Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kuczynski, Jürgen: Tagebuch. Berlin, 1987.

Bild:
<< vorherige Seite

N001
16.1*1969

N001
Erika Behm erzählte mir kürzlich, daß die neue Akademie- N002
Reform auch beinhaltet, daß die neuen Wissenschaftafabriken N003
(Zentralinstitute), die aufgebaut werden, eigene Ökonomen, Mate- N004
rialbeachaffungsabteilungen usw. haben sollen. Der Wahnsinn für N005
die Gesellschaftswissenschaften ist also ein doppelter* 1. wird N006
zentralisiert, wo Dezentralisierung das Gegebene ist* bei der N007
wissenschaftlichen Forschung. 2. wird dezentralisiert, wo Zentra- N008
lisierung das Beste ist, bei der Verwaltung. Durch 2 wird die N009
Bürokratie vervielfacht, der Betrieb nur noch erschwert und ver- N010
teuert. Das Ganze ist wirklich eine Wahnsinnstat von Wissen- N011
schaf tapolitikastern. Und während den Wahnsinn von 1 zu durchschau- N012
en, immerhin ein erfahrener Wissenschaftler da sein muß, kann den N013
Wahnsinn von 2 auch eine tüchtige Bürovorsteherin eines kleinen N014
Instituts wie Erika erkennen. Aber natürlich ist die Einsicht N015
von Erika ohne jede Wirkung, wenn, wie bei uns, .die sozialistische N016
Demokratie nur in der Phrase "Mitplanen, Mitarbeiten, Mitregieren" N017
und nicht in der Realität besteht - außer auf Inseln, wie unserem N018
Institut, wo wirkliche Demokratie besteht.

N001
So wie früher jeder höhere Parteifuntctionär sich einbildete, N002
etwas von Wirtschaft zu verstehen (und für das Politbüro gilt N003
das natürlich auch heute noch, ebenso wie für die Be zirka Sekreta- N004
riate), so bildet sich heute jeder höhere Parteifunktionär ein, N005
etwas von Wissenschaftspolitik zu verstehen.

N001
Da ioh nie in den mehr als 12 Jahren, die ich dieses Notiz- N002
buch führe, wieder in früher Geschriebenes hineingesehen habe, N003
ja nicht einmal an einem Tage Geschriebenes noch einmal durch- N004
lese, weiß ich nicht, ob ich je über diese Notizen etwas geschrie- N005
ben habe. Wenn man sie lange naoh meinem Tode einmal allgemeiner

N001
16.1*1969

N001
Erika Behm erzählte mir kürzlich, daß die neue Akademie- N002
Reform auch beinhaltet, daß die neuen Wissenschaftafabriken N003
(Zentralinstitute), die aufgebaut werden, eigene Ökonomen, Mate- N004
rialbeachaffungsabteilungen usw. haben sollen. Der Wahnsinn für N005
die Gesellschaftswissenschaften ist also ein doppelter* 1. wird N006
zentralisiert, wo Dezentralisierung das Gegebene ist* bei der N007
wissenschaftlichen Forschung. 2. wird dezentralisiert, wo Zentra- N008
lisierung das Beste ist, bei der Verwaltung. Durch 2 wird die N009
Bürokratie vervielfacht, der Betrieb nur noch erschwert und ver- N010
teuert. Das Ganze ist wirklich eine Wahnsinnstat von Wissen- N011
schaf tapolitikastern. Und während den Wahnsinn von 1 zu durchschau- N012
en, immerhin ein erfahrener Wissenschaftler da sein muß, kann den N013
Wahnsinn von 2 auch eine tüchtige Bürovorsteherin eines kleinen N014
Instituts wie Erika erkennen. Aber natürlich ist die Einsicht N015
von Erika ohne jede Wirkung, wenn, wie bei uns, .die sozialistische N016
Demokratie nur in der Phrase "Mitplanen, Mitarbeiten, Mitregieren" N017
und nicht in der Realität besteht - außer auf Inseln, wie unserem N018
Institut, wo wirkliche Demokratie besteht.

N001
So wie früher jeder höhere Parteifuntctionär sich einbildete, N002
etwas von Wirtschaft zu verstehen (und für das Politbüro gilt N003
das natürlich auch heute noch, ebenso wie für die Be zirka Sekreta- N004
riate), so bildet sich heute jeder höhere Parteifunktionär ein, N005
etwas von Wissenschaftspolitik zu verstehen.

N001
Da ioh nie in den mehr als 12 Jahren, die ich dieses Notiz- N002
buch führe, wieder in früher Geschriebenes hineingesehen habe, N003
ja nicht einmal an einem Tage Geschriebenes noch einmal durch- N004
lese, weiß ich nicht, ob ich je über diese Notizen etwas geschrie- N005
ben habe. Wenn man sie lange naoh meinem Tode einmal allgemeiner

