Kruse, Laurids: Nordische Freundschaft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.auch theuer ist. Sie flog in Thränen ausbrechend in seine Arme; als sie aber seine äußere Hinfälligkeit bemerkte, erschrak sie unwillkürlich und wurde blaß. Was ergreift dich so? fragte er betroffen. Die Gewalt deines Schmerzes, sagte sie beklommen. Wie oft habe ich aus Scherz, wenn ich der alten heidnischen Zeit gedachte, deinen Freund und dich, mit ihren Sagen vergleichend, Fostbrüder genannt! Und in diesem Augenblick muß mir der Gedanke beengend aufs Herz fallen, daß Jene oft geschworen, mit einander unzertrennlich zu leben und auch so zusammen zu sterben und von Einem Grab sich umschließen zu lassen. Nun Gott Lob, daß jene heidnische Rohheit dem christlichen sanfteren Glauben gewichen ist; und verbürgt mir deine Liebe zu mir nicht auch, daß du diesen Verlust männlich überwinden wirst? Er drückte sie fest an seine Brust. Selbst ein gemeinsamer Glaube giebt vielerlei Meinungen Raum, so wie diese verschieden in jeder Brust und in jedem Gewissen entstehen, sagte er dumpf. Nun nichts mehr davon. Wie? flüsterte sie mit versagender Stimme. Du könntest eines Selbstmordes fähig sein, den unsere Sittenlehrer eine des Christen unwürdige Feigheit nennen? Ha! rief Woldemar auflachend, haben denn unsere Sittenlehrer je den gewaltigen Kampf gekämpft zwischen der irdischen Natur des gesunden kräftigen Menschen auch theuer ist. Sie flog in Thränen ausbrechend in seine Arme; als sie aber seine äußere Hinfälligkeit bemerkte, erschrak sie unwillkürlich und wurde blaß. Was ergreift dich so? fragte er betroffen. Die Gewalt deines Schmerzes, sagte sie beklommen. Wie oft habe ich aus Scherz, wenn ich der alten heidnischen Zeit gedachte, deinen Freund und dich, mit ihren Sagen vergleichend, Fostbrüder genannt! Und in diesem Augenblick muß mir der Gedanke beengend aufs Herz fallen, daß Jene oft geschworen, mit einander unzertrennlich zu leben und auch so zusammen zu sterben und von Einem Grab sich umschließen zu lassen. Nun Gott Lob, daß jene heidnische Rohheit dem christlichen sanfteren Glauben gewichen ist; und verbürgt mir deine Liebe zu mir nicht auch, daß du diesen Verlust männlich überwinden wirst? Er drückte sie fest an seine Brust. Selbst ein gemeinsamer Glaube giebt vielerlei Meinungen Raum, so wie diese verschieden in jeder Brust und in jedem Gewissen entstehen, sagte er dumpf. Nun nichts mehr davon. Wie? flüsterte sie mit versagender Stimme. Du könntest eines Selbstmordes fähig sein, den unsere Sittenlehrer eine des Christen unwürdige Feigheit nennen? Ha! rief Woldemar auflachend, haben denn unsere Sittenlehrer je den gewaltigen Kampf gekämpft zwischen der irdischen Natur des gesunden kräftigen Menschen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0098"/> auch theuer ist. Sie flog in Thränen ausbrechend in seine Arme; als sie aber seine äußere Hinfälligkeit bemerkte, erschrak sie unwillkürlich und wurde blaß.</p><lb/> <p>Was ergreift dich so? fragte er betroffen.</p><lb/> <p>Die Gewalt deines Schmerzes, sagte sie beklommen. Wie oft habe ich aus Scherz, wenn ich der alten heidnischen Zeit gedachte, deinen Freund und dich, mit ihren Sagen vergleichend, Fostbrüder genannt! Und in diesem Augenblick muß mir der Gedanke beengend aufs Herz fallen, daß Jene oft geschworen, mit einander unzertrennlich zu leben und auch so zusammen zu sterben und von Einem Grab sich umschließen zu lassen. Nun Gott Lob, daß jene heidnische Rohheit dem christlichen sanfteren Glauben gewichen ist; und verbürgt mir deine Liebe zu mir nicht auch, daß du diesen Verlust männlich überwinden wirst?</p><lb/> <p>Er drückte sie fest an seine Brust. Selbst ein gemeinsamer Glaube giebt vielerlei Meinungen Raum, so wie diese verschieden in jeder Brust und in jedem Gewissen entstehen, sagte er dumpf. Nun nichts mehr davon.</p><lb/> <p>Wie? flüsterte sie mit versagender Stimme. Du könntest eines Selbstmordes fähig sein, den unsere Sittenlehrer eine des Christen unwürdige Feigheit nennen?</p><lb/> <p>Ha! rief Woldemar auflachend, haben denn unsere Sittenlehrer je den gewaltigen Kampf gekämpft zwischen der irdischen Natur des gesunden kräftigen Menschen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0098]
auch theuer ist. Sie flog in Thränen ausbrechend in seine Arme; als sie aber seine äußere Hinfälligkeit bemerkte, erschrak sie unwillkürlich und wurde blaß.
Was ergreift dich so? fragte er betroffen.
Die Gewalt deines Schmerzes, sagte sie beklommen. Wie oft habe ich aus Scherz, wenn ich der alten heidnischen Zeit gedachte, deinen Freund und dich, mit ihren Sagen vergleichend, Fostbrüder genannt! Und in diesem Augenblick muß mir der Gedanke beengend aufs Herz fallen, daß Jene oft geschworen, mit einander unzertrennlich zu leben und auch so zusammen zu sterben und von Einem Grab sich umschließen zu lassen. Nun Gott Lob, daß jene heidnische Rohheit dem christlichen sanfteren Glauben gewichen ist; und verbürgt mir deine Liebe zu mir nicht auch, daß du diesen Verlust männlich überwinden wirst?
Er drückte sie fest an seine Brust. Selbst ein gemeinsamer Glaube giebt vielerlei Meinungen Raum, so wie diese verschieden in jeder Brust und in jedem Gewissen entstehen, sagte er dumpf. Nun nichts mehr davon.
Wie? flüsterte sie mit versagender Stimme. Du könntest eines Selbstmordes fähig sein, den unsere Sittenlehrer eine des Christen unwürdige Feigheit nennen?
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Zitationshilfe: | Kruse, Laurids: Nordische Freundschaft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kruse_freundschaft_1910/98>, abgerufen am 16.07.2024. |