Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

waren mit den Newyorker Ladies auf dem "Shopping"-Gang gewesen
und brillirten in der gewähltesten Garderobe. Für solche Ueberraschun¬
gen ist auch der Gefaßte nicht gefaßt genug, und schrill reißt eine
Empfindung entzwei, die ohnedies nicht überspannt war.

Ein andermal besuchte Moorfeld das Theater. Eine Temperatur
von zwanzig Grad Reaumur nach Sonnenuntergang hatte ihm bei einem
Glas Eis, in einem Battery-Cafe, bisher jeden Gedanken an New¬
york's dramatisches Kunstleben im Hintergrunde gehalten. Aber die
Melpomene des Landes verstand es ihn aufzurütteln. Ein zufälliger
Blick Moorfeld's an eine Straßenecke brachte ihm eines Tags folgen¬
den Theaterzettel vor Augen:

"Heute zum ersten Male: Die Abenteuer des Kapitän Ebenezer
Drivvle. -- Eine Auswahl der rührendsten und heitersten Begeben¬
heiten aus dem Bilde eines schicksalsvollen Menschenlebens. (Nach
einer wahren Geschichte.) Personen: Kapitän Ebenezer Drivvle --
Mr. Blount. Ein Heldenspieler ersten Ranges; ein Kraftmensch wie
Simson und Goliath, mit Erlaubniß einer hochwürdigen Geistlichkeit. --
Benjamin Ridge, sein Midshippman -- Mß. Dooly. Eine gefeierte
Darstellerin jugendlicher Männerrollen. Laune, Uebermuth, Witz,
Schalkheit, eine verwegene Grazie, die mit den Grenzen des Anstandes
spielt, ohne sie zu überschreiten, das sind einige von den Gaben dieser
liebenswürdigen Künstlerin, auf welche wir alte lebensfrohe Herren,
die sich gern ihrer schönen Rosenzeit erinnern, aufmerksam machen. --
Nathanael Sanders, erster Steuermann -- Mr. Fletcher, ein mei¬
sterhafter Trunkenbold, sowohl im humoristischen, als im abschreckend¬
scheußlichen Fache. -- Jonathan Hodge, Gouverneur von Neu-Schott¬
land, aber doch ein Ehrenmann -- Mr. Morses. Bekannter Virtuos
in Darstellung einfältiger Blaunasen, welche, richtig behandelt, ganz
Güte und Großmuth sind. -- Black Hamk, ein Indianerhäuptling --
Mr. Murphy. Wir machen auf die eiserne Bruststimme dieses Helden¬
spielers aufmerksam. Könnte Armeen commandiren, wenn er sie hätte.
Sein Volk schmilzt aber unter den Kugeln der Kentuckyer-Büchsen zu¬
letzt bis auf zehn Mann zusammen. Ist interessant tätowirt. --
Andrew Jackson Dewis, ein Sclavenhändler -- Mr. Blackely. Ein
tiefer Kenner der Nachtseiten des menschlichen Herzens, ein ausgezeich¬
neter Bösewicht. Weiß besonders gräßlich zu sterben. -- Magnolia,

waren mit den Newyorker Ladies auf dem „Shopping“-Gang geweſen
und brillirten in der gewählteſten Garderobe. Für ſolche Ueberraſchun¬
gen iſt auch der Gefaßte nicht gefaßt genug, und ſchrill reißt eine
Empfindung entzwei, die ohnedies nicht überſpannt war.

Ein andermal beſuchte Moorfeld das Theater. Eine Temperatur
von zwanzig Grad Réaumur nach Sonnenuntergang hatte ihm bei einem
Glas Eis, in einem Battery-Café, bisher jeden Gedanken an New¬
york's dramatiſches Kunſtleben im Hintergrunde gehalten. Aber die
Melpomene des Landes verſtand es ihn aufzurütteln. Ein zufälliger
Blick Moorfeld's an eine Straßenecke brachte ihm eines Tags folgen¬
den Theaterzettel vor Augen:

