Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kuczynski, Jürgen: Tagebuch. Berlin, 1987.

Bild:
<< vorherige Seite

N001
Ja" ich war zerwühlt und erschöpft und todmüde" als Ich N002
Hermann verließ - zugleich aber war ich wieder stolz" daß ich N003
meine Mission, so wie es die Partei von mir forderte, erfüllt N004
hatte, nicht versagt hatte, wo alles darauf ankam, "Geist und N005
Moral der Genossen aufrecht zu erhalten".

N001
Hie wieder habe ich mit Hermann über diese Stunde gespro- N002
chen. Als er naoh Deutschland zurückkehrte, waren wir sicherlich N003
beide davon überzeugt, daß ich damals"reoht gehabt" hatte, ln der N004
Folgezeit sahen wir uns nur selten, zumal er später in Bernau N005
lebte. Doch eines Besuches von ihm erinnere ich mich noch sehr N006
genau. Es war in dem aufregenden Jahre 1956, nach dem XX. Partei- N007
tag der KPdSU. Ich arbeitete an meinem Buch über den Ausbruch des N008
Ersten Weltkrieges, das dann so verrissen wurde. Es lag mir daran, N009
mit einigen alten Genossen, die schon 1914 aktiv gewesen waren, N010
zu sprechen. So unterhielt ich mich unter anderem mit Jakob Wal- N011
eher und auch mit Hermann. Hermann war frisch und anregend wie N012
immer und erzählte mir vor allem von seinem Erlebnis mit Haenisch, N013
über das ich auch in dem Buch (S.77) berichtet habe. Als das Buch N014
als "bürgerlich", "den Klassenstandpunkt verlassend" usw. kriti- N015
siert wurde, als Politbüro und Apparat und alle Historiker der N016
DDR gegen mich loszogen - in echt stalinlstlscher Manier -, war - N017
und wie kann ich ihm das nach all seinen Erlebnissen übel nehmen! N018
Jakob Walcher sehr verärgert, daß ich ihn mit meinem Buch ln Ver- N019
bindung gebracht hatte und distanzierte sich soharf von mir. Her- N020
mann aber hatte kein Wort des Vorwurfs, und die wenigen Male, die N021
ich ihn dann noch sah, war er lieb und gut und freundschaftlich N022
zu mir, stets naoh dem "Bastei" fragend.

N001
Bei mir dauerte es eine Weile, auch noch naoh dem XX. Partei- N002
tag" bis ich ganz begriff, wie beschämend und antipartellioh im

N001
Ja» ich war zerwühlt und erschöpft und todmüde» als Ich N002
Hermann verließ - zugleich aber war ich wieder stolz» daß ich N003
meine Mission, so wie es die Partei von mir forderte, erfüllt N004
hatte, nicht versagt hatte, wo alles darauf ankam, "Geist und N005
Moral der Genossen aufrecht zu erhalten".

N001
Hie wieder habe ich mit Hermann über diese Stunde gespro- N002
chen. Als er naoh Deutschland zurückkehrte, waren wir sicherlich N003
beide davon überzeugt, daß ich damals"reoht gehabt" hatte, ln der N004
Folgezeit sahen wir uns nur selten, zumal er später in Bernau N005
lebte. Doch eines Besuches von ihm erinnere ich mich noch sehr N006
genau. Es war in dem aufregenden Jahre 1956, nach dem XX. Partei- N007
tag der KPdSU. Ich arbeitete an meinem Buch über den Ausbruch des N008
Ersten Weltkrieges, das dann so verrissen wurde. Es lag mir daran, N009
mit einigen alten Genossen, die schon 1914 aktiv gewesen waren, N010
zu sprechen. So unterhielt ich mich unter anderem mit Jakob Wal- N011
eher und auch mit Hermann. Hermann war frisch und anregend wie N012
immer und erzählte mir vor allem von seinem Erlebnis mit Haenisch, N013
über das ich auch in dem Buch (S.77) berichtet habe. Als das Buch N014
als "bürgerlich", "den Klassenstandpunkt verlassend" usw. kriti- N015
siert wurde, als Politbüro und Apparat und alle Historiker der N016
DDR gegen mich loszogen - in echt stalinlstlscher Manier -, war - N017
und wie kann ich ihm das nach all seinen Erlebnissen übel nehmen! N018
Jakob Walcher sehr verärgert, daß ich ihn mit meinem Buch ln Ver- N019
bindung gebracht hatte und distanzierte sich soharf von mir. Her- N020
mann aber hatte kein Wort des Vorwurfs, und die wenigen Male, die N021
ich ihn dann noch sah, war er lieb und gut und freundschaftlich N022
zu mir, stets naoh dem "Bastei" fragend.

