die Agonie ist aus, der Augenblick tritt ein, da sich die Seele von dem Leibe scheidet. Aus einmal erblickt man diese Seele! Ja, man erblickt sie! Vom Haupte des Sterbenden hervor taucht ein weißer durch Transparent erleuchteter Schatten, der die ungefähren Umrisse einer menschlichen Figur entwickelt, aber zerfedert und lose, wie eine Dampfwolke, wie ein Nebelflor. Langsam löst sich dieses Lichtbild von dem dunkeln Erdenkörper ab und schwebt an dem Vorhang empor. Da regt sich der Körper noch einmal. Die Hände tappen und greifen nach dem Lichtbilde aus, wie mit magnetischem Zuge folgt der übrige Körper nach, der ganze Leib richtet sich auf und folgt seiner Seele! Er klettert an den Vorhang hinan, die Hände immer nach der ent¬ schwebenden Seele ausfahrend, im tiefsten Gurgelschlunde ein dumpfes wimmerndes Brüllen. Aber das Lichtbild ist nicht zu halten. Ver¬ gebens streckt sich der Körper, der angehende Leichnam, in gräßlich übernatürlicher Länge, sein neblicher Licht-Extract steigt über ihn hinaus wie eine Rauchsäule, höher, immer höher steigt die Gestalt, endlich steht sie mit ihrer untersten Fußspitze auf dem Haupte des Sterben¬ den, es ist der Moment der gänzlich vollzogenen Loslösung. Noch macht der Leib einen galvanisch-zuckenden Sprung nach dieser äußersten Fußspitze, er erreicht sie nicht mehr, -- ein gellender Schrei -- letz¬ tes Aufflackern -- ein schwerer dröhnender Fall -- der Körper stürzt um, -- er ist todt. --
Moorfeld fand sich in einer der unangenehmsten Empfindungen nach dieser Scene. Es war keine Geschmacks-Faser in seinem ganzen Leibe, die nicht unerhört beleidigt, zu Gelächter und Abscheu entschie¬ den bereit war. Und doch mußte er sich gestehen, daß in dieser bru¬ talen Farce ein falscher und mißbrauchter Funke von Genie ihm das reine Aergerniß daran verkümmerte, daß die Affenfratze gewisse Züge von der Menschheit entlehnt hatte, die man sich erst aus dem Sinn schlagen mußte, um die Affen-Identität nicht zu verkennen.
Inzwischen übertäubte der Lärm des Hauses jede stillere Reflexion in ihm. Namentlich zog das Parterre seine Aufmerksamkeit auf sich. Die Jungen klatschten, als ob man sich neue Finger, wie neue Hand¬ schuhe anschaffen könnte, sie strampelten gegen den Boden, daß das Fundament des Hauses zitterte. Hoby, der Newsboy, warf endlich vor Begeisterung seiner nicht mächtig, ein Münzstück auf die Bühne,
die Agonie iſt aus, der Augenblick tritt ein, da ſich die Seele von dem Leibe ſcheidet. Aus einmal erblickt man dieſe Seele! Ja, man erblickt ſie! Vom Haupte des Sterbenden hervor taucht ein weißer durch Transparent erleuchteter Schatten, der die ungefähren Umriſſe einer menſchlichen Figur entwickelt, aber zerfedert und loſe, wie eine Dampfwolke, wie ein Nebelflor. Langſam löſt ſich dieſes Lichtbild von dem dunkeln Erdenkörper ab und ſchwebt an dem Vorhang empor. Da regt ſich der Körper noch einmal. Die Hände tappen und greifen nach dem Lichtbilde aus, wie mit magnetiſchem Zuge folgt der übrige Körper nach, der ganze Leib richtet ſich auf und folgt ſeiner Seele! Er klettert an den Vorhang hinan, die Hände immer nach der ent¬ ſchwebenden Seele ausfahrend, im tiefſten Gurgelſchlunde ein dumpfes wimmerndes Brüllen. Aber das Lichtbild iſt nicht zu halten. Ver¬ gebens ſtreckt ſich der Körper, der angehende Leichnam, in gräßlich übernatürlicher Länge, ſein neblicher Licht-Extract ſteigt über ihn hinaus wie eine Rauchſäule, höher, immer höher ſteigt die Geſtalt, endlich ſteht ſie mit ihrer unterſten Fußſpitze auf dem Haupte des Sterben¬ den, es iſt der Moment der gänzlich vollzogenen Loslöſung. Noch macht der Leib einen galvaniſch-zuckenden Sprung nach dieſer äußerſten Fußſpitze, er erreicht ſie nicht mehr, — ein gellender Schrei — letz¬ tes Aufflackern — ein ſchwerer dröhnender Fall — der Körper ſtürzt um, — er iſt todt. —
Moorfeld fand ſich in einer der unangenehmſten Empfindungen nach dieſer Scene. Es war keine Geſchmacks-Faſer in ſeinem ganzen Leibe, die nicht unerhört beleidigt, zu Gelächter und Abſcheu entſchie¬ den bereit war. Und doch mußte er ſich geſtehen, daß in dieſer bru¬ talen Farce ein falſcher und mißbrauchter Funke von Genie ihm das reine Aergerniß daran verkümmerte, daß die Affenfratze gewiſſe Züge von der Menſchheit entlehnt hatte, die man ſich erſt aus dem Sinn ſchlagen mußte, um die Affen-Identität nicht zu verkennen.