„Heute zum erſten Male: Die Abenteuer des Kapitän Ebenezer
Drivvle. — Eine Auswahl der rührendſten und heiterſten Begeben¬
heiten aus dem Bilde eines ſchickſalsvollen Menſchenlebens. (Nach
einer wahren Geſchichte.) Perſonen: Kapitän Ebenezer Drivvle —
Mr. Blount. Ein Heldenſpieler erſten Ranges; ein Kraftmenſch wie
Simſon und Goliath, mit Erlaubniß einer hochwürdigen Geiſtlichkeit. —
Benjamin Ridge, ſein Midſhippman — Mß. Dooly. Eine gefeierte
Darſtellerin jugendlicher Männerrollen. Laune, Uebermuth, Witz,
Schalkheit, eine verwegene Grazie, die mit den Grenzen des Anſtandes
ſpielt, ohne ſie zu überſchreiten, das ſind einige von den Gaben dieſer
liebenswürdigen Künſtlerin, auf welche wir alte lebensfrohe Herren,
die ſich gern ihrer ſchönen Roſenzeit erinnern, aufmerkſam machen. —
Nathanael Sanders, erſter Steuermann — Mr. Fletcher, ein mei¬
ſterhafter Trunkenbold, ſowohl im humoriſtiſchen, als im abſchreckend¬
ſcheußlichen Fache. — Jonathan Hodge, Gouverneur von Neu-Schott¬
land, aber doch ein Ehrenmann — Mr. Morſes. Bekannter Virtuos
in Darſtellung einfältiger Blaunaſen, welche, richtig behandelt, ganz
Güte und Großmuth ſind. — Black Hamk, ein Indianerhäuptling —
Mr. Murphy. Wir machen auf die eiſerne Bruſtſtimme dieſes Helden¬
ſpielers aufmerkſam. Könnte Armeen commandiren, wenn er ſie hätte.
Sein Volk ſchmilzt aber unter den Kugeln der Kentuckyer-Büchſen zu¬
letzt bis auf zehn Mann zuſammen. Iſt intereſſant tätowirt. —
Andrew Jackſon Dewis, ein Sclavenhändler — Mr. Blackely. Ein
tiefer Kenner der Nachtſeiten des menſchlichen Herzens, ein ausgezeich¬
neter Böſewicht. Weiß beſonders gräßlich zu ſterben. — Magnolia,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0100" n="82"/>
waren mit den Newyorker Ladies auf dem &#x201E;Shopping&#x201C;-Gang gewe&#x017F;en<lb/>
und brillirten in der gewählte&#x017F;ten Garderobe. Für &#x017F;olche Ueberra&#x017F;chun¬<lb/>
gen i&#x017F;t auch der Gefaßte nicht gefaßt genug, und &#x017F;chrill reißt eine<lb/>
Empfindung entzwei, die ohnedies nicht über&#x017F;pannt war.</p><lb/>
          <p>Ein andermal be&#x017F;uchte Moorfeld das Theater. Eine Temperatur<lb/>
von zwanzig Grad R<hi rendition="#aq">é</hi>aumur nach Sonnenuntergang hatte ihm bei einem<lb/>
Glas Eis, in einem Battery-Caf<hi rendition="#aq">é</hi>, bisher jeden Gedanken an New¬<lb/>
york's dramati&#x017F;ches Kun&#x017F;tleben im Hintergrunde gehalten. Aber die<lb/>
Melpomene des Landes ver&#x017F;tand es ihn aufzurütteln. Ein zufälliger<lb/>
Blick Moorfeld's an eine Straßenecke brachte ihm eines Tags folgen¬<lb/>
den Theaterzettel vor Augen:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Heute zum er&#x017F;ten Male: Die Abenteuer des Kapitän Ebenezer<lb/>
Drivvle. &#x2014; Eine Auswahl der rührend&#x017F;ten und heiter&#x017F;ten Begeben¬<lb/>
heiten aus dem Bilde eines &#x017F;chick&#x017F;alsvollen Men&#x017F;chenlebens. (Nach<lb/>
einer wahren Ge&#x017F;chichte.) Per&#x017F;onen: Kapitän Ebenezer Drivvle &#x2014;<lb/>
Mr. Blount. Ein Helden&#x017F;pieler er&#x017F;ten Ranges; ein Kraftmen&#x017F;ch wie<lb/>
Sim&#x017F;on und Goliath, mit Erlaubniß einer hochwürdigen Gei&#x017F;tlichkeit. &#x2014;<lb/>
Benjamin Ridge, &#x017F;ein Mid&#x017F;hippman &#x2014; Mß. Dooly. Eine gefeierte<lb/>
Dar&#x017F;tellerin jugendlicher Männerrollen. Laune, Uebermuth, Witz,<lb/>
Schalkheit, eine verwegene Grazie, die mit den Grenzen des An&#x017F;tandes<lb/>
&#x017F;pielt, ohne &#x017F;ie zu über&#x017F;chreiten, das &#x017F;ind einige von den Gaben die&#x017F;er<lb/>
liebenswürdigen Kün&#x017F;tlerin, auf welche wir alte lebensfrohe Herren,<lb/>
die &#x017F;ich gern ihrer &#x017F;chönen Ro&#x017F;enzeit erinnern, aufmerk&#x017F;am machen. &#x2014;<lb/>
