Kruse, Laurids: Nordische Freundschaft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.schuldige Vorsicht vergessen möchte; dieser Gedanke verstimmte ihn, und nicht ohne Unmuth fragte er: Warum bist du mir immer auf den Fersen? Warum? -- entgegnete Holger; -- sind wir denn nicht Bundesbrüder? und sollten wir auch, wie es scheint, unser junges Leben hier lassen müssen, soll der Tod uns doch nicht die Genugthuung rauben, Hand in Hand und Brust an Brust in das schwarzdunkle Meer zu versinken. Woldemar drückte ihm gerührt und betroffen die Hand. In diesem Augenblicke stieß das Schiff an, eine fürchterliche Erschütterung warf Alle auseinander; allein dieser Stoß war ihre Rettung; das Schiff stand fest. -- Sie waren in der Nacht der Küste näher gekommen, als sie gemeint; der anbrechende Morgen zeigte ihnen die norwegischen Felsenufer. Aber mit den letzten Kräften des Schiffes war auch die Gewalt des Sturmes gebrochen; die Wogen gingen weniger hoch, und nachdem die Masten mit der letzten Anstrengung der noch lebendigen Kräfte gekappt waren, gelang es der Mannschaft das Schiff wieder flott zu machen und es während ununterbrochenen Pumpens in denselben norwegischen Hafen, in dem es einmal Zuflucht gesucht, beinahe als Wrack hineinzubringen. Noch ehe dies geschah, in dem ersten ruhigeren Augenblick, rief Woldemar den Freund bei Seite. schuldige Vorsicht vergessen möchte; dieser Gedanke verstimmte ihn, und nicht ohne Unmuth fragte er: Warum bist du mir immer auf den Fersen? Warum? — entgegnete Holger; — sind wir denn nicht Bundesbrüder? und sollten wir auch, wie es scheint, unser junges Leben hier lassen müssen, soll der Tod uns doch nicht die Genugthuung rauben, Hand in Hand und Brust an Brust in das schwarzdunkle Meer zu versinken. Woldemar drückte ihm gerührt und betroffen die Hand. In diesem Augenblicke stieß das Schiff an, eine fürchterliche Erschütterung warf Alle auseinander; allein dieser Stoß war ihre Rettung; das Schiff stand fest. — Sie waren in der Nacht der Küste näher gekommen, als sie gemeint; der anbrechende Morgen zeigte ihnen die norwegischen Felsenufer. Aber mit den letzten Kräften des Schiffes war auch die Gewalt des Sturmes gebrochen; die Wogen gingen weniger hoch, und nachdem die Masten mit der letzten Anstrengung der noch lebendigen Kräfte gekappt waren, gelang es der Mannschaft das Schiff wieder flott zu machen und es während ununterbrochenen Pumpens in denselben norwegischen Hafen, in dem es einmal Zuflucht gesucht, beinahe als Wrack hineinzubringen. Noch ehe dies geschah, in dem ersten ruhigeren Augenblick, rief Woldemar den Freund bei Seite. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0050"/> schuldige Vorsicht vergessen möchte; dieser Gedanke verstimmte ihn, und nicht ohne Unmuth fragte er: Warum bist du mir immer auf den Fersen?</p><lb/> <p>Warum? — entgegnete Holger; — sind wir denn nicht Bundesbrüder? und sollten wir auch, wie es scheint, unser junges Leben hier lassen müssen, soll der Tod uns doch nicht die Genugthuung rauben, Hand in Hand und Brust an Brust in das schwarzdunkle Meer zu versinken.</p><lb/> <p>Woldemar drückte ihm gerührt und betroffen die Hand.</p><lb/> <p>In diesem Augenblicke stieß das Schiff an, eine fürchterliche Erschütterung warf Alle auseinander; allein dieser Stoß war ihre Rettung; das Schiff stand fest. — Sie waren in der Nacht der Küste näher gekommen, als sie gemeint; der anbrechende Morgen zeigte ihnen die norwegischen Felsenufer. Aber mit den letzten Kräften des Schiffes war auch die Gewalt des Sturmes gebrochen; die Wogen gingen weniger hoch, und nachdem die Masten mit der letzten Anstrengung der noch lebendigen Kräfte gekappt waren, gelang es der Mannschaft das Schiff wieder flott zu machen und es während ununterbrochenen Pumpens in denselben norwegischen Hafen, in dem es einmal Zuflucht gesucht, beinahe als Wrack hineinzubringen.</p><lb/> <p>Noch ehe dies geschah, in dem ersten ruhigeren Augenblick, rief Woldemar den Freund bei Seite.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0050]
schuldige Vorsicht vergessen möchte; dieser Gedanke verstimmte ihn, und nicht ohne Unmuth fragte er: Warum bist du mir immer auf den Fersen?
Warum? — entgegnete Holger; — sind wir denn nicht Bundesbrüder? und sollten wir auch, wie es scheint, unser junges Leben hier lassen müssen, soll der Tod uns doch nicht die Genugthuung rauben, Hand in Hand und Brust an Brust in das schwarzdunkle Meer zu versinken.
Woldemar drückte ihm gerührt und betroffen die Hand.
In diesem Augenblicke stieß das Schiff an, eine fürchterliche Erschütterung warf Alle auseinander; allein dieser Stoß war ihre Rettung; das Schiff stand fest. — Sie waren in der Nacht der Küste näher gekommen, als sie gemeint; der anbrechende Morgen zeigte ihnen die norwegischen Felsenufer. Aber mit den letzten Kräften des Schiffes war auch die Gewalt des Sturmes gebrochen; die Wogen gingen weniger hoch, und nachdem die Masten mit der letzten Anstrengung der noch lebendigen Kräfte gekappt waren, gelang es der Mannschaft das Schiff wieder flott zu machen und es während ununterbrochenen Pumpens in denselben norwegischen Hafen, in dem es einmal Zuflucht gesucht, beinahe als Wrack hineinzubringen.
Noch ehe dies geschah, in dem ersten ruhigeren Augenblick, rief Woldemar den Freund bei Seite.
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Zitationshilfe: | Kruse, Laurids: Nordische Freundschaft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kruse_freundschaft_1910/50>, abgerufen am 20.07.2024. |