Krüger, Johann Gottlob: Geschichte der Erde in den allerältesten Zeiten. Halle, 1746.Geschichte der Erde studiren müssen, als vormals, was heist dieses aber an-ders, als daß sie sich eher um ihr Leben und Gesundheit bringen, als es sonsten geschehen ist? Denn die Kräfte, welche zum denken angewendet werden, werden nothwen- dig dem Leibe entzogen, welches sich nicht nur aus der Erfahrung, sondern auch aus Gründen der Arzeneyge- lahrheit darthun läßt; daher bin ich immer der Meinung jenes Griechens gewesens, welcher uns sagt: Die Men- schen sind nicht gemacht die Erde zu beschreiben, sondern zu bauen. Jst es also nicht artig, daß man selbst alsdenn, wenn man den Selbstmord mit vielen Gründen zu bestrei- ten sucht, ein Selbstmörder werden kan. Die Weltwei- sen sind viel zu grosmüthig, als daß sie sich aus einen langen Leben etwas machen sollten. Denn sie haben ge- funden, daß ein kurzes Leben, darinnen man vieles denkt, einen längern, darinnen man wenig gedacht hat, weit vorzuziehen sey. Sie beneiden daher das Glück ei- nes reichen Bürgers nicht, welcher 80. Jahr in der Welt bey ruhigen Gemüthe, mittelmäßigen Verstande, und ei- nen Ueberflusse an allen was zur Bequemlichkeit und Noth- durft erfordert wird, gesund zubringet. Jch habe mir aber sagen lassen, daß ein solcher Bürger sie gleichfalls nicht beneide. Dieses was ich hier angeführt habe, be- trift nur die Gelehrten, aber woher kömmt es, daß auch andere Menschen eiu kürzeres Leben haben? Es ist wider die noch nicht hoch genug getriebene Klugheit derselben Schuld daran, denn man ist weder tumm noch gescheut genug um lange leben zu können, das letztere wird man niemals werden, und das erstere ist man nicht mehr. Denn die Lebensart der Alten war einfältig und natürlich, die unsrige aber ist gekünstelt und seltsam. Ja man hat die Wollust und Schwelgerey zu unsern Zeiten viel- leicht noch höher als zu denen Zeiten des Petronius ge- trieben, ob man sie schon nicht so öffentlich und mit so närrischen Ceremonien als damals mehr ausübt. Man ver-
Geſchichte der Erde ſtudiren muͤſſen, als vormals, was heiſt dieſes aber an-ders, als daß ſie ſich eher um ihr Leben und Geſundheit bringen, als es ſonſten geſchehen iſt? Denn die Kraͤfte, welche zum denken angewendet werden, werden nothwen- dig dem Leibe entzogen, welches ſich nicht nur aus der Erfahrung, ſondern auch aus Gruͤnden der Arzeneyge- lahrheit darthun laͤßt; daher bin ich immer der Meinung jenes Griechens geweſens, welcher uns ſagt: Die Men- ſchen ſind nicht gemacht die Erde zu beſchreiben, ſondern zu bauen. Jſt es alſo nicht artig, daß man ſelbſt alsdenn, wenn man den Selbſtmord mit vielen Gruͤnden zu beſtrei- ten ſucht, ein Selbſtmoͤrder werden kan. Die Weltwei- ſen ſind viel zu grosmuͤthig, als daß ſie ſich aus einen langen Leben etwas machen ſollten. Denn ſie haben ge- funden, daß ein kurzes Leben, darinnen man vieles denkt, einen laͤngern, darinnen man wenig gedacht hat, weit vorzuziehen ſey. Sie beneiden daher das Gluͤck ei- nes reichen Buͤrgers nicht, welcher 80. Jahr in der Welt bey ruhigen Gemuͤthe, mittelmaͤßigen Verſtande, und ei- nen Ueberfluſſe an allen was zur Bequemlichkeit und Noth- durft erfordert wird, geſund zubringet. Jch habe mir aber ſagen laſſen, daß ein ſolcher Buͤrger ſie gleichfalls nicht beneide. Dieſes was ich hier angefuͤhrt habe, be- trift nur die Gelehrten, aber woher koͤmmt es, daß auch andere Menſchen eiu kuͤrzeres Leben haben? Es iſt wider die noch nicht hoch genug getriebene Klugheit derſelben Schuld daran, denn man iſt weder tumm noch geſcheut genug um lange leben zu koͤnnen, das letztere wird man niemals werden, und das erſtere iſt man nicht mehr. Denn die Lebensart der Alten war einfaͤltig und natuͤrlich, die unſrige aber iſt gekuͤnſtelt und ſeltſam. Ja man hat die Wolluſt und Schwelgerey zu unſern Zeiten viel- leicht noch hoͤher als zu denen Zeiten des Petronius ge- trieben, ob man ſie ſchon nicht ſo oͤffentlich und mit ſo naͤrriſchen Ceremonien als damals mehr ausuͤbt. Man ver-
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Geſchichte der Erde
ſtudiren muͤſſen, als vormals, was heiſt dieſes aber an-
ders, als daß ſie ſich eher um ihr Leben und Geſundheit
bringen, als es ſonſten geſchehen iſt? Denn die Kraͤfte,
welche zum denken angewendet werden, werden nothwen-
dig dem Leibe entzogen, welches ſich nicht nur aus der
Erfahrung, ſondern auch aus Gruͤnden der Arzeneyge-
lahrheit darthun laͤßt; daher bin ich immer der Meinung
jenes Griechens geweſens, welcher uns ſagt: Die Men-
ſchen ſind nicht gemacht die Erde zu beſchreiben, ſondern
zu bauen. Jſt es alſo nicht artig, daß man ſelbſt alsdenn,
wenn man den Selbſtmord mit vielen Gruͤnden zu beſtrei-
ten ſucht, ein Selbſtmoͤrder werden kan. Die Weltwei-
ſen ſind viel zu grosmuͤthig, als daß ſie ſich aus einen
langen Leben etwas machen ſollten. Denn ſie haben ge-
funden, daß ein kurzes Leben, darinnen man vieles denkt,
einen laͤngern, darinnen man wenig gedacht hat,
weit vorzuziehen ſey. Sie beneiden daher das Gluͤck ei-
nes reichen Buͤrgers nicht, welcher 80. Jahr in der Welt
bey ruhigen Gemuͤthe, mittelmaͤßigen Verſtande, und ei-
nen Ueberfluſſe an allen was zur Bequemlichkeit und Noth-
durft erfordert wird, geſund zubringet. Jch habe mir
aber ſagen laſſen, daß ein ſolcher Buͤrger ſie gleichfalls
nicht beneide. Dieſes was ich hier angefuͤhrt habe, be-
trift nur die Gelehrten, aber woher koͤmmt es, daß auch
andere Menſchen eiu kuͤrzeres Leben haben? Es iſt wider
die noch nicht hoch genug getriebene Klugheit derſelben
Schuld daran, denn man iſt weder tumm noch geſcheut
genug um lange leben zu koͤnnen, das letztere wird man
niemals werden, und das erſtere iſt man nicht mehr.
Denn die Lebensart der Alten war einfaͤltig und natuͤrlich,
die unſrige aber iſt gekuͤnſtelt und ſeltſam. Ja man
hat die Wolluſt und Schwelgerey zu unſern Zeiten viel-
leicht noch hoͤher als zu denen Zeiten des Petronius ge-
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