Nathanael Sanders, er&#x017F;ter Steuermann &#x2014; Mr. Fletcher, ein mei¬<lb/>
&#x017F;terhafter Trunkenbold, &#x017F;owohl im humori&#x017F;ti&#x017F;chen, als im ab&#x017F;chreckend¬<lb/>
&#x017F;cheußlichen Fache. &#x2014; Jonathan Hodge, Gouverneur von Neu-Schott¬<lb/>
land, aber doch ein Ehrenmann &#x2014; Mr. Mor&#x017F;es. Bekannter Virtuos<lb/>
in Dar&#x017F;tellung einfältiger Blauna&#x017F;en, welche, richtig behandelt, ganz<lb/>
Güte und Großmuth &#x017F;ind. &#x2014; Black Hamk, ein Indianerhäuptling &#x2014;<lb/>
Mr. Murphy. Wir machen auf die ei&#x017F;erne Bru&#x017F;t&#x017F;timme die&#x017F;es Helden¬<lb/>
&#x017F;pielers aufmerk&#x017F;am. Könnte Armeen commandiren, wenn er &#x017F;ie hätte.<lb/>
Sein Volk &#x017F;chmilzt aber unter den Kugeln der Kentuckyer-Büch&#x017F;en zu¬<lb/>
letzt bis auf zehn Mann zu&#x017F;ammen. I&#x017F;t intere&#x017F;&#x017F;ant tätowirt. &#x2014;<lb/>
Andrew Jack&#x017F;on Dewis, ein Sclavenhändler &#x2014; Mr. Blackely. Ein<lb/>
tiefer Kenner der Nacht&#x017F;eiten des men&#x017F;chlichen Herzens, ein ausgezeich¬<lb/>
neter Bö&#x017F;ewicht. Weiß be&#x017F;onders gräßlich zu &#x017F;terben. &#x2014; Magnolia,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0100] waren mit den Newyorker Ladies auf dem „Shopping“-Gang geweſen und brillirten in der gewählteſten Garderobe. Für ſolche Ueberraſchun¬ gen iſt auch der Gefaßte nicht gefaßt genug, und ſchrill reißt eine Empfindung entzwei, die ohnedies nicht überſpannt war. Ein andermal beſuchte Moorfeld das Theater. Eine Temperatur von zwanzig Grad Réaumur nach Sonnenuntergang hatte ihm bei einem Glas Eis, in einem Battery-Café, bisher jeden Gedanken an New¬ york's dramatiſches Kunſtleben im Hintergrunde gehalten. Aber die Melpomene des Landes verſtand es ihn aufzurütteln. Ein zufälliger Blick Moorfeld's an eine Straßenecke brachte ihm eines Tags folgen¬ den Theaterzettel vor Augen: „Heute zum erſten Male: Die Abenteuer des Kapitän Ebenezer Drivvle. — Eine Auswahl der rührendſten und heiterſten Begeben¬ heiten aus dem Bilde eines ſchickſalsvollen Menſchenlebens. (Nach einer wahren Geſchichte.) Perſonen: Kapitän Ebenezer Drivvle — Mr. Blount. Ein Heldenſpieler erſten Ranges; ein Kraftmenſch wie Simſon und Goliath, mit Erlaubniß einer hochwürdigen Geiſtlichkeit. — Benjamin Ridge, ſein Midſhippman — Mß. Dooly. Eine gefeierte Darſtellerin jugendlicher Männerrollen. Laune, Uebermuth, Witz, Schalkheit, eine verwegene Grazie, die mit den Grenzen des Anſtandes ſpielt, ohne ſie zu überſchreiten, das ſind einige von den Gaben dieſer liebenswürdigen Künſtlerin, auf welche wir alte lebensfrohe Herren, die ſich gern ihrer ſchönen Roſenzeit erinnern, aufmerkſam machen. — Nathanael Sanders, erſter Steuermann — Mr. Fletcher, ein mei¬ ſterhafter Trunkenbold, ſowohl im humoriſtiſchen, als im abſchreckend¬ ſcheußlichen Fache. — Jonathan Hodge, Gouverneur von Neu-Schott¬ land, aber doch ein Ehrenmann — Mr. Morſes. Bekannter Virtuos in Darſtellung einfältiger Blaunaſen, welche, richtig behandelt, ganz Güte und Großmuth ſind. — Black Hamk, ein Indianerhäuptling — Mr. Murphy. Wir machen auf die eiſerne Bruſtſtimme dieſes Helden¬ ſpielers aufmerkſam. Könnte Armeen commandiren, wenn er ſie hätte. Sein Volk ſchmilzt aber unter den Kugeln der Kentuckyer-Büchſen zu¬ letzt bis auf zehn Mann zuſammen. Iſt intereſſant tätowirt. — Andrew Jackſon Dewis, ein Sclavenhändler — Mr. Blackely. Ein tiefer Kenner der Nachtſeiten des menſchlichen Herzens, ein ausgezeich¬ neter Böſewicht. Weiß beſonders gräßlich zu ſterben. — Magnolia,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/100
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/100>, abgerufen am 27.11.2024.