Henning brummte unter seinem Strohkranze: Das sag ich auch! Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß ich noch gehängt werde. Und sogleich fiel der Chorus ein: Unser Bruder Henning der soll hängen! Aber ... Feierlich schalle der Jubelgesang! --
In diesem Augenblicke that sich die Thüre auf, und Alles begrüßte -- den Rector magnificus. Der Eintretende mochte Scenen, wie sie die Gaststube mit ihrem strohgekrönten Mittelpunkte jetzt darstellte, schon gewohnt sein, denn ohne sich umzusehen, durchschritt er einfach grüßend die Stube und begab sich sogleich in's Extrazimmer. Alles drängte ihm nach mit dem Rufe: In die erste Kajüte! auf, in die erste Kajüte! Der deutsche Kaiser kam mit einer Flasche Bier gemäch¬ lich hintendrein. -- Moorfeld besann sich auf die Gestalt des Rector magnificus. Sie schien ihm so bekannt, daß er über den Mangel seines Gedächtnisses fast erschrack, wenn nicht das fremdartige Bunterlei seines hiesigen Aufenthaltes die Verwirrung genügend erklärte. Als aber der Rector magnificus seine Stimme hören ließ, da löste sich ihm der Zweifel. Es war dieselbe Stimme, die ihm in Mr. Mocking¬ bird's Schule zugeflüstert hatte: Ich danke Ihnen für dieses deutsche Wort. Es war der Hilfslehrer Benthal.
Für Moorfeld gewann die Scene jetzt ein neues Interesse. Es war offenbar: der Angekommene nahm seinen Platz nicht wie jeder andere Gast in dieser Gesellschaft ein. Seine Mission schien eine be¬ sondere hier. Und da das innere Zimmer von dem äußeren nur durch eine vorhanglose Glaswand getrennt war, so bedurfte Moorfeld nicht langen Abwartens, um in seinem bequem situirten Winkel, dicht an eben dieser Wand, Augen- und Ohrenzeuge dessen zu werden, was Benthal's Ankunft in diesen Räumen für Zwecke hatte. Wenigstens übersah er auf den ersten Blick, daß der heitere Geist, der sich so eben ausgelassen, eine schnelle Wendung zum Ernste nahm: es gab auf einmal gesetzte Mienen, bedächtige Aufmerksamkeit. Benthal nahm ein Tischchen ein, welches über das Niveau der übrigen Gasttische durch eine kleine Estrade erhöht schien, er zog ein Notizbuch aus seiner Tasche, blätterte darin und bereitete verschiedene Papiere, Schnitzel, Adre߬ karten u. s. w. vor sich aus. Er begann:
Was mich wundert, das ist, daß unter uns Deutschen, wie einst unter den Juden, nicht längst sich die Sage von einem Messias ge¬
Henning brummte unter ſeinem Strohkranze: Das ſag ich auch! Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß ich noch gehängt werde. Und ſogleich fiel der Chorus ein: Unſer Bruder Henning der ſoll hängen! Aber ... Feierlich ſchalle der Jubelgeſang! —
In dieſem Augenblicke that ſich die Thüre auf, und Alles begrüßte — den Rector magnificus. Der Eintretende mochte Scenen, wie ſie die Gaſtſtube mit ihrem ſtrohgekrönten Mittelpunkte jetzt darſtellte, ſchon gewohnt ſein, denn ohne ſich umzuſehen, durchſchritt er einfach grüßend die Stube und begab ſich ſogleich in's Extrazimmer. Alles drängte ihm nach mit dem Rufe: In die erſte Kajüte! auf, in die erſte Kajüte! Der deutſche Kaiſer kam mit einer Flaſche Bier gemäch¬ lich hintendrein. — Moorfeld beſann ſich auf die Geſtalt des Rector magnificus. Sie ſchien ihm ſo bekannt, daß er über den Mangel ſeines Gedächtniſſes faſt erſchrack, wenn nicht das fremdartige Bunterlei ſeines hieſigen Aufenthaltes die Verwirrung genügend erklärte. Als aber der Rector magnificus ſeine Stimme hören ließ, da löste ſich ihm der Zweifel. Es war dieſelbe Stimme, die ihm in Mr. Mocking¬ bird's Schule zugeflüſtert hatte: Ich danke Ihnen für dieſes deutſche Wort. Es war der Hilfslehrer Benthal.