Inzwiſchen übertäubte der Lärm des Hauſes jede ſtillere Reflexion in ihm. Namentlich zog das Parterre ſeine Aufmerkſamkeit auf ſich. Die Jungen klatſchten, als ob man ſich neue Finger, wie neue Hand¬ ſchuhe anſchaffen könnte, ſie ſtrampelten gegen den Boden, daß das Fundament des Hauſes zitterte. Hoby, der Newsboy, warf endlich vor Begeiſterung ſeiner nicht mächtig, ein Münzſtück auf die Bühne,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0113"n="95"/>
die Agonie iſt aus, der Augenblick tritt ein, da ſich die Seele von<lb/>
dem Leibe ſcheidet. Aus einmal <hirendition="#g">erblickt</hi> man <hirendition="#g">dieſe Seele</hi>! Ja,<lb/>
man erblickt ſie! Vom Haupte des Sterbenden hervor taucht ein weißer<lb/>
durch Transparent erleuchteter Schatten, der die ungefähren Umriſſe<lb/>
einer menſchlichen Figur entwickelt, aber zerfedert und loſe, wie eine<lb/>
Dampfwolke, wie ein Nebelflor. Langſam löſt ſich dieſes Lichtbild von<lb/>
dem dunkeln Erdenkörper ab und ſchwebt an dem Vorhang empor.<lb/>
Da regt ſich der Körper noch einmal. Die Hände tappen und greifen<lb/>
nach dem Lichtbilde aus, wie mit magnetiſchem Zuge folgt der übrige<lb/>
Körper nach, der ganze Leib richtet ſich auf und folgt ſeiner Seele!<lb/>
Er klettert an den Vorhang hinan, die Hände immer nach der ent¬<lb/>ſchwebenden Seele ausfahrend, im tiefſten Gurgelſchlunde ein dumpfes<lb/>
wimmerndes Brüllen. Aber das Lichtbild iſt nicht zu halten. Ver¬<lb/>
gebens ſtreckt ſich der Körper, der angehende Leichnam, in gräßlich<lb/>
übernatürlicher Länge, ſein neblicher Licht-Extract ſteigt über ihn hinaus<lb/>
wie eine Rauchſäule, höher, immer höher ſteigt die Geſtalt, endlich<lb/>ſteht ſie mit ihrer unterſten Fußſpitze auf dem Haupte des Sterben¬<lb/>
den, es iſt der Moment der gänzlich vollzogenen Loslöſung. Noch<lb/>
macht der Leib einen galvaniſch-zuckenden Sprung nach dieſer äußerſten<lb/>
Fußſpitze, er erreicht ſie nicht mehr, — ein gellender Schrei — letz¬<lb/>
tes Aufflackern — ein ſchwerer dröhnender Fall — der Körper ſtürzt<lb/>
um, — er iſt todt. —</p><lb/><p>Moorfeld fand ſich in einer der unangenehmſten Empfindungen<lb/>
nach dieſer Scene. Es war keine Geſchmacks-Faſer in ſeinem ganzen<lb/>
Leibe, die nicht unerhört beleidigt, zu Gelächter und Abſcheu entſchie¬<lb/>
den bereit war. Und doch mußte er ſich geſtehen, daß in dieſer bru¬<lb/>
talen Farce ein falſcher und mißbrauchter Funke von Genie ihm das<lb/>
reine Aergerniß daran verkümmerte, daß die Affenfratze gewiſſe Züge<lb/>
von der Menſchheit entlehnt hatte, die man ſich erſt aus dem Sinn<lb/>ſchlagen mußte, um die Affen-Identität nicht zu verkennen.</p><lb/><p>Inzwiſchen übertäubte der Lärm des Hauſes jede ſtillere Reflexion<lb/>
in ihm. Namentlich zog das Parterre ſeine Aufmerkſamkeit auf ſich.<lb/>
