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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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nißvoll. Der Engländer begrüßte übrigens seinen ankommenden
Nachbar zuvorkommender, als es sonst im Charakter seiner Nation
liegt, und erwiderte den psychiatrischen Blick desselben gänzlich un¬
befangen. Moorfeld musterte das übrige Publikum. Die Logen
des ersten und zweiten Rangs waren schwach besetzt, und fast durch¬
gehend nur von Herren ohne Damenbegleitung. Die Galerie dagegen
zeigte einen zahlreichen Damenbesuch aber ohne Herrenbegleitung. Die
Herren in den Logen beschäftigten sich damit, mittels allerlei optischer
Instrumente die Damen der Galerie zu inspiciren, diese hinwieder ver¬
riethen durch kein Zeichen, daß sie die Huldigung der bewaffneten
Augen unterschätzten. In dieser Gruppirung des Publikums fand
Moorfeld ein gutes Theil Sittengeschichte. Wenn das Wechselverhältniß
der Geschlechter an öffentlichen Orten überall eines der stärksten Schlag¬
lichter auf das Volksleben wirft, so war dieses Theaterpublikum der
beste Schlüssel zu jenem Theaterzettel. Das Theater fand sich hier
nicht von der Familie besucht, mehr bedurfte es nicht, um seine
Kunststufe zu erklären. Eine mit dem Schauspielhause verbundene
Trinkstube, auf welche Moorfeld durch den starken Zuspruch der ab-
und zugehenden Personen aufmerksam gemacht wurde, und welche die
Rentabilität der ganzen Kunstanstalt nicht wenig zu erhöhen schien,
that zur Charakteristik derselben das Ihrige.

Unter diesen Recognoscirungen des Europäers fing die Musik an.
Das Orchester war nicht schlecht, ein Blick darauf lehrte aber, daß es
größtentheils aus deutschen Physiognomien bestand. Nun flog der
Vorhang in die Höhe. Scene: Neu-Schottland, der Gouverneur und
der Sclavenhändler. Der Gouverneur, oder wie die Yankee's ihre
englischen Nachbarn nennen, die Blaunase, setzte durch ihre Charakter¬
maske den Kunststyl der amerikanischen Bühne sogleich außer Zweifel.
Seine Glieder bewegten sich wie die Hand- und Fußgelenke einer
Puppe, die sich um hölzerne Kurbeln drehen, sein großcarrirtes Bein¬
kleid saß ihm zu knapp, sein schwalbenschwänziger Frack schlotterte zu
weit, dazu umgürtete ein Shawl, wie eine Fenstergardine so groß,
seinen Hals, obwohl die Handlung in einem Zimmer spielte. Kurz,
die Charaktermaske war außerordentlich faßlich. Der Dialog begann.
Der Sclavenhändler hatte die Aufgabe, diese Monstrosität von Steif¬
heit geschmeidig zu machen. Er trat, wie er merken ließ, unter fal¬

nißvoll. Der Engländer begrüßte übrigens ſeinen ankommenden
Nachbar zuvorkommender, als es ſonſt im Charakter ſeiner Nation
liegt, und erwiderte den pſychiatriſchen Blick deſſelben gänzlich un¬
befangen. Moorfeld muſterte das übrige Publikum. Die Logen
des erſten und zweiten Rangs waren ſchwach beſetzt, und faſt durch¬
gehend nur von Herren ohne Damenbegleitung. Die Galerie dagegen
zeigte einen zahlreichen Damenbeſuch aber ohne Herrenbegleitung. Die
Herren in den Logen beſchäftigten ſich damit, mittels allerlei optiſcher
Inſtrumente die Damen der Galerie zu inſpiciren, dieſe hinwieder ver¬
riethen durch kein Zeichen, daß ſie die Huldigung der bewaffneten
Augen unterſchätzten. In dieſer Gruppirung des Publikums fand
Moorfeld ein gutes Theil Sittengeſchichte. Wenn das Wechſelverhältniß
der Geſchlechter an öffentlichen Orten überall eines der ſtärkſten Schlag¬
lichter auf das Volksleben wirft, ſo war dieſes Theaterpublikum der
beſte Schlüſſel zu jenem Theaterzettel. Das Theater fand ſich hier
nicht von der Familie beſucht, mehr bedurfte es nicht, um ſeine
Kunſtſtufe zu erklären. Eine mit dem Schauſpielhauſe verbundene
Trinkſtube, auf welche Moorfeld durch den ſtarken Zuſpruch der ab-
und zugehenden Perſonen aufmerkſam gemacht wurde, und welche die
Rentabilität der ganzen Kunſtanſtalt nicht wenig zu erhöhen ſchien,
that zur Charakteriſtik derſelben das Ihrige.