Für Moorfeld gewann die Scene jetzt ein neues Intereſſe. Es war offenbar: der Angekommene nahm ſeinen Platz nicht wie jeder andere Gaſt in dieſer Geſellſchaft ein. Seine Miſſion ſchien eine be¬ ſondere hier. Und da das innere Zimmer von dem äußeren nur durch eine vorhangloſe Glaswand getrennt war, ſo bedurfte Moorfeld nicht langen Abwartens, um in ſeinem bequem ſituirten Winkel, dicht an eben dieſer Wand, Augen- und Ohrenzeuge deſſen zu werden, was Benthal's Ankunft in dieſen Räumen für Zwecke hatte. Wenigſtens überſah er auf den erſten Blick, daß der heitere Geiſt, der ſich ſo eben ausgelaſſen, eine ſchnelle Wendung zum Ernſte nahm: es gab auf einmal geſetzte Mienen, bedächtige Aufmerkſamkeit. Benthal nahm ein Tiſchchen ein, welches über das Niveau der übrigen Gaſttiſche durch eine kleine Eſtrade erhöht ſchien, er zog ein Notizbuch aus ſeiner Taſche, blätterte darin und bereitete verſchiedene Papiere, Schnitzel, Adre߬ karten u. ſ. w. vor ſich aus. Er begann:
Was mich wundert, das iſt, daß unter uns Deutſchen, wie einſt unter den Juden, nicht längſt ſich die Sage von einem Meſſias ge¬
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Henning brummte unter ſeinem Strohkranze: Das ſag ich auch!
Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß ich noch gehängt werde. Und
ſogleich fiel der Chorus ein: Unſer Bruder Henning der ſoll hängen!
Aber ... Feierlich ſchalle der Jubelgeſang! —
In dieſem Augenblicke that ſich die Thüre auf, und Alles begrüßte
— den Rector magnificus. Der Eintretende mochte Scenen, wie
ſie die Gaſtſtube mit ihrem ſtrohgekrönten Mittelpunkte jetzt darſtellte,
ſchon gewohnt ſein, denn ohne ſich umzuſehen, durchſchritt er einfach
grüßend die Stube und begab ſich ſogleich in's Extrazimmer. Alles
drängte ihm nach mit dem Rufe: In die erſte Kajüte! auf, in die
erſte Kajüte! Der deutſche Kaiſer kam mit einer Flaſche Bier gemäch¬
lich hintendrein. — Moorfeld beſann ſich auf die Geſtalt des Rector
magnificus. Sie ſchien ihm ſo bekannt, daß er über den Mangel
ſeines Gedächtniſſes faſt erſchrack, wenn nicht das fremdartige Bunterlei
ſeines hieſigen Aufenthaltes die Verwirrung genügend erklärte. Als
aber der Rector magnificus ſeine Stimme hören ließ, da löste ſich
ihm der Zweifel. Es war dieſelbe Stimme, die ihm in Mr. Mocking¬
bird's Schule zugeflüſtert hatte: Ich danke Ihnen für dieſes deutſche
Wort. Es war der Hilfslehrer Benthal.
Für Moorfeld gewann die Scene jetzt ein neues Intereſſe. Es
war offenbar: der Angekommene nahm ſeinen Platz nicht wie jeder
andere Gaſt in dieſer Geſellſchaft ein. Seine Miſſion ſchien eine be¬
ſondere hier. Und da das innere Zimmer von dem äußeren nur durch
eine vorhangloſe Glaswand getrennt war, ſo bedurfte Moorfeld nicht
langen Abwartens, um in ſeinem bequem ſituirten Winkel, dicht an
eben dieſer Wand, Augen- und Ohrenzeuge deſſen zu werden, was
Benthal's Ankunft in dieſen Räumen für Zwecke hatte. Wenigſtens
überſah er auf den erſten Blick, daß der heitere Geiſt, der ſich ſo eben
ausgelaſſen, eine ſchnelle Wendung zum Ernſte nahm: es gab auf
einmal geſetzte Mienen, bedächtige Aufmerkſamkeit. Benthal nahm ein
Tiſchchen ein, welches über das Niveau der übrigen Gaſttiſche durch
eine kleine Eſtrade erhöht ſchien, er zog ein Notizbuch aus ſeiner Taſche,
blätterte darin und bereitete verſchiedene Papiere, Schnitzel, Adre߬
karten u. ſ. w. vor ſich aus. Er begann:
Was mich wundert, das iſt, daß unter uns Deutſchen, wie einſt
unter den Juden, nicht längſt ſich die Sage von einem Meſſias ge¬
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/125>, abgerufen am 25.11.2024.
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