Die Jungen klatſchten, als ob man ſich neue Finger, wie neue Hand¬<lb/>ſchuhe anſchaffen könnte, ſie ſtrampelten gegen den Boden, daß das<lb/>
Fundament des Hauſes zitterte. Hoby, der Newsboy, warf endlich<lb/>
vor Begeiſterung ſeiner nicht mächtig, ein Münzſtück auf die Bühne,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[95/0113]
die Agonie iſt aus, der Augenblick tritt ein, da ſich die Seele von
dem Leibe ſcheidet. Aus einmal erblickt man dieſe Seele! Ja,
man erblickt ſie! Vom Haupte des Sterbenden hervor taucht ein weißer
durch Transparent erleuchteter Schatten, der die ungefähren Umriſſe
einer menſchlichen Figur entwickelt, aber zerfedert und loſe, wie eine
Dampfwolke, wie ein Nebelflor. Langſam löſt ſich dieſes Lichtbild von
dem dunkeln Erdenkörper ab und ſchwebt an dem Vorhang empor.
Da regt ſich der Körper noch einmal. Die Hände tappen und greifen
nach dem Lichtbilde aus, wie mit magnetiſchem Zuge folgt der übrige
Körper nach, der ganze Leib richtet ſich auf und folgt ſeiner Seele!
Er klettert an den Vorhang hinan, die Hände immer nach der ent¬
ſchwebenden Seele ausfahrend, im tiefſten Gurgelſchlunde ein dumpfes
wimmerndes Brüllen. Aber das Lichtbild iſt nicht zu halten. Ver¬
gebens ſtreckt ſich der Körper, der angehende Leichnam, in gräßlich
übernatürlicher Länge, ſein neblicher Licht-Extract ſteigt über ihn hinaus
wie eine Rauchſäule, höher, immer höher ſteigt die Geſtalt, endlich
ſteht ſie mit ihrer unterſten Fußſpitze auf dem Haupte des Sterben¬
den, es iſt der Moment der gänzlich vollzogenen Loslöſung. Noch
macht der Leib einen galvaniſch-zuckenden Sprung nach dieſer äußerſten
Fußſpitze, er erreicht ſie nicht mehr, — ein gellender Schrei — letz¬
tes Aufflackern — ein ſchwerer dröhnender Fall — der Körper ſtürzt
um, — er iſt todt. —
Moorfeld fand ſich in einer der unangenehmſten Empfindungen
nach dieſer Scene. Es war keine Geſchmacks-Faſer in ſeinem ganzen
Leibe, die nicht unerhört beleidigt, zu Gelächter und Abſcheu entſchie¬
den bereit war. Und doch mußte er ſich geſtehen, daß in dieſer bru¬
talen Farce ein falſcher und mißbrauchter Funke von Genie ihm das
reine Aergerniß daran verkümmerte, daß die Affenfratze gewiſſe Züge
von der Menſchheit entlehnt hatte, die man ſich erſt aus dem Sinn
ſchlagen mußte, um die Affen-Identität nicht zu verkennen.
Inzwiſchen übertäubte der Lärm des Hauſes jede ſtillere Reflexion
in ihm. Namentlich zog das Parterre ſeine Aufmerkſamkeit auf ſich.
Die Jungen klatſchten, als ob man ſich neue Finger, wie neue Hand¬
ſchuhe anſchaffen könnte, ſie ſtrampelten gegen den Boden, daß das
Fundament des Hauſes zitterte. Hoby, der Newsboy, warf endlich
vor Begeiſterung ſeiner nicht mächtig, ein Münzſtück auf die Bühne,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/113>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.