Kruse, Laurids: Nordische Freundschaft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ich so was nicht zumuthen, viel weniger -- er unterbrach sich selbst. Versteht sich, versetzte Woldemar mit einem gezwungenen Lächeln; wer wollte im Ernst so etwas unternehmen? Lust den Hals zu brechen habe ich freilich nicht. Platz nur da! ich will doch einmal aus Spaß die Höhe messen. Er trat zu dem Fenster hin, und indem er, gegen die Gefährten sich kehrend, nach der Ecke des Zimmers hindeutend hinzufügte: Nimm nur einmal das Senkblei, das dort liegt! -- schwang er sich unversehens in das große Fenster hinauf und sprang, ehe die Uebrigen es verhindern konnten, mit einem kräftigen Ansatz in den Hof hinab. Alle standen starr vor Entsetzen. Keiner wagte einen Blick ihm nach aus dem Fenster zu werfen. Aber in dem zweiten Augenblick stürzten sie alle, so viel sie waren, nach der Thüre. Mit rascher Besonnenheit, wiewohl bleich wie eine Leiche, warf sich Holger den Gefährten in den Weg. Halt! rief er mit Anstrengung. Seht ihr denn nicht ein, daß die größte Vorsicht nöthig ist, um nicht uns alle unglücklich zu machen? Nur zwei mit mir gehn hinunter. -- Du, John, nur nicht -- fügte er ohne ihn anzusehen hinzu; -- komm du, und du! -- Die drei Geführten flogen schnell, aber so leicht und leise wie möglich, Holger an der Spitze, die Treppen hinunter. Nicht ohne ein heftiges Zittern wurde die Hofthüre geöffnet. Jeder, selbst Holger, aus Furcht, ich so was nicht zumuthen, viel weniger — er unterbrach sich selbst. Versteht sich, versetzte Woldemar mit einem gezwungenen Lächeln; wer wollte im Ernst so etwas unternehmen? Lust den Hals zu brechen habe ich freilich nicht. Platz nur da! ich will doch einmal aus Spaß die Höhe messen. Er trat zu dem Fenster hin, und indem er, gegen die Gefährten sich kehrend, nach der Ecke des Zimmers hindeutend hinzufügte: Nimm nur einmal das Senkblei, das dort liegt! — schwang er sich unversehens in das große Fenster hinauf und sprang, ehe die Uebrigen es verhindern konnten, mit einem kräftigen Ansatz in den Hof hinab. Alle standen starr vor Entsetzen. Keiner wagte einen Blick ihm nach aus dem Fenster zu werfen. Aber in dem zweiten Augenblick stürzten sie alle, so viel sie waren, nach der Thüre. Mit rascher Besonnenheit, wiewohl bleich wie eine Leiche, warf sich Holger den Gefährten in den Weg. Halt! rief er mit Anstrengung. Seht ihr denn nicht ein, daß die größte Vorsicht nöthig ist, um nicht uns alle unglücklich zu machen? Nur zwei mit mir gehn hinunter. — Du, John, nur nicht — fügte er ohne ihn anzusehen hinzu; — komm du, und du! — Die drei Geführten flogen schnell, aber so leicht und leise wie möglich, Holger an der Spitze, die Treppen hinunter. Nicht ohne ein heftiges Zittern wurde die Hofthüre geöffnet. Jeder, selbst Holger, aus Furcht, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0025"/> ich so was nicht zumuthen, viel weniger — er unterbrach sich selbst.</p><lb/> <p>Versteht sich, versetzte Woldemar mit einem gezwungenen Lächeln; wer wollte im Ernst so etwas unternehmen? Lust den Hals zu brechen habe ich freilich nicht. Platz nur da! ich will doch einmal aus Spaß die Höhe messen. Er trat zu dem Fenster hin, und indem er, gegen die Gefährten sich kehrend, nach der Ecke des Zimmers hindeutend hinzufügte: Nimm nur einmal das Senkblei, das dort liegt! — schwang er sich unversehens in das große Fenster hinauf und sprang, ehe die Uebrigen es verhindern konnten, mit einem kräftigen Ansatz in den Hof hinab.</p><lb/> <p>Alle standen starr vor Entsetzen. Keiner wagte einen Blick ihm nach aus dem Fenster zu werfen. Aber in dem zweiten Augenblick stürzten sie alle, so viel sie waren, nach der Thüre.</p><lb/> <p>Mit rascher Besonnenheit, wiewohl bleich wie eine Leiche, warf sich Holger den Gefährten in den Weg. Halt! rief er mit Anstrengung. Seht ihr denn nicht ein, daß die größte Vorsicht nöthig ist, um nicht uns alle unglücklich zu machen? Nur zwei mit mir gehn hinunter. — Du, John, nur nicht — fügte er ohne ihn anzusehen hinzu; — komm du, und du! —</p><lb/> <p>Die drei Geführten flogen schnell, aber so leicht und leise wie möglich, Holger an der Spitze, die Treppen hinunter. Nicht ohne ein heftiges Zittern wurde die Hofthüre geöffnet. Jeder, selbst Holger, aus Furcht,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0025]
ich so was nicht zumuthen, viel weniger — er unterbrach sich selbst.
Versteht sich, versetzte Woldemar mit einem gezwungenen Lächeln; wer wollte im Ernst so etwas unternehmen? Lust den Hals zu brechen habe ich freilich nicht. Platz nur da! ich will doch einmal aus Spaß die Höhe messen. Er trat zu dem Fenster hin, und indem er, gegen die Gefährten sich kehrend, nach der Ecke des Zimmers hindeutend hinzufügte: Nimm nur einmal das Senkblei, das dort liegt! — schwang er sich unversehens in das große Fenster hinauf und sprang, ehe die Uebrigen es verhindern konnten, mit einem kräftigen Ansatz in den Hof hinab.
Alle standen starr vor Entsetzen. Keiner wagte einen Blick ihm nach aus dem Fenster zu werfen. Aber in dem zweiten Augenblick stürzten sie alle, so viel sie waren, nach der Thüre.
Mit rascher Besonnenheit, wiewohl bleich wie eine Leiche, warf sich Holger den Gefährten in den Weg. Halt! rief er mit Anstrengung. Seht ihr denn nicht ein, daß die größte Vorsicht nöthig ist, um nicht uns alle unglücklich zu machen? Nur zwei mit mir gehn hinunter. — Du, John, nur nicht — fügte er ohne ihn anzusehen hinzu; — komm du, und du! —
Die drei Geführten flogen schnell, aber so leicht und leise wie möglich, Holger an der Spitze, die Treppen hinunter. Nicht ohne ein heftiges Zittern wurde die Hofthüre geöffnet. Jeder, selbst Holger, aus Furcht,
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Zitationshilfe: | Kruse, Laurids: Nordische Freundschaft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kruse_freundschaft_1910/25>, abgerufen am 16.02.2025. |