Krüger, Johann Gottlob: Geschichte der Erde in den allerältesten Zeiten. Halle, 1746.Geschichte der Erde Menschen itzo nicht so alt werden, als sie noch vor 200 Jah-ren geworden sind, wenn man nach der grösten Menge ur- theilen soll. Denn dieses hat vielerley Ursachen, welche sich darinnen kurz zusammen fassen lassen, daß sie grösten- theils klüger und dennoch noch nicht recht klug geworden sind. Denn diese übertriebene Klugheit hat gemacht, daß sie neue Mittel ersonnen haben, ihre Leidenschaften aufs höchste zu treiben, das heißt, daß sie neue Dolche verfer- tiget haben, damit sie sich selbst um das Leben bringen. Laßtuns nur einige derselben betrachten. Jst es nicht wahr, daß ein Candidate, aus welchem man einmal weiter nichts als einen Dorfprediger machen will, zweymal mehr wissen muß, als zehn Generalsuperindententen vor 200 Jahren gewußt haben? Denn man fordert von ihm daß er die christlichen Glaubenslehren nicht nur herbeten könne, wo- mit man wol ehemals zufrieden war, sondern er soll die- selbe erweisen, und die Einwürfe beantworten können, welches ihn nöthiget, sich auf alle Theile der Weltweisheit und Mathematick zu legen. Die orientalischen Sprachen sind ihm zum Verstande der Bibel unentbehrlich, und nach der gegenwärtigen Einrichtung kann er auch kaum ausser einer guten deutschen Redekunst die französische, englische und italiänische Sprache entbehren. Ein Rechtsgelehrter lernt heut zu Tage nicht blos die Gesetze seiner Vaterstadt, und glaubet wie vormals daß eine alte deutsche Redlichkeit seine Haupteigenschaft seyn müsse; nein, dieses ist längst aus der Mode gekommen, und man fordert an dessen statt von ihm eine Erkäntniß, nicht nur der einheimi- schen, sondern auch der römischen Rechte, er muß ein Philosoph und Mathematicus seyn, er muß ausser der lateinischen, zum wenigsten die französische Sprache ver- stehen, und wenn er denn eine nach dem Geschmacke der Welt eingerichtete Lebensart besitzt, so darf er nur einen schweren Grundstein legen um darauf das Gebäude sei- ner zeitlichen Glückseligkeit aufzuführen. Jn der Arze- neyge-
Geſchichte der Erde Menſchen itzo nicht ſo alt werden, als ſie noch vor 200 Jah-ren geworden ſind, wenn man nach der groͤſten Menge ur- theilen ſoll. Denn dieſes hat vielerley Urſachen, welche ſich darinnen kurz zuſammen faſſen laſſen, daß ſie groͤſten- theils kluͤger und dennoch noch nicht recht klug geworden ſind. Denn dieſe uͤbertriebene Klugheit hat gemacht, daß ſie neue Mittel erſonnen haben, ihre Leidenſchaften aufs hoͤchſte zu treiben, das heißt, daß ſie neue Dolche verfer- tiget haben, damit ſie ſich ſelbſt um das Leben bringen. Laßtuns nur einige derſelben betrachten. Jſt es nicht wahr, daß ein Candidate, aus welchem man einmal weiter nichts als einen Dorfprediger machen will, zweymal mehr wiſſen muß, als zehn Generalſuperindententen vor 200 Jahren gewußt haben? Denn man fordert von ihm daß er die chriſtlichen Glaubenslehren nicht nur herbeten koͤnne, wo- mit man wol ehemals zufrieden war, ſondern er ſoll die- ſelbe erweiſen, und die Einwuͤrfe beantworten koͤnnen, welches ihn noͤthiget, ſich auf alle Theile der Weltweisheit und Mathematick zu legen. Die orientaliſchen Sprachen ſind ihm zum Verſtande der Bibel unentbehrlich, und nach der gegenwaͤrtigen Einrichtung kann er auch kaum auſſer einer guten deutſchen Redekunſt die franzoͤſiſche, engliſche und italiaͤniſche Sprache entbehren. Ein Rechtsgelehrter lernt heut zu Tage nicht blos die Geſetze ſeiner Vaterſtadt, und glaubet wie vormals daß eine alte deutſche Redlichkeit ſeine Haupteigenſchaft ſeyn muͤſſe; nein, dieſes iſt laͤngſt aus der Mode gekommen, und man fordert an deſſen ſtatt von ihm eine Erkaͤntniß, nicht nur der einheimi- ſchen, ſondern auch der roͤmiſchen Rechte, er muß ein Philoſoph und Mathematicus ſeyn, er muß auſſer der lateiniſchen, zum wenigſten die franzoͤſiſche Sprache ver- ſtehen, und wenn er denn eine nach dem Geſchmacke der Welt eingerichtete Lebensart beſitzt, ſo darf er nur einen ſchweren Grundſtein legen um darauf das Gebaͤude ſei- ner zeitlichen Gluͤckſeligkeit aufzufuͤhren. Jn der Arze- neyge-
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Geſchichte der Erde
Menſchen itzo nicht ſo alt werden, als ſie noch vor 200 Jah-
ren geworden ſind, wenn man nach der groͤſten Menge ur-
theilen ſoll. Denn dieſes hat vielerley Urſachen, welche
ſich darinnen kurz zuſammen faſſen laſſen, daß ſie groͤſten-
theils kluͤger und dennoch noch nicht recht klug geworden
ſind. Denn dieſe uͤbertriebene Klugheit hat gemacht, daß
ſie neue Mittel erſonnen haben, ihre Leidenſchaften aufs
hoͤchſte zu treiben, das heißt, daß ſie neue Dolche verfer-
tiget haben, damit ſie ſich ſelbſt um das Leben bringen.
Laßtuns nur einige derſelben betrachten. Jſt es nicht wahr,
daß ein Candidate, aus welchem man einmal weiter nichts
als einen Dorfprediger machen will, zweymal mehr wiſſen
muß, als zehn Generalſuperindententen vor 200 Jahren
gewußt haben? Denn man fordert von ihm daß er die
chriſtlichen Glaubenslehren nicht nur herbeten koͤnne, wo-
mit man wol ehemals zufrieden war, ſondern er ſoll die-
ſelbe erweiſen, und die Einwuͤrfe beantworten koͤnnen,
welches ihn noͤthiget, ſich auf alle Theile der Weltweisheit
und Mathematick zu legen. Die orientaliſchen Sprachen
ſind ihm zum Verſtande der Bibel unentbehrlich, und nach
der gegenwaͤrtigen Einrichtung kann er auch kaum auſſer
einer guten deutſchen Redekunſt die franzoͤſiſche, engliſche
und italiaͤniſche Sprache entbehren. Ein Rechtsgelehrter
lernt heut zu Tage nicht blos die Geſetze ſeiner Vaterſtadt,
und glaubet wie vormals daß eine alte deutſche Redlichkeit
ſeine Haupteigenſchaft ſeyn muͤſſe; nein, dieſes iſt laͤngſt
aus der Mode gekommen, und man fordert an deſſen
ſtatt von ihm eine Erkaͤntniß, nicht nur der einheimi-
ſchen, ſondern auch der roͤmiſchen Rechte, er muß ein
Philoſoph und Mathematicus ſeyn, er muß auſſer der
lateiniſchen, zum wenigſten die franzoͤſiſche Sprache ver-
ſtehen, und wenn er denn eine nach dem Geſchmacke der
Welt eingerichtete Lebensart beſitzt, ſo darf er nur einen
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