schamgefühle, womit ich hierhergekommen, dieſes ſtarke Echo erlaube.
Seien Sie überzeugt, nur Ihr Schickſal iſt's, das mich demüthigt,
Ihr Anblick erhebt und begeiſtert mich. Es gibt nichts Herrlicheres
auf Erden als Deutſche. In Ihrer Mitte denke ich mich, wie in einem
Märchenkreis von verzauberten Fürſtenſöhnen. Königlich iſt Ihr Erbe
und Großthaten werden Sie ausführen, wenn nur erſt die Entzau¬
berung gelingt. Aber indem ich weiß, daß der Talisman dazu zwiſchen
Himmel und Erde nirgend ſonſt wo liegt, als in Ihrer eigenen Bruſt,
werden Sie einen ſtarken und eindringlichen Ruf dahin nicht mit Ihrem
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iſt der wahre Kugelſpruch unſrer Lage. Was ich von Daten und
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/126>, abgerufen am 24.11.2024.
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