gnügen bemerken, wie wenig sein Eintreten den Leuten, die offenbar unter sich sein wollten, Zwang auferlegte. Nur im ersten Augenblicke gab sich eine Neugierde kund, wie sie eine ungewohnte Erscheinung in einem Kreise von Bekannten wohl zu erregen im Stande ist. Nament¬ lich schien es zu interessiren, ob man einen Mann vor sich habe, der auf eine verdeckte, geschäftskluge Art vielleicht Arbeitskräfte anzuwerben bezwecke, oder das Gegentheil: ob er selbst als ein angehender Schick¬ salsgenosse der versammelten Kleindeutschen gekommen sei. Moorfeld wußte zu befriedigen, und den Geist des Fremdartigen, das um ihn lag, mit dem einheimischen schicklich auszugleichen. Es gelang ihm mit wenigen Griffen, die Unterhaltung dahin zurückzulenken, wo er sie vorgefunden zu haben glaubte. Hierauf überließ er sie wieder ihrem eigenen Gange, dem sie nach wenigen Minuten auch so unbefangen folgte, als ob nichts Neues dazwischen getreten wäre.
Die Scene des grünen Baums, wie sie dem Ankömmling in Kur¬ zem erkennbar wurde, war folgende. Der Wirth hieß "der deutsche Kaiser". Er trug eine körperliche Größe und Masse zur Schau, wie man sie nur hinter dem Vorhang einer Jahrmarktsbude zu erwarten gewohnt ist; frei und unbezahlt sie zu sehen, erhöhte den Effect seines Anblicks. Sein breites schwäbisches Gesicht drückte übrigens jenes be¬ scheidene Geistesmaß aus, welches den Riesen seines Schlages in der Regel inne zu wohnen pflegt, auch stand er bis zum Kindermärchen unter der Autorität eines klugen stumpfnäsigen Töchterchens. Dieses Mißverhältniß zwischen scheinbarer und wirklicher Machtfülle hatte offenbar jener heitere Kopf im Auge gehabt, der mit einem besseren Instinct des Lächerlichen als des Tragischen das bankerotte Kaiser- Ideal Deutschlands auf eine so bedeutungsvolle Persönlichkeit über¬ tragen. Die Gäste des grünen Baums waren deutsche Handwerker und kleine Geschäftsleute; -- ein Publikum von höchst gemischtem Schicksale, das aber bei Allen, wie es schien, auf demselben Endpunkte angekommen war. Die Unterhaltung bewegte sich über das Thema von schlechter oder fehlender Arbeit, von trüben Aussichten oder un¬ mittelbarer Noth. Chorführer von dieser traurigen Conversation waren ein Bäcker mit Sachsen-Altenburg'scher Mundart, ein Schneider aus dem Würtemberg'schen, und ein pfälzischer Schreiner; dazu gesellte sich zeitweilig ein Gärtner aus der Frankfurter Gegend, welcher nach
gnügen bemerken, wie wenig ſein Eintreten den Leuten, die offenbar unter ſich ſein wollten, Zwang auferlegte. Nur im erſten Augenblicke gab ſich eine Neugierde kund, wie ſie eine ungewohnte Erſcheinung in einem Kreiſe von Bekannten wohl zu erregen im Stande iſt. Nament¬ lich ſchien es zu intereſſiren, ob man einen Mann vor ſich habe, der auf eine verdeckte, geſchäftskluge Art vielleicht Arbeitskräfte anzuwerben bezwecke, oder das Gegentheil: ob er ſelbſt als ein angehender Schick¬ ſalsgenoſſe der verſammelten Kleindeutſchen gekommen ſei. Moorfeld wußte zu befriedigen, und den Geiſt des Fremdartigen, das um ihn lag, mit dem einheimiſchen ſchicklich auszugleichen. Es gelang ihm mit wenigen Griffen, die Unterhaltung dahin zurückzulenken, wo er ſie vorgefunden zu haben glaubte. Hierauf überließ er ſie wieder ihrem eigenen Gange, dem ſie nach wenigen Minuten auch ſo unbefangen folgte, als ob nichts Neues dazwiſchen getreten wäre.