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter">
        <pb facs="#f0397" n="5"/>
        <p><lb n="N001"/>
16.1*1969</p>
        <p><lb n="N001"/>
Erika Behm erzählte mir kürzlich, daß die neue Akademie-     <lb n="N002"/>
Reform auch beinhaltet, daß die neuen Wissenschaftafabriken     <lb n="N003"/>
(Zentralinstitute), die aufgebaut werden, eigene Ökonomen, Mate-     <lb n="N004"/>
rialbeachaffungsabteilungen usw. haben sollen. Der Wahnsinn für     <lb n="N005"/>
die Gesellschaftswissenschaften ist also ein doppelter* 1. wird     <lb n="N006"/>
zentralisiert, wo Dezentralisierung das Gegebene ist* bei der     <lb n="N007"/>
wissenschaftlichen Forschung. 2. wird dezentralisiert, wo Zentra-     <lb n="N008"/>
lisierung das Beste ist, bei der Verwaltung. Durch 2 wird die     <lb n="N009"/>
Bürokratie vervielfacht, der Betrieb nur noch erschwert und ver-     <lb n="N010"/>
teuert. Das Ganze ist wirklich eine Wahnsinnstat von Wissen-     <lb n="N011"/>
schaf tapolitikastern. Und während den Wahnsinn von 1 zu durchschau-     <lb n="N012"/>
en, immerhin ein erfahrener Wissenschaftler da sein muß, kann den     <lb n="N013"/>
Wahnsinn von 2 auch eine tüchtige Bürovorsteherin eines kleinen     <lb n="N014"/>
Instituts wie Erika erkennen. Aber natürlich ist die Einsicht     <lb n="N015"/>
von Erika ohne jede Wirkung, wenn, wie bei uns, .die sozialistische     <lb n="N016"/>
Demokratie nur in der Phrase "Mitplanen, Mitarbeiten, Mitregieren"     <lb n="N017"/>
und nicht in der Realität besteht - außer auf Inseln, wie unserem     <lb n="N018"/>
Institut, wo wirkliche Demokratie besteht.</p>
        <p><lb n="N001"/>
So wie früher jeder höhere Parteifuntctionär sich einbildete,     <lb n="N002"/>
etwas von Wirtschaft zu verstehen (und für das Politbüro gilt     <lb n="N003"/>
das natürlich auch heute noch, ebenso wie für die Be zirka Sekreta-     <lb n="N004"/>
riate), so bildet sich heute jeder höhere Parteifunktionär ein,     <lb n="N005"/>
etwas von Wissenschaftspolitik zu verstehen.</p>
        <p><lb n="N001"/>
Da ioh nie in den mehr als 12 Jahren, die ich dieses Notiz-     <lb n="N002"/>
buch führe, wieder in früher Geschriebenes hineingesehen habe,     <lb n="N003"/>
ja nicht einmal an einem Tage Geschriebenes noch einmal durch-     <lb n="N004"/>
lese, weiß ich nicht, ob ich je über diese Notizen etwas geschrie-     <lb n="N005"/>
ben habe. Wenn man sie lange naoh meinem Tode einmal allgemeiner</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0397] N001 16.1*1969 N001 Erika Behm erzählte mir kürzlich, daß die neue Akademie- N002 Reform auch beinhaltet, daß die neuen Wissenschaftafabriken N003 (Zentralinstitute), die aufgebaut werden, eigene Ökonomen, Mate- N004 rialbeachaffungsabteilungen usw. haben sollen. Der Wahnsinn für N005 die Gesellschaftswissenschaften ist also ein doppelter* 1. wird N006 zentralisiert, wo Dezentralisierung das Gegebene ist* bei der N007 wissenschaftlichen Forschung. 2. wird dezentralisiert, wo Zentra- N008 lisierung das Beste ist, bei der Verwaltung. Durch 2 wird die N009 Bürokratie vervielfacht, der Betrieb nur noch erschwert und ver- N010 teuert. Das Ganze ist wirklich eine Wahnsinnstat von Wissen- N011 schaf tapolitikastern. Und während den Wahnsinn von 1 zu durchschau- N012 en, immerhin ein erfahrener Wissenschaftler da sein muß, kann den N013 Wahnsinn von 2 auch eine tüchtige Bürovorsteherin eines kleinen N014 Instituts wie Erika erkennen. Aber natürlich ist die Einsicht N015 von Erika ohne jede Wirkung, wenn, wie bei uns, .die sozialistische N016 Demokratie nur in der Phrase "Mitplanen, Mitarbeiten, Mitregieren" N017 und nicht in der Realität besteht - außer auf Inseln, wie unserem N018 Institut, wo wirkliche Demokratie besteht. N001 So wie früher jeder höhere Parteifuntctionär sich einbildete, N002 etwas von Wirtschaft zu verstehen (und für das Politbüro gilt N003 das natürlich auch heute noch, ebenso wie für die Be zirka Sekreta- N004 riate), so bildet sich heute jeder höhere Parteifunktionär ein, N005 etwas von Wissenschaftspolitik zu verstehen. N001 Da ioh nie in den mehr als 12 Jahren, die ich dieses Notiz- N002 buch führe, wieder in früher Geschriebenes hineingesehen habe, N003 ja nicht einmal an einem Tage Geschriebenes noch einmal durch- N004 lese, weiß ich nicht, ob ich je über diese Notizen etwas geschrie- N005 ben habe. Wenn man sie lange naoh meinem Tode einmal allgemeiner

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Archiv der Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-01-09T11:07:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-01-09T11:07:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuczynski_tagebuch_1987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuczynski_tagebuch_1987/397
Zitationshilfe: Kuczynski, Jürgen: Tagebuch. Berlin, 1987, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuczynski_tagebuch_1987/397>, abgerufen am 25.11.2024.