N001 Ein merkwürdiges Erlebnis mit Harald Wessel, der mich gestern N002 besuchte. Da ich weiter wundervolle Briefe zum "Urenkel" bekomme - N003 Briefe von Genossen, die sich nach der Lektüre als bessere Genos- N004 sen fühlen, ja auch einen Brief von einem Pastor, der sich wundert, N005 daß ein Marxist ihn, den Christen, zu besserer und glücklicherer N006 Arbeit in unserer Gesellschaft ermutigt hat -
N001 und da ich fürohtete, daß irgendwo in der bürgerlichen Presse N002 der BED eine positive Besprechung erscheinen könnte, mit entspre- N003 chend ungünstigen Folgen hier, hatte ich Achim Herrmann einige N004 Auszüge aus Briefen gesandt.
N001 Folget 2 Tage später ein Anruf von Achim - er hätte meinen N002 Brief bekommen und hätte "schon vorher" Günter Schabowski veran- N003 laßt, Harald Wessel aufzufordern, eine Besprechung im ND zu schrei- N004 ben. Er fände das Kapitel über Stalin ganz ausgezeichnet, aber N005 natürlich nicht meine Bemerkungen über unsere Presse und Propaganda.
N001 Harald erzählte mir nun, daß vor etwa 1 Woche er, da er auf- N002 gegeben hatte, im HD darüber zu schreiben, wenigstens im "Magazin" N003 sich dazu äußern wollte, G.Sch. ihm gesagt hättet laß Deine Hände N004 von dem Buch! Ein Politbüromitglied hätte bemerkt, es sei das re- N005 publikfeindlichste Buch, das je bei uns erschienen wäre.
N001 Jetzt hat offenbar Achim dem Erich das Echo, das ich ihm N002 sandte, natürlich aus ganz anderen Gründen, gezeigt, und "alles N003 ist in Ordnung", soweit ein solches Buch bei uns überhaupt in Ord- N004 nung sein kann.
N001 Unten aber ist der Respons ganz rührend. So viele, auch sol- N002 che, die ich gar nicht kenne, reden mich auf das Buch hin an und N003 sagen mir, wie froh sie mit ihm sind. Täglich habe ich mindestens N004 einen guten Brief.
N001 22.1.198^
N001 Ein merkwürdiges Erlebnis mit Harald Wessel, der mich gestern N002 besuchte. Da ich weiter wundervolle Briefe zum "Urenkel" bekomme - N003 Briefe von Genossen, die sich nach der Lektüre als bessere Genos- N004 sen fühlen, ja auch einen Brief von einem Pastor, der sich wundert, N005 daß ein Marxist ihn, den Christen, zu besserer und glücklicherer N006 Arbeit in unserer Gesellschaft ermutigt hat -
N001 und da ich fürohtete, daß irgendwo in der bürgerlichen Presse N002 der BED eine positive Besprechung erscheinen könnte, mit entspre- N003 chend ungünstigen Folgen hier, hatte ich Achim Herrmann einige N004 Auszüge aus Briefen gesandt.
N001 Folget 2 Tage später ein Anruf von Achim - er hätte meinen N002 Brief bekommen und hätte "schon vorher" Günter Schabowski veran- N003 laßt, Harald Wessel aufzufordern, eine Besprechung im ND zu schrei- N004 ben. Er fände das Kapitel über Stalin ganz ausgezeichnet, aber N005 natürlich nicht meine Bemerkungen über unsere Presse und Propaganda.
N001 Harald erzählte mir nun, daß vor etwa 1 Woche er, da er auf- N002 gegeben hatte, im HD darüber zu schreiben, wenigstens im "Magazin" N003 sich dazu äußern wollte, G.Sch. ihm gesagt hättet laß Deine Hände N004 von dem Buch! Ein Politbüromitglied hätte bemerkt, es sei das re- N005 publikfeindlichste Buch, das je bei uns erschienen wäre.
N001 Jetzt hat offenbar Achim dem Erich das Echo, das ich ihm N002 sandte, natürlich aus ganz anderen Gründen, gezeigt, und "alles N003 ist in Ordnung", soweit ein solches Buch bei uns überhaupt in Ord- N004 nung sein kann.
N001 Unten aber ist der Respons ganz rührend. So viele, auch sol- N002 che, die ich gar nicht kenne, reden mich auf das Buch hin an und N003 sagen mir, wie froh sie mit ihm sind. Täglich habe ich mindestens N004 einen guten Brief.
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Ein merkwürdiges Erlebnis mit Harald Wessel, der mich gestern N002
besuchte. Da ich weiter wundervolle Briefe zum "Urenkel" bekomme - N003
Briefe von Genossen, die sich nach der Lektüre als bessere Genos- N004
sen fühlen, ja auch einen Brief von einem Pastor, der sich wundert, N005
daß ein Marxist ihn, den Christen, zu besserer und glücklicherer N006
Arbeit in unserer Gesellschaft ermutigt hat -
N001
und da ich fürohtete, daß irgendwo in der bürgerlichen Presse N002
der BED eine positive Besprechung erscheinen könnte, mit entspre- N003
chend ungünstigen Folgen hier, hatte ich Achim Herrmann einige N004
Auszüge aus Briefen gesandt.
N001
Folget 2 Tage später ein Anruf von Achim - er hätte meinen N002
Brief bekommen und hätte "schon vorher" Günter Schabowski veran- N003
laßt, Harald Wessel aufzufordern, eine Besprechung im ND zu schrei- N004
ben. Er fände das Kapitel über Stalin ganz ausgezeichnet, aber N005
natürlich nicht meine Bemerkungen über unsere Presse und Propaganda.
N001
Harald erzählte mir nun, daß vor etwa 1 Woche er, da er auf- N002
gegeben hatte, im HD darüber zu schreiben, wenigstens im "Magazin" N003
sich dazu äußern wollte, G.Sch. ihm gesagt hättet laß Deine Hände N004
von dem Buch! Ein Politbüromitglied hätte bemerkt, es sei das re- N005
publikfeindlichste Buch, das je bei uns erschienen wäre.
N001
Jetzt hat offenbar Achim dem Erich das Echo, das ich ihm N002
sandte, natürlich aus ganz anderen Gründen, gezeigt, und "alles N003
ist in Ordnung", soweit ein solches Buch bei uns überhaupt in Ord- N004
nung sein kann.
N001
Unten aber ist der Respons ganz rührend. So viele, auch sol- N002
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Kuczynski, Jürgen: Tagebuch. Berlin, 1987, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuczynski_tagebuch_1987/831>, abgerufen am 22.11.2024.
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