N001
Bei mir dauerte es eine Weile, auch noch naoh dem XX. Partei- N002
tag» bis ich ganz begriff, wie beschämend und antipartellioh im

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter">
        <pb facs="#f0287" n="11"/>
        <p><lb n="N001"/>
Ja» ich war zerwühlt und erschöpft und todmüde» als Ich     <lb n="N002"/>
Hermann verließ - zugleich aber war ich wieder stolz» daß ich     <lb n="N003"/>
meine Mission, so wie es die Partei von mir forderte, erfüllt     <lb n="N004"/>
hatte, nicht versagt hatte, wo alles darauf ankam, "Geist und     <lb n="N005"/>
Moral der Genossen aufrecht zu erhalten".</p>
        <p><lb n="N001"/>
Hie wieder habe ich mit Hermann über diese Stunde gespro-     <lb n="N002"/>
chen. Als er naoh Deutschland zurückkehrte, waren wir sicherlich     <lb n="N003"/>
beide davon überzeugt, daß ich damals"reoht gehabt" hatte, ln der     <lb n="N004"/>
Folgezeit sahen wir uns nur selten, zumal er später in Bernau     <lb n="N005"/>
lebte. Doch eines Besuches von ihm erinnere ich mich noch sehr     <lb n="N006"/>
genau. Es war in dem aufregenden Jahre 1956, nach dem XX. Partei-     <lb n="N007"/>
tag der KPdSU. Ich arbeitete an meinem Buch über den Ausbruch des     <lb n="N008"/>
Ersten Weltkrieges, das dann so verrissen wurde. Es lag mir daran,     <lb n="N009"/>
mit einigen alten Genossen, die schon 1914 aktiv gewesen waren,     <lb n="N010"/>
zu sprechen. So unterhielt ich mich unter anderem mit Jakob Wal-     <lb n="N011"/>
eher und auch mit Hermann. Hermann war frisch und anregend wie     <lb n="N012"/>
immer und erzählte mir vor allem von seinem Erlebnis mit Haenisch,     <lb n="N013"/>
über das ich auch in dem Buch (S.77) berichtet habe. Als das Buch     <lb n="N014"/>
als "bürgerlich", "den Klassenstandpunkt verlassend" usw. kriti-     <lb n="N015"/>
siert wurde, als Politbüro und Apparat und alle Historiker der     <lb n="N016"/>
DDR gegen mich loszogen - in echt stalinlstlscher Manier -, war -     <lb n="N017"/>
und wie kann ich ihm das nach all seinen Erlebnissen übel nehmen!     <lb n="N018"/>
Jakob Walcher sehr verärgert, daß ich ihn mit meinem Buch ln Ver-     <lb n="N019"/>
bindung gebracht hatte und distanzierte sich soharf von mir. Her-     <lb n="N020"/>
mann aber hatte kein Wort des Vorwurfs, und die wenigen Male, die     <lb n="N021"/>
ich ihn dann noch sah, war er lieb und gut und freundschaftlich     <lb n="N022"/>
zu mir, stets naoh dem "Bastei" fragend.</p>
        <p><lb n="N001"/>
Bei mir dauerte es eine Weile, auch noch naoh dem XX. Partei-     <lb n="N002"/>
tag» bis ich ganz begriff, wie beschämend und antipartellioh im</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0287] N001 Ja» ich war zerwühlt und erschöpft und todmüde» als Ich N002 Hermann verließ - zugleich aber war ich wieder stolz» daß ich N003 meine Mission, so wie es die Partei von mir forderte, erfüllt N004 hatte, nicht versagt hatte, wo alles darauf ankam, "Geist und N005 Moral der Genossen aufrecht zu erhalten". N001 Hie wieder habe ich mit Hermann über diese Stunde gespro- N002 chen. Als er naoh Deutschland zurückkehrte, waren wir sicherlich N003 beide davon überzeugt, daß ich damals"reoht gehabt" hatte, ln der N004 Folgezeit sahen wir uns nur selten, zumal er später in Bernau N005 lebte. Doch eines Besuches von ihm erinnere ich mich noch sehr N006 genau. Es war in dem aufregenden Jahre 1956, nach dem XX. Partei- N007 tag der KPdSU. Ich arbeitete an meinem Buch über den Ausbruch des N008 Ersten Weltkrieges, das dann so verrissen wurde. Es lag mir daran, N009 mit einigen alten Genossen, die schon 1914 aktiv gewesen waren, N010 zu sprechen. So unterhielt ich mich unter anderem mit Jakob Wal- N011 eher und auch mit Hermann. Hermann war frisch und anregend wie N012 immer und erzählte mir vor allem von seinem Erlebnis mit Haenisch, N013 über das ich auch in dem Buch (S.77) berichtet habe. Als das Buch N014 als "bürgerlich", "den Klassenstandpunkt verlassend" usw. kriti- N015 siert wurde, als Politbüro und Apparat und alle Historiker der N016 DDR gegen mich loszogen - in echt stalinlstlscher Manier -, war - N017 und wie kann ich ihm das nach all seinen Erlebnissen übel nehmen! N018 Jakob Walcher sehr verärgert, daß ich ihn mit meinem Buch ln Ver- N019 bindung gebracht hatte und distanzierte sich soharf von mir. Her- N020 mann aber hatte kein Wort des Vorwurfs, und die wenigen Male, die N021 ich ihn dann noch sah, war er lieb und gut und freundschaftlich N022 zu mir, stets naoh dem "Bastei" fragend. N001 Bei mir dauerte es eine Weile, auch noch naoh dem XX. Partei- N002 tag» bis ich ganz begriff, wie beschämend und antipartellioh im

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Archiv der Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-01-09T11:07:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-01-09T11:07:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuczynski_tagebuch_1987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuczynski_tagebuch_1987/287
Zitationshilfe: Kuczynski, Jürgen: Tagebuch. Berlin, 1987, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuczynski_tagebuch_1987/287>, abgerufen am 22.11.2024.