Die Scene des grünen Baums, wie ſie dem Ankömmling in Kur¬ zem erkennbar wurde, war folgende. Der Wirth hieß „der deutſche Kaiſer“. Er trug eine körperliche Größe und Maſſe zur Schau, wie man ſie nur hinter dem Vorhang einer Jahrmarktsbude zu erwarten gewohnt iſt; frei und unbezahlt ſie zu ſehen, erhöhte den Effect ſeines Anblicks. Sein breites ſchwäbiſches Geſicht drückte übrigens jenes be¬ ſcheidene Geiſtesmaß aus, welches den Rieſen ſeines Schlages in der Regel inne zu wohnen pflegt, auch ſtand er bis zum Kindermärchen unter der Autorität eines klugen ſtumpfnäſigen Töchterchens. Dieſes Mißverhältniß zwiſchen ſcheinbarer und wirklicher Machtfülle hatte offenbar jener heitere Kopf im Auge gehabt, der mit einem beſſeren Inſtinct des Lächerlichen als des Tragiſchen das bankerotte Kaiſer- Ideal Deutſchlands auf eine ſo bedeutungsvolle Perſönlichkeit über¬ tragen. Die Gäſte des grünen Baums waren deutſche Handwerker und kleine Geſchäftsleute; — ein Publikum von höchſt gemiſchtem Schickſale, das aber bei Allen, wie es ſchien, auf demſelben Endpunkte angekommen war. Die Unterhaltung bewegte ſich über das Thema von ſchlechter oder fehlender Arbeit, von trüben Ausſichten oder un¬ mittelbarer Noth. Chorführer von dieſer traurigen Converſation waren ein Bäcker mit Sachſen-Altenburg'ſcher Mundart, ein Schneider aus dem Würtemberg'ſchen, und ein pfälziſcher Schreiner; dazu geſellte ſich zeitweilig ein Gärtner aus der Frankfurter Gegend, welcher nach
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gnügen bemerken, wie wenig ſein Eintreten den Leuten, die offenbar
unter ſich ſein wollten, Zwang auferlegte. Nur im erſten Augenblicke
gab ſich eine Neugierde kund, wie ſie eine ungewohnte Erſcheinung in
einem Kreiſe von Bekannten wohl zu erregen im Stande iſt. Nament¬
lich ſchien es zu intereſſiren, ob man einen Mann vor ſich habe, der
auf eine verdeckte, geſchäftskluge Art vielleicht Arbeitskräfte anzuwerben
bezwecke, oder das Gegentheil: ob er ſelbſt als ein angehender Schick¬
ſalsgenoſſe der verſammelten Kleindeutſchen gekommen ſei. Moorfeld
wußte zu befriedigen, und den Geiſt des Fremdartigen, das um ihn
lag, mit dem einheimiſchen ſchicklich auszugleichen. Es gelang ihm
mit wenigen Griffen, die Unterhaltung dahin zurückzulenken, wo er ſie
vorgefunden zu haben glaubte. Hierauf überließ er ſie wieder ihrem
eigenen Gange, dem ſie nach wenigen Minuten auch ſo unbefangen
folgte, als ob nichts Neues dazwiſchen getreten wäre.
Die Scene des grünen Baums, wie ſie dem Ankömmling in Kur¬
zem erkennbar wurde, war folgende. Der Wirth hieß „der deutſche
Kaiſer“. Er trug eine körperliche Größe und Maſſe zur Schau, wie
man ſie nur hinter dem Vorhang einer Jahrmarktsbude zu erwarten
gewohnt iſt; frei und unbezahlt ſie zu ſehen, erhöhte den Effect ſeines
Anblicks. Sein breites ſchwäbiſches Geſicht drückte übrigens jenes be¬
ſcheidene Geiſtesmaß aus, welches den Rieſen ſeines Schlages in der
Regel inne zu wohnen pflegt, auch ſtand er bis zum Kindermärchen
unter der Autorität eines klugen ſtumpfnäſigen Töchterchens. Dieſes
Mißverhältniß zwiſchen ſcheinbarer und wirklicher Machtfülle hatte
offenbar jener heitere Kopf im Auge gehabt, der mit einem beſſeren
Inſtinct des Lächerlichen als des Tragiſchen das bankerotte Kaiſer-
Ideal Deutſchlands auf eine ſo bedeutungsvolle Perſönlichkeit über¬
tragen. Die Gäſte des grünen Baums waren deutſche Handwerker
und kleine Geſchäftsleute; — ein Publikum von höchſt gemiſchtem
Schickſale, das aber bei Allen, wie es ſchien, auf demſelben Endpunkte
angekommen war. Die Unterhaltung bewegte ſich über das Thema
von ſchlechter oder fehlender Arbeit, von trüben Ausſichten oder un¬
mittelbarer Noth. Chorführer von dieſer traurigen Converſation waren
ein Bäcker mit Sachſen-Altenburg'ſcher Mundart, ein Schneider aus
dem Würtemberg'ſchen, und ein pfälziſcher Schreiner; dazu geſellte ſich
zeitweilig ein Gärtner aus der Frankfurter Gegend, welcher nach
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/118>, abgerufen am 24.11.2024.
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