Ehrfurchtsschauern: Um Gotteswillen stelle dein Licht nicht unter den Schef¬ fel! Laß uns von deinem Genie profitiren! Wir Alle leiden ja an unsrer Frau Affentisch; was hat Kleindeutschland dem amerikanischen Yankee- Tricke entgegenzusetzen, wenn nicht seinen alten ehrlichen Mutterwitz?
Warum man doch Mutterwitz sagt? fragte der deutsche Kaiser, dem dieser Gegenstand freilich sehr fraglich war.
Warum sagt man denn Blasewitz? antwortete Henning mit ruhiger Würde. Das Gelächter, das dieser Belehrung folgte, brachte indeß den Schreiner von seinem Thema nicht ab. Er fuhr fort, das Abenteuer des Schriftsetzers mit seiner Waschfrau zu urgiren. Dieser wischte sich endlich mit der Serviette den Mund, um welchen in der That ein goldnes Lächeln spielte. Dann fragte er gegen das Wirths¬ töchterchen hin: Haben Sie ein zartes Gehör, Fräulein Veronika?
Wägerli, es mag mir ein schön' Späßle sein! antwortete das Schwabenmädchen.
Practisch war's wenigstens, versetzte Henning. Und ohne auf die weibliche Zuhörerin weiter zu achten, die ja keineswegs abgelehnt hatte, sprach er mit seiner saloppen, phlegmatischen Manier: "Männerkeusch¬ heit" ist ein schönes Gedicht von Gottfried August Bürger. Aber Gott¬ fried August Bürger hat in Göttingen waschen lassen, nicht in Ame¬ rika, wo das Dutzend Wäschstücke einen Dollar kostet, ohne Ausnahme: sind's Taschentücher oder Bettücher. Sonst hätte der Herr Professor wahrschein¬ lich meine Keuschheit besungen, statt seine Männerkeuschheit: es wäre seinem Kennerauge nicht entgangen, um wie viel sie der Unsterblichkeit würdiger ist. Ich prahle nicht; die Geschichte war nämlich so: Heut morgen stand mir die Stunde bevor, wo mir die Frau Appendage ohne Geld nicht aus dem Zimmer gehen wollte, wie mir angedroht war. Diesem Schicksale gegenüber erfand ich folgende einfache Vorrichtung. Ich blieb liegen. Nicht daß ich etwa für krank gelten wollte, pfui der Heuchelei! aber ich blieb eben liegen. Punktum. Ich heuchle nicht, im Gegentheile; ich bin immer ein unverblümter Kerl gewesen, und an diesem Morgen war ich's erst recht. Also blieb ich liegen. Das er¬ findungsreiche Haupt tief in's Kissen gewühlt, die Decke sittiglich bis an das Kinn gezogen, erwartete ich ruhig das Weib des Gewäsches. Es klopft. Herein! Nun müßt ihr wissen, eine echte amerikanische Lady wäre gleich an der Thüre in Ohnmacht gefallen über den An¬
Ehrfurchtsſchauern: Um Gotteswillen ſtelle dein Licht nicht unter den Schef¬ fel! Laß uns von deinem Genie profitiren! Wir Alle leiden ja an unſrer Frau Affentiſch; was hat Kleindeutſchland dem amerikaniſchen Yankee- Tricke entgegenzuſetzen, wenn nicht ſeinen alten ehrlichen Mutterwitz?
Warum man doch Mutterwitz ſagt? fragte der deutſche Kaiſer, dem dieſer Gegenſtand freilich ſehr fraglich war.
Warum ſagt man denn Blaſewitz? antwortete Henning mit ruhiger Würde. Das Gelächter, das dieſer Belehrung folgte, brachte indeß den Schreiner von ſeinem Thema nicht ab. Er fuhr fort, das Abenteuer des Schriftſetzers mit ſeiner Waſchfrau zu urgiren. Dieſer wiſchte ſich endlich mit der Serviette den Mund, um welchen in der That ein goldnes Lächeln ſpielte. Dann fragte er gegen das Wirths¬ töchterchen hin: Haben Sie ein zartes Gehör, Fräulein Veronika?
Wägerli, es mag mir ein ſchön' Späßle ſein! antwortete das Schwabenmädchen.
