Kruse, Laurids: Nordische Freundschaft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Kälte entgegen, doch nie wurden unter den Gefährten selbst die Rücksichten verletzt, die man einem gemeinsamen Kameraden schuldig zu sein meinte, und Niemand außer ihrer Klasse ahnete, daß eine Mißhelligkeit Statt fand. Aber mit den früher feindlich gesinnten Jünglingen war eine sonderbare Veränderung vorgegangen. Es war, als hätte dieser Vorfall mit seinen Folgen beide fest und unauflöslich an einander geknüpft. Holger wich fast nie von Woldemar's Bette, und dieser sah nicht ohne Rührung die immer wachsende treue Sorgfalt des vorigen Nebenbuhlers. Die Ehre -- wie bereits erwähnt -- ist die höchste Gottheit, die der Zögling dieser Akademie kennt, und ihr Gesetz gebietet, ein gegebenes Wort rücksichtslos zu erfüllen. In dem fröhlichen Bewußtsein, ihr selbst sein Leben zum Opfer weihen zu wollen, und vielleicht eben weil er früher nur sich selbst einer solchen That fähig gehalten, füllte Woldemar's tollkühnes Benehmen Holger's Brust mit stiller warmer Bewunderung. Er erkannte an dem kühnen Jüngling sein eignes Gemüth, und seine stille Reue, eben diesen durch einen leisen aber schmählichen Verdacht nur einen Augenblick verkannt und beleidigt zu haben, verschmolz in warme schwärmerische Hingebung, der er doch keine Worte zu geben vermochte. Auch der Kranke empfand mit stiller Scham, daß er den braven, warmen, theilnehmenden Jüngling verkannt hatte. So verbrachten sie die wenigen Stunden, worin sie sich selbst überlassen waren, Kälte entgegen, doch nie wurden unter den Gefährten selbst die Rücksichten verletzt, die man einem gemeinsamen Kameraden schuldig zu sein meinte, und Niemand außer ihrer Klasse ahnete, daß eine Mißhelligkeit Statt fand. Aber mit den früher feindlich gesinnten Jünglingen war eine sonderbare Veränderung vorgegangen. Es war, als hätte dieser Vorfall mit seinen Folgen beide fest und unauflöslich an einander geknüpft. Holger wich fast nie von Woldemar's Bette, und dieser sah nicht ohne Rührung die immer wachsende treue Sorgfalt des vorigen Nebenbuhlers. Die Ehre — wie bereits erwähnt — ist die höchste Gottheit, die der Zögling dieser Akademie kennt, und ihr Gesetz gebietet, ein gegebenes Wort rücksichtslos zu erfüllen. In dem fröhlichen Bewußtsein, ihr selbst sein Leben zum Opfer weihen zu wollen, und vielleicht eben weil er früher nur sich selbst einer solchen That fähig gehalten, füllte Woldemar's tollkühnes Benehmen Holger's Brust mit stiller warmer Bewunderung. Er erkannte an dem kühnen Jüngling sein eignes Gemüth, und seine stille Reue, eben diesen durch einen leisen aber schmählichen Verdacht nur einen Augenblick verkannt und beleidigt zu haben, verschmolz in warme schwärmerische Hingebung, der er doch keine Worte zu geben vermochte. Auch der Kranke empfand mit stiller Scham, daß er den braven, warmen, theilnehmenden Jüngling verkannt hatte. So verbrachten sie die wenigen Stunden, worin sie sich selbst überlassen waren, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0027"/> Kälte entgegen, doch nie wurden unter den Gefährten selbst die Rücksichten verletzt, die man einem gemeinsamen Kameraden schuldig zu sein meinte, und Niemand außer ihrer Klasse ahnete, daß eine Mißhelligkeit Statt fand.</p><lb/> <p>Aber mit den früher feindlich gesinnten Jünglingen war eine sonderbare Veränderung vorgegangen. Es war, als hätte dieser Vorfall mit seinen Folgen beide fest und unauflöslich an einander geknüpft. Holger wich fast nie von Woldemar's Bette, und dieser sah nicht ohne Rührung die immer wachsende treue Sorgfalt des vorigen Nebenbuhlers.</p><lb/> <p>Die Ehre — wie bereits erwähnt — ist die höchste Gottheit, die der Zögling dieser Akademie kennt, und ihr Gesetz gebietet, ein gegebenes Wort rücksichtslos zu erfüllen. In dem fröhlichen Bewußtsein, ihr selbst sein Leben zum Opfer weihen zu wollen, und vielleicht eben weil er früher nur sich selbst einer solchen That fähig gehalten, füllte Woldemar's tollkühnes Benehmen Holger's Brust mit stiller warmer Bewunderung. Er erkannte an dem kühnen Jüngling sein eignes Gemüth, und seine stille Reue, eben diesen durch einen leisen aber schmählichen Verdacht nur einen Augenblick verkannt und beleidigt zu haben, verschmolz in warme schwärmerische Hingebung, der er doch keine Worte zu geben vermochte. Auch der Kranke empfand mit stiller Scham, daß er den braven, warmen, theilnehmenden Jüngling verkannt hatte. So verbrachten sie die wenigen Stunden, worin sie sich selbst überlassen waren,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0027]
Kälte entgegen, doch nie wurden unter den Gefährten selbst die Rücksichten verletzt, die man einem gemeinsamen Kameraden schuldig zu sein meinte, und Niemand außer ihrer Klasse ahnete, daß eine Mißhelligkeit Statt fand.
Aber mit den früher feindlich gesinnten Jünglingen war eine sonderbare Veränderung vorgegangen. Es war, als hätte dieser Vorfall mit seinen Folgen beide fest und unauflöslich an einander geknüpft. Holger wich fast nie von Woldemar's Bette, und dieser sah nicht ohne Rührung die immer wachsende treue Sorgfalt des vorigen Nebenbuhlers.
Die Ehre — wie bereits erwähnt — ist die höchste Gottheit, die der Zögling dieser Akademie kennt, und ihr Gesetz gebietet, ein gegebenes Wort rücksichtslos zu erfüllen. In dem fröhlichen Bewußtsein, ihr selbst sein Leben zum Opfer weihen zu wollen, und vielleicht eben weil er früher nur sich selbst einer solchen That fähig gehalten, füllte Woldemar's tollkühnes Benehmen Holger's Brust mit stiller warmer Bewunderung. Er erkannte an dem kühnen Jüngling sein eignes Gemüth, und seine stille Reue, eben diesen durch einen leisen aber schmählichen Verdacht nur einen Augenblick verkannt und beleidigt zu haben, verschmolz in warme schwärmerische Hingebung, der er doch keine Worte zu geben vermochte. Auch der Kranke empfand mit stiller Scham, daß er den braven, warmen, theilnehmenden Jüngling verkannt hatte. So verbrachten sie die wenigen Stunden, worin sie sich selbst überlassen waren,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/kruse_freundschaft_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/kruse_freundschaft_1910/27 |
Zitationshilfe: | Kruse, Laurids: Nordische Freundschaft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kruse_freundschaft_1910/27>, abgerufen am 16.07.2024. |