Unter dieſen Recognoscirungen des Europäers fing die Muſik an.
Das Orcheſter war nicht ſchlecht, ein Blick darauf lehrte aber, daß es
größtentheils aus deutſchen Phyſiognomien beſtand. Nun flog der
Vorhang in die Höhe. Scene: Neu-Schottland, der Gouverneur und
der Sclavenhändler. Der Gouverneur, oder wie die Yankee's ihre
engliſchen Nachbarn nennen, die Blaunaſe, ſetzte durch ihre Charakter¬
maske den Kunſtſtyl der amerikaniſchen Bühne ſogleich außer Zweifel.
Seine Glieder bewegten ſich wie die Hand- und Fußgelenke einer
Puppe, die ſich um hölzerne Kurbeln drehen, ſein großcarrirtes Bein¬
kleid ſaß ihm zu knapp, ſein ſchwalbenſchwänziger Frack ſchlotterte zu
weit, dazu umgürtete ein Shawl, wie eine Fenſtergardine ſo groß,
ſeinen Hals, obwohl die Handlung in einem Zimmer ſpielte. Kurz,
die Charaktermaske war außerordentlich faßlich. Der Dialog begann.
Der Sclavenhändler hatte die Aufgabe, dieſe Monſtroſität von Steif¬
heit geſchmeidig zu machen. Er trat, wie er merken ließ, unter fal¬

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[85/0103] nißvoll. Der Engländer begrüßte übrigens ſeinen ankommenden Nachbar zuvorkommender, als es ſonſt im Charakter ſeiner Nation liegt, und erwiderte den pſychiatriſchen Blick deſſelben gänzlich un¬ befangen. Moorfeld muſterte das übrige Publikum. Die Logen des erſten und zweiten Rangs waren ſchwach beſetzt, und faſt durch¬ gehend nur von Herren ohne Damenbegleitung. Die Galerie dagegen zeigte einen zahlreichen Damenbeſuch aber ohne Herrenbegleitung. Die Herren in den Logen beſchäftigten ſich damit, mittels allerlei optiſcher Inſtrumente die Damen der Galerie zu inſpiciren, dieſe hinwieder ver¬ riethen durch kein Zeichen, daß ſie die Huldigung der bewaffneten Augen unterſchätzten. In dieſer Gruppirung des Publikums fand Moorfeld ein gutes Theil Sittengeſchichte. Wenn das Wechſelverhältniß der Geſchlechter an öffentlichen Orten überall eines der ſtärkſten Schlag¬ lichter auf das Volksleben wirft, ſo war dieſes Theaterpublikum der beſte Schlüſſel zu jenem Theaterzettel. Das Theater fand ſich hier nicht von der Familie beſucht, mehr bedurfte es nicht, um ſeine Kunſtſtufe zu erklären. Eine mit dem Schauſpielhauſe verbundene Trinkſtube, auf welche Moorfeld durch den ſtarken Zuſpruch der ab- und zugehenden Perſonen aufmerkſam gemacht wurde, und welche die Rentabilität der ganzen Kunſtanſtalt nicht wenig zu erhöhen ſchien, that zur Charakteriſtik derſelben das Ihrige. Unter dieſen Recognoscirungen des Europäers fing die Muſik an. Das Orcheſter war nicht ſchlecht, ein Blick darauf lehrte aber, daß es größtentheils aus deutſchen Phyſiognomien beſtand. Nun flog der Vorhang in die Höhe. Scene: Neu-Schottland, der Gouverneur und der Sclavenhändler. Der Gouverneur, oder wie die Yankee's ihre engliſchen Nachbarn nennen, die Blaunaſe, ſetzte durch ihre Charakter¬ maske den Kunſtſtyl der amerikaniſchen Bühne ſogleich außer Zweifel. Seine Glieder bewegten ſich wie die Hand- und Fußgelenke einer Puppe, die ſich um hölzerne Kurbeln drehen, ſein großcarrirtes Bein¬ kleid ſaß ihm zu knapp, ſein ſchwalbenſchwänziger Frack ſchlotterte zu weit, dazu umgürtete ein Shawl, wie eine Fenſtergardine ſo groß, ſeinen Hals, obwohl die Handlung in einem Zimmer ſpielte. Kurz, die Charaktermaske war außerordentlich faßlich. Der Dialog begann. Der Sclavenhändler hatte die Aufgabe, dieſe Monſtroſität von Steif¬ heit geſchmeidig zu machen. Er trat, wie er merken ließ, unter fal¬

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/103>, abgerufen am 24.11.2024.