Practiſch war's wenigſtens, verſetzte Henning. Und ohne auf die weibliche Zuhörerin weiter zu achten, die ja keineswegs abgelehnt hatte, ſprach er mit ſeiner ſaloppen, phlegmatiſchen Manier: „Männerkeuſch¬ heit“ iſt ein ſchönes Gedicht von Gottfried Auguſt Bürger. Aber Gott¬ fried Auguſt Bürger hat in Göttingen waſchen laſſen, nicht in Ame¬ rika, wo das Dutzend Wäſchſtücke einen Dollar koſtet, ohne Ausnahme: ſind's Taſchentücher oder Bettücher. Sonſt hätte der Herr Profeſſor wahrſchein¬ lich meine Keuſchheit beſungen, ſtatt ſeine Männerkeuſchheit: es wäre ſeinem Kennerauge nicht entgangen, um wie viel ſie der Unſterblichkeit würdiger iſt. Ich prahle nicht; die Geſchichte war nämlich ſo: Heut morgen ſtand mir die Stunde bevor, wo mir die Frau Appendage ohne Geld nicht aus dem Zimmer gehen wollte, wie mir angedroht war. Dieſem Schickſale gegenüber erfand ich folgende einfache Vorrichtung. Ich blieb liegen. Nicht daß ich etwa für krank gelten wollte, pfui der Heuchelei! aber ich blieb eben liegen. Punktum. Ich heuchle nicht, im Gegentheile; ich bin immer ein unverblümter Kerl geweſen, und an dieſem Morgen war ich's erſt recht. Alſo blieb ich liegen. Das er¬ findungsreiche Haupt tief in's Kiſſen gewühlt, die Decke ſittiglich bis an das Kinn gezogen, erwartete ich ruhig das Weib des Gewäſches. Es klopft. Herein! Nun müßt ihr wiſſen, eine echte amerikaniſche Lady wäre gleich an der Thüre in Ohnmacht gefallen über den An¬
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Ehrfurchtsſchauern: Um Gotteswillen ſtelle dein Licht nicht unter den Schef¬
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Frau Affentiſch; was hat Kleindeutſchland dem amerikaniſchen Yankee-
Tricke entgegenzuſetzen, wenn nicht ſeinen alten ehrlichen Mutterwitz?
Warum man doch Mutterwitz ſagt? fragte der deutſche Kaiſer,
dem dieſer Gegenſtand freilich ſehr fraglich war.
Warum ſagt man denn Blaſewitz? antwortete Henning mit
ruhiger Würde. Das Gelächter, das dieſer Belehrung folgte, brachte
indeß den Schreiner von ſeinem Thema nicht ab. Er fuhr fort, das
Abenteuer des Schriftſetzers mit ſeiner Waſchfrau zu urgiren. Dieſer
wiſchte ſich endlich mit der Serviette den Mund, um welchen in der
That ein goldnes Lächeln ſpielte. Dann fragte er gegen das Wirths¬
töchterchen hin: Haben Sie ein zartes Gehör, Fräulein Veronika?
Wägerli, es mag mir ein ſchön' Späßle ſein! antwortete das
Schwabenmädchen.
Practiſch war's wenigſtens, verſetzte Henning. Und ohne auf die
weibliche Zuhörerin weiter zu achten, die ja keineswegs abgelehnt hatte,
ſprach er mit ſeiner ſaloppen, phlegmatiſchen Manier: „Männerkeuſch¬
heit“ iſt ein ſchönes Gedicht von Gottfried Auguſt Bürger. Aber Gott¬
fried Auguſt Bürger hat in Göttingen waſchen laſſen, nicht in Ame¬
rika, wo das Dutzend Wäſchſtücke einen Dollar koſtet, ohne Ausnahme: ſind's
Taſchentücher oder Bettücher. Sonſt hätte der Herr Profeſſor wahrſchein¬
lich meine Keuſchheit beſungen, ſtatt ſeine Männerkeuſchheit: es wäre
ſeinem Kennerauge nicht entgangen, um wie viel ſie der Unſterblichkeit
würdiger iſt. Ich prahle nicht; die Geſchichte war nämlich ſo: Heut morgen
ſtand mir die Stunde bevor, wo mir die Frau Appendage ohne Geld
nicht aus dem Zimmer gehen wollte, wie mir angedroht war. Dieſem
Schickſale gegenüber erfand ich folgende einfache Vorrichtung. Ich
blieb liegen. Nicht daß ich etwa für krank gelten wollte, pfui der
Heuchelei! aber ich blieb eben liegen. Punktum. Ich heuchle nicht,
im Gegentheile; ich bin immer ein unverblümter Kerl geweſen, und an
dieſem Morgen war ich's erſt recht. Alſo blieb ich liegen. Das er¬
findungsreiche Haupt tief in's Kiſſen gewühlt, die Decke ſittiglich bis
an das Kinn gezogen, erwartete ich ruhig das Weib des Gewäſches.
Es klopft. Herein! Nun müßt ihr wiſſen, eine echte amerikaniſche
Lady wäre gleich an der Thüre in Ohnmacht gefallen über den An¬
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/122>, abgerufen am 24.11.2024.
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