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Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905.

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keit, im Alter einen nicht an einen ganz bestimmten Stiftsplatz
gebundenen sorgenlosen Lebensabend zu genießen.

Alle diese Momente wirken zusammen, um die Scheu vor
dem Pflegeberuf zu erklären. Dazu kommt, daß Kranke zu
pflegen, an und für sich ein schwerer, aufreibender Beruf ist.
Er verlangt entsagungsvolle Hingabe wie wohl kaum ein
anderer Beruf. Aber wenn er solche Hingabe verlangt, wenn
eine Pflegerin wirklich angespannter als andere Frauen ar-
beiten muß, ist es darum notwendig, ihr auch außerhalb des
Berufs jede freie Selbstregung zu verbieten, ihr ganzes Jnnen-
leben einzuschnüren, ihr über alles und jedes Vorschriften zu
machen wie z.B. Verbot von Theater und Konzerten, Verbot, ohne
Tracht die Freistunden zu verbringen und dergleichen mehr!

Die Erfahrung hat gelehrt, daß solches Sich-Anlehnen an
die Gepflogenheiten geistlicher Orden, aus denen sie ja heraus-
gewachsen sind, nicht Lebensbedingung sind für die weltlichen
Schwesternverbände und daß auch einzelstehende, frei pflegende
Schwestern treue Arbeiterinnen sein können und so gut wie
Angehörige anderer Berufsarten ihren Halt nicht in äußeren
Vorschriften sondern in sich selbst, in einer vertief-
ten Auffassung von Pflicht und Berufsehre
finden können
.

Für freie Organisation der Verbände, für Reformen inner-
halb derselben trat Prof. Zimmer-Zehlendorf durch Be-
gründung des evangelischen Diakonievereins, Oberin Clemen-
tine von Wallmenich
durch Einsetzung des Schwesternrates
beim Münchener Roten Kreuz ein. Die plötzliche, in unver-
bindlichsten, ja geradezu verletzenden Formen erfolgte Ent-
lassung dieser um die Schwesternsache so verdienten, 25 Jahre
lang im Dienste des Roten Kreuzes, 10 Jahre lang als Oberin
tätigen Frau, die schleunige Beseitigung der von ihr - zum

keit, im Alter einen nicht an einen ganz bestimmten Stiftsplatz
gebundenen sorgenlosen Lebensabend zu genießen.

Alle diese Momente wirken zusammen, um die Scheu vor
dem Pflegeberuf zu erklären. Dazu kommt, daß Kranke zu
pflegen, an und für sich ein schwerer, aufreibender Beruf ist.
Er verlangt entsagungsvolle Hingabe wie wohl kaum ein
anderer Beruf. Aber wenn er solche Hingabe verlangt, wenn
eine Pflegerin wirklich angespannter als andere Frauen ar-
beiten muß, ist es darum notwendig, ihr auch außerhalb des
Berufs jede freie Selbstregung zu verbieten, ihr ganzes Jnnen-
leben einzuschnüren, ihr über alles und jedes Vorschriften zu
machen wie z.B. Verbot von Theater und Konzerten, Verbot, ohne
Tracht die Freistunden zu verbringen und dergleichen mehr!

Die Erfahrung hat gelehrt, daß solches Sich-Anlehnen an
die Gepflogenheiten geistlicher Orden, aus denen sie ja heraus-
gewachsen sind, nicht Lebensbedingung sind für die weltlichen
Schwesternverbände und daß auch einzelstehende, frei pflegende
Schwestern treue Arbeiterinnen sein können und so gut wie
Angehörige anderer Berufsarten ihren Halt nicht in äußeren
Vorschriften sondern in sich selbst, in einer vertief-
ten Auffassung von Pflicht und Berufsehre
finden können
.

Für freie Organisation der Verbände, für Reformen inner-
halb derselben trat Prof. Zimmer-Zehlendorf durch Be-
gründung des evangelischen Diakonievereins, Oberin Clemen-
tine von Wallmenich
durch Einsetzung des Schwesternrates
beim Münchener Roten Kreuz ein. Die plötzliche, in unver-
bindlichsten, ja geradezu verletzenden Formen erfolgte Ent-
lassung dieser um die Schwesternsache so verdienten, 25 Jahre
lang im Dienste des Roten Kreuzes, 10 Jahre lang als Oberin
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[101/0111] keit, im Alter einen nicht an einen ganz bestimmten Stiftsplatz gebundenen sorgenlosen Lebensabend zu genießen. Alle diese Momente wirken zusammen, um die Scheu vor dem Pflegeberuf zu erklären. Dazu kommt, daß Kranke zu pflegen, an und für sich ein schwerer, aufreibender Beruf ist. Er verlangt entsagungsvolle Hingabe wie wohl kaum ein anderer Beruf. Aber wenn er solche Hingabe verlangt, wenn eine Pflegerin wirklich angespannter als andere Frauen ar- beiten muß, ist es darum notwendig, ihr auch außerhalb des Berufs jede freie Selbstregung zu verbieten, ihr ganzes Jnnen- leben einzuschnüren, ihr über alles und jedes Vorschriften zu machen wie z.B. Verbot von Theater und Konzerten, Verbot, ohne Tracht die Freistunden zu verbringen und dergleichen mehr! Die Erfahrung hat gelehrt, daß solches Sich-Anlehnen an die Gepflogenheiten geistlicher Orden, aus denen sie ja heraus- gewachsen sind, nicht Lebensbedingung sind für die weltlichen Schwesternverbände und daß auch einzelstehende, frei pflegende Schwestern treue Arbeiterinnen sein können und so gut wie Angehörige anderer Berufsarten ihren Halt nicht in äußeren Vorschriften sondern in sich selbst, in einer vertief- ten Auffassung von Pflicht und Berufsehre finden können. Für freie Organisation der Verbände, für Reformen inner- halb derselben trat Prof. Zimmer-Zehlendorf durch Be- gründung des evangelischen Diakonievereins, Oberin Clemen- tine von Wallmenich durch Einsetzung des Schwesternrates beim Münchener Roten Kreuz ein. Die plötzliche, in unver- bindlichsten, ja geradezu verletzenden Formen erfolgte Ent- lassung dieser um die Schwesternsache so verdienten, 25 Jahre lang im Dienste des Roten Kreuzes, 10 Jahre lang als Oberin tätigen Frau, die schleunige Beseitigung der von ihr – zum

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-11-13T13:59:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-20T13:59:15Z)
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Zitationshilfe: Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/111>, abgerufen am 23